Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war an einem der Spieltage bevor Portugal ausgeschieden war. Kurz nach dem Spiel. Da stand am Swissbeach eine Polizistin neben mir und war stinksauer. Daraus machte die Beamtin auch gar kein Hehl: Fußball meinte sie, sei ihr ziemlich egal. Und solange die Fans so brav, freundlich und nett wie hier wären, genösse sie die Einsätze sogar. Trotz Urlaubssperre und all dem anderen Unfug.

Aber jetzt und hier, meinte sie, fühle sie sich geradezu betrogen: Sie habe extra mit einer Kollegin Dienst getauscht. Statt gelangweilt im Bus zu dösen, stehe sie deshalb nun hier. Wegen Portugal. Wegen Ronaldo. Aber just in dem Augenblick, als der Rasenhase sein Leiber auszog um es zu tauschen, hätte der ORF umgeschaltet. Zu Prohaska. "Und so was," sagte die Polizistin, "habe ich ja selbst daheim."

Liegestuhl

Nicht der ORF sondern ich selbst war dafür Sonntagmittag das Ziel einer Rüge der sonst sehr freundlichen Schweizer Kulturattachée: Dass ich erst jetzt bemerke, dass das Publikum mittlerweile statt auf Schweizer Armeedecken wieder in oder auf Liegestühlen die Spiele verfolgen könne, zeuge von meiner Ignoranz dem Swissbeach gegenüber. Man habe nämlich schon vor zehn Tagen wieder auf Liegestühle umgerüstet. Nicht aus Willkür, sondern weil "wir noch ein paar Mal nachinterveniert haben". Schließlich sei das Armeedecken-Erlebnis ja keine genuin Schweizer Idee gewesen, sondern eine Auflage der Stadt Wien.

Und obwohl die Schweizer Diplomatin das Wort "Schikane" natürlich auch nicht im Zusammenhang mit den absurden Zugangs-Umwegen in den Mund nahm, lag das Vokabel in der Luft. Freilich hat die Sache auch ihr Gutes. Morgen, Dienstagabend, werden die Swissbeach-Liegestühle caritativ versteigert. Und weil sie weniger benutzt wurden als geplant, sind sie besser in Schuss als erwartet. So könnte eventuell mehr Geld zusammenkommen

Glock

Überhaupt Securities: Dass die am Swissbeach mitunter ein bisserl übermotiviert wirkten, war tatsächlich nicht Schuld der Schweizer. Aber die Diplomaten hätten es als unhöflich empfunden, die wahren Zuständigen zu nennen. Noch dazu, wo die auch ein bisserl machtlos sein dürften: Während sich "Stewards" sonst überall auf ihre natürliche oder angemaßte Autorität verlassen, hüpft am Swissbeach ein Mann mit schwarzem Kampfoverall und demonstrativ umgeschnallter Pistole zwischen den anderen Aufpassern umher.

Der Mann, erklären die Betreiber der Strandbar Herrmann (also die Basis unter der Schweizer Eventcamouflage) sei der Chef ihrer Sicherheitsfirma. Und er trage die Schusswaffe "zur Abschreckung". Wen oder was er da abschrecken wolle, sei ihnen, den Betreibern, auch nach einigen Gesprächen mit ihm noch immer nicht ganz klar. Bitten, die Waffe doch abzulegen oder zumindest verdeckt zu tragen, hätten aber bisher nichts gefruchtet.

Anrainer

Dabei werden die echten Probleme heutzutage ja ohnehin nur selten von Schlägern gemacht: Das Werkzeug H, ein netter Club an der Schönbrunnerstraße, übertrug etliche Spiele vor dem Lokal auf einer Leinwand. Den Public Viewing Regeln der UEFA entsprachen Leinwandgröße und Drumherum – aber ein gleich nebenan wohnender Jurist war trotzdem nicht zufrieden. Er sei zwar, ließ er die Lokalbetreiber wissen, selbst glühender Fußballfan, aber es müsse schon alles seine Ordnung haben. Und die sei nun einmal gestört, wenn er zu seinem eigenen TV-Sound exakt den gleichen Soundteppich auch von der Straße höre. Und überhaupt.

Freilich: Dass es tatsächlich nur Ärger bringt, wenn alle gleichzeitig Ähnliches wollen, zeigten auch die Webcams in der Wiener Fanzone. Die konnte man nämlich von daheim aus schwenken. Und auch mit ihnen herumzoomen. Blöderweise wollten das meistens dann eben doch mehrere Online-User gleichzeitig. Deshalb zappelte und ruckelte das Bild wild von links nach rechts, von oben nach unten und von close auf total – und im Endeffekt sah niemand, was er wollte. Außer er ging selbst in die Fanzone

Opus

Obwohl: ich wollte Opus ja gar nicht sehen! Trotzdem war das vielleihct das bezeichnendste Bild der fußballosen Seiten der Euro: Samstagabend war ein spielfreier Abend. Im "Vestibül" des Burgtheaters fand eine "Wir habe es fast geschafft"-Sommerparty statt. Aber vorne, in der Fanzone, genau beim Rathaus, standen plötzlich ein paar dicke ältliche Herren auf der Bühne und taten so, als hätten sie mehr als vier Reihen Zuhörer vor sich: "All together now: Nana na nana – Life is Life." Nur in der ersten der vier Fan-Reihen am ansonsten leeren Platz wippte und sang man mit. Aber der Mann auf der Bühne tat, als rocke er ein ganzes Stadion.

Neben mir stand einer von Radio Wien an einem Vestibül-Stehtisch. Wir plauderten über den Unterschied zwischen dem "Ooo o o o o-ho" der "White Stripes" in den Stadien und dem ranzigen Etwas hier in der Fanzone. Opus holten zum finalen "Life is Life"-Schrei aus. Und als der vorbei war, meinte der ORF-ler: "Gott sei Dank hört die Euro für mich erst morgen im Stadion auf. Mit den White Stripes, nicht mit Opus. Das hilft, das alles hier rasch zu vergessen." (Thomas Rottenberg/30.6.2008)