Die Aufstände im südchinesischen Distrikt Weng’an sind Warnung und Bestätigung zugleich für Peking: Kurz vor den Sommerspielen sollen die Kommunen Bürgerproteste unterbinden.

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Peking/Wien – 15 Sekunden: Länger sollen die Webverwalter von Chinas Internetforen am Ende nicht gebraucht haben, um die Kommentare zu löschen, die auf die Eintragsseiten eintrommelten und nur irgendwo den Namen Weng’an erwähnten. Weng’an, der Distrikt in der südwestchinesischen Provinz Ghuizou, ist seit dem Wochenende ein Tabuwort. Zehntausende waren dort am Samstag und Sonntag auf die Straßen gestürmt, hatten Polizeifahrzeuge und das lokale Parteigebäude in Brand gesetzt, bis das Militär eintraf und die Unruhen niederschlug. Ein 15-jähriges Mädchen, Schülerin in der Stadt Yuhua, soll Tage zuvor vergewaltigt und ermordet worden sein. Die Mörder warfen Li Shufen von einer Brücke in den Fluss Ximen, so heißt es, und kamen gleich wieder frei, weil sie mit führenden Personen in Partei und Sicherheitsbüro der Provinz verwandt seien. Ein Anruf der Eltern habe genügt. Es war Selbstmord, entschied der Amtsarzt.

"Schutz der Harmonie"

Knapp sechs Wochen vor Beginn der olympischen Sommerspiele sind die Unruhen von Weng’an Warnung und Bestätigung zugleich für die Führung in Peking. Staatliche Medien hatten am Montag von einer Konferenz von Partei- und Regierungsspitze zum Thema der inneren Sicherheit berichtet. Ein Programm zum Schutz von "sozialer Harmonie und Stabilität" habe begonnen, hieß es vieldeutig. Vor allem die Kommunen sollen Proteste und Petitionen unzufriedener Bürger stoppen, meldeten die Agenturen. Die Unruhen in Tibet im vergangenen März waren großflächig, und ihre Unterdrückung stieß auf internationale Kritik, doch gewalttätige soziale Proteste gibt es täglich irgendwo in China. Eine halbe Million Besucher und vielleicht 20.000 Journalisten werden im August in die Hauptstadt drängen. Die Weltöffentlichkeit könnte leicht Zeuge von Bürgerprotesten werden, die Chinas Partei in Bedrängnis bringen.

In Weng’an soll seit Wochenbeginn wieder Ruhe herrschen. Eine offizielle Erklärung für die Unruhen gibt es auch: "Der Vorfall begann mit einem einfachen Grund, aber wurde dann von einigen wenigen Leuten mit anderen Motiven benutzt und angeheizt" , sagte der Parteisekretär der Provinz, auch "einige Gangster" sollen beteiligt gewesen sein. Roland Soong, der den Blog EastSouthWestNorth betreibt, berichtet von immer mehr Versionen, die über den Tod von Li Shufen kursieren. Auch das hat System: Am Ende gibt der Leser auf. Hoffnung auf mehr Klarheit gibt es. Die Leiche der 15-Jährigen wird nun obduziert, die Polizei werde die Ermittlungen wieder aufnehmen, so versprachen die Behörden. (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2008)