Bild nicht mehr verfügbar.

"Mir persönlich ist die Gefahr wurscht!" , sagt Paulus Manker. Das Theater findet der wahnwitzige Bühnenkünstler derzeit aber bloß "langweilig" .

Foto: APA
Wien – Das ehemalige "K.K. Telegraphenamt" am Wiener Börseplatz, das noch vor kurzem in bleiernem Schlaf lag, quillt vor Geschäftigkeit über. Im vierten Stock, auf hastig ausgelegten Teppichen, steht ein Bahnhofsvorsteher mit einer Holzkelle. Er ruft einen Zug nach Hannover aus. Rund um ihn schlurfen dick eingemummte Kriegsversehrte an Kredenzen und Anrichten vorüber, eine exaltierte, honigblond gelockte Dame (Burgschauspielerin Myriam Schröder als Alma Mahler) liefert sich ein Schreiduell mit einem Mann im Uniformrock (Ferdinand Stahl als Architekt Walter Gropius).

Man schreibt das Kriegsjahr 1916. Zwischen diesen Gespenstern aus einer hässlichen, gehässigen Zeit steht bloßfüßig der Theatermann Paulus Manker. Er reckt den Bauch vor und dirigiert mit lauten Rufen das Dutzend Schauspieler durch Joshua Sobols Polydrama Alma – a Show Biz ans Ende. Es scheint, als ob die berühmte Alma Mahler-Werfel nie mehr zur Ruhe kommen darf; wieder muss sie Gustav Mahler in den Tod begleiten, Oskar Kokoschka in den Liebeswahnsinn treiben, Franz Werfel die amerikanische Emigration überstehen helfen. Manker, der von sich sagt, dass ihn das "Guckkastentheater" tödlich langweile, scheint sein ganzes beträchtliches Talent in den Dienst einer Sache gestellt zu haben, die niemals zu Ende gehen darf. Im Vorjahr gastierte Alma am Semmering, im Kurhaus am Wolfsbergkogel. Heuer wäre ein Gastspiel in Jerusalem geplant gewesen. Ging nicht, sagt Manker achselzuckend. Die politischen Verhältnisse waren zu gefährlich: "Nicht meinetwegen, wohlgemerkt. Mir persönlich ist die Gefahr wurscht!" Jetzt im Sommer sei es zu heiß, das Theaterpublikum könne nicht anreisen ("In Jerusalem selbst gibt es kein Theaterpublikum!" ). Vielleicht klappe es im Oktober.

Mit dem Stolz des Untermieters, der ein Schnäppchen gemacht hat, führt Manker durch die Säle voller Stuck und Wandreliefs. Auf das Telegrafenamt sei er durch Zufall gestoßen. Es befinde sich im Besitz eines ehemaligen kroatischen Vizeverteidigungsministers. Dieser leutselige Mensch habe sich auf Nachfrage als Alma-Mahler-Fan zu erkennen gegeben: "Der hätte sofort als Dramaturg bei uns einsteigen können!" , erzählt Manker. Der betuchte Herr fungiere jetzt eben als uneigennütziger Förderer der schönen Künste. Das Haus am Semmering befinde sich mittlerweile im Besitz eines Kasachen: "Es ist schwer, mit dem überhaupt in Kontakt zu treten!"

Vorbei an alten Spitalsbetten, Kandelabern und reich gedeckten Emigrationsschlemmertafeln führt Manker den Besucher. Wiederum können Gäste des Stationendramas ihre je eigene Perspektive wählen: Gustav Mahler dabei zusehen, wie der sich von Professor Freud die darniederliegende Libido aufrichten lässt. Zur Pause wird festlich getafelt. Besucher werden mit dem gastronomischen Angebot des Restaurants Hebenstreit bei Laune gehalten. 115 Euro muss der zahlende Gast berappen – kein Pappenstiel. Aber Manker bekommt auch keinen einzigen Subventions-Euro: "Es wäre ja schwer möglich gewesen, mitten im Kalenderjahr um Förderungsgelder einzukommen." Mit 600.000 Euro veranschlagt Manker die Kosten. "Mein Eigendeckungsgrad muss 100 Prozent ausmachen" ; immerhin bei Möbeln und Ausstattung erfahre man treusorgende Unterstützung durch das Burgtheater und andere Einrichtungen.

Alma darf auch nach zwölf Jahren noch nicht sterben. Warum macht sich der wahnwitzige Bühnenkünstler Manker auf dem Theater so rar? "Weil es langweilig ist" , wiederholt Manker. Er hat soeben eine pausierende Schauspielerin beauftragt, ihm aus dem nahen Supermarkt ein "Salzstangerl mit Extrawurst" mitzubringen. Ratlos staunt die bundesdeutsche Kollegin ihren Wiener Regisseur an. Die eben auslaufende Burgtheater-Ära habe ihn insgesamt enttäuscht. "Oder wann haben Sie zuletzt eine wirklich gute Aufführung in Wien gesehen?" Manker wartet die Antwort erst gar nicht ab. Er wird, so deutet er an, bei der nächsten Botho-Strauß-Uraufführung in der Inszenierung von Luc Bondy mitwirken. Besonders enthusiasmiert scheint ihn diese verlockende Aussicht nicht zu stimmen.

Zuletzt hat Paulus Manker, dieses unordentliche Genie aus einem begnadeten Theaterhaus (Gustav Manker, Hilde Sochor), mit einer vermeintlichen Beschimpfung des Bundeslandes Kärnten von sich reden gemacht. Vor Gericht wurde ihm recht gegeben – er habe gar nicht alle Kärntner verunglimpfen wollen. Zum Abschied aber versichert sich der Polyhistor noch eines besonders prominenten Fürsprechers: Manker legt triumphierend einen Computerausdruck vor. Gustav Mahler schreibt 1904 aus dem idyllischen Krumpendorf, wo er zu komponieren pflegte: "... Jetzt wo ich so allein herumstrabantze (sic!), schaue ich mir die Bevölkerung ein wenig besser an. So entsetzlich stupid und hoffnungslos ist gewiss in ganz Europa kein Menschenschlag. Trostlos!" Gezeichnet: "Herzlichst Euer Gustav." (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 01.07.2008)