Linda Herzog, "Mihriban. Türkei Turkey Türkiye 2004-2007". € 35,50 / 120 Seiten. Passenger Books, Zürich 2008

Foto: Cremer
Ein Mädchen allein auf der Straße, die Schulbücher in der Hand, ein Gebirgsband unter weitem, leicht wolkigem Himmel, eine ungeheure Stille ausstrahlend, Schnee in einem Vorort, ganz früh am Morgen. Die Bilder in Linda Herzogs Fotoessay Mihriban kommen einem vertraut und gleichzeitig sehr fremd vor. Viele der Sujets könnten aus Wien stammen, aus dem Tirol oder den Schweizer Bergen, doch sie entstanden in der Türkei, wo die 1972 geborene Fotografin drei Jahre lebte. Geprägt von dem in der Schweiz erworbenen Türkei-Bild, von Klischees also, die ihr nach der Ankunft den Blick zeitweilig verstellten, machte sich die Zürcherin auf, das Land zu bereisen. Von Izmir nach Afyon, von Erzurum nach Van, von Trabzon nach Ankara.

Entstanden sind dabei ungewöhnliche, eingängige Fotos von Menschen, Städten und Landschaften (im Bild der Van-See), von Natur und Kultur, Gruppe und Individuum. Aus dem vorgeprägten Blick Herzogs wurde der erstaunte, faszinierte und daher umso präzisere Fremdlingsblick. "Fremd sein ist nie einfach", sagt sie in einem dem Fotoessay nachgestellten Interview, das in englischer und deutscher Sprache abgedruckt ist. Ein wichtiges Thema, das Herzog schon in ihrem 2005 erschienen Band Birmingham Istanbul Zürich aufnahm, in dem sie in vergleichender Gegenüberstellung verschiedene Lebenswirklichkeiten umriss. In Mihriban, das seinen Titel einem türkischen Frauennamen und bekannten Liebeslied verdankt, verzichtet die Fotografin auf die erklärende Rhetorik der Gegenüberstellung, was gut ist und den Fotos einen Reiz jenseits aller Exotik gibt.

"Wie viel türkische Liebe hat in einem Bus Platz?", hieß es am Mannschaftsbus der türkischen Fußballnationalmannschaft, den man jetzt leider auf den Wiener Straßen nicht mehr sehen wird. Und um Liebe im weitesten Sinne, um Nähe und Distanz und das Bild, das wir uns vom anderen Menschen, der fast immer "der Fremde" ist, machen, geht es auch in diesem empfehlenswerten, ungewöhnlichen Band. (Stefan Gmünder, DER STANDARD/Printausgabe, 28./29.06.2008)