Wien - Senffarben tat La Furia Roja ihrem Kampfnamen am Donnerstag im gewittrigen Wiener Prater Genüge. Das zögerliche, das ungläubige Spanien - es war einmal. Eine Gala gegen Russland brachte das Land in sein erstes großes Finale seit der Europameisterschaft 1984. Damals scheiterte es gegen das Frankreich des heutigen UEFA-Bosses. Epochen liegen dazwischen.

Das Spiel begann mit einem Duell scheinbar nicht enden wollender Ballstafetten, als waren alle 22 Mann erst einmal geneigt ihre technische Brillanz leuchten zu lassen. Die Spanier waren in einem 4-4-2 angetreten, Russland im Prinzip auch. Andrej Arschawin stand dabei bloß ein bisschen hinter dem Kollegen Roman Pawljutschenko postiert. Das war nichts Neues. Mit Marcos Senna begann das Aufbauspiel Spaniens - bei ihm endete das russische. Der Dauerläufer von Villarreal beherrschte den Zentralraum. Er montierte erst Igor Semschow, dann dessen Nachfolger Diniar Biljaletdinow ab. Und was sonst noch auftauchen mochte. Wenn nötig, sicherte er darüber hinaus auf der rechten Flanke ab.

Dort marschierte ein hemmungsloser Sergio Ramos furios. Ein Gigantenduell mit Juri Schirkow schien sich anzubahnen. Beide verschmelzen die Rollen des Außenverteidigers und des Flügelstürmers derart nahtlos ineinander, dass ein Name für ihre Rolle wohl erst gefunden werden muss. Doch Wucht und Entschlossenheit des Madrilenen überwältigten Schirkow zunehmend. Einer der spitzesten russischen Trümpfe stach nicht mehr.

Überraschende weitläufig legten es die Spanier an, mit langen Vorlagen auf Fernando Torres (krachende Duelle mit Wassili Beresutzkij) und - seltener - David Villa. Dessen verletzungsbedingtes Ausscheiden machte Spanien bloß noch stärker. Denn Luis Aragonés brachte mitnichten einen anderen Stürmer, sondern stellte mit Cesc Fábregas auf ein 4-5-1 um. Spaniens Mittelfeld gewann langsam die Überhand. Jemand daraus hervorzuheben ist ein Ding der Unmöglichkeit und würde ihm auch nicht gerecht. Alle waren großartig.

Gegen diesen laufstarken Gegner, mit emsig nach hinten mitarbeitenden Offensivkräften und einer viel besser organisierten Viererkette als jene der Niederlande es gewesen war, blieb Russland ein Versprechen. Seine Tempokombinationen konnte es nie in Stand setzen, es fehlte dafür an diesem Tag auch an der nötigen Sicherheit. Spaniens Strafraum wurde kaum einmal erreicht. Die erste nennenswerte Parade wurde Iker Casillas in Minute 74 abgenötigt. Beschleunigung gelang allein via Tormann Igor Akinfejew, der durch blitzschnelle Auswürfe Konterläufe einleitete. Sehenswert. Doch das blieben Anekdoten.

Konstantin Syrjanow konnte seine immens bedeutende Rolle als Transmissionsriemen nicht ausfüllen und so blieben Pawljutschenko und Arschawin unterversorgt. Pawljutschenko fand in der ersten Halbzeit immerhin eineinhalb Gelegenheiten vor, eine vergab er aus fünf Metern. Es hätte die russische Führung sein können. Ascharwin führte eine Schattenexistenz, manchmal schien es, als sei ein anderer in sein Leibchen mit der Nummer 10 geschlüpft. Er befand sich auf dem Feld, aber nicht im Spiel. War er gehemmt im Angesicht seiner (vermutlich) zukünftigen Kollegen aus der Primera Division?

Nach dem Wechsel hielt Spanien den Ball zunehmend flach, doch ohne in sein selbstverliebtes Kleinklein abzudriften. Das Bemühen um den Endzweck blieb der Primat. Fünf Mann kamen da im Höchsttempo auf die Russen zu, wer wo auftauchte, war für sie nicht mehr absehbar. Quiklebendig überzogen Xavi Hernandez, Andrés Iniesta und David Silva das Terrain mit einem dichten Netz kreuz und quer verlaufender Laufwege. Die Spanier schüttelten wie mit dem Lineal gezogene Passes in erschütternder Selbstverständlichkeit aus den Beinen. Russland ließ es zu - es sollte sein Untergang sein. Im unnachgiebigen Hagel spanischer Präzision begann die Sbornaja, die zauberische Sbornaja, bieder zu wirken. Auch ihr Glaube und ihre Hoffnung schienen unter diesem Feuerwerk zu verdorren. Schultern begannen zu hängen.

Guus Hiddinks Mannschaft wurde müde kombiniert. Spaniens physisch fast fragil wirkendes Mittelfeld obsiegte durch die Geschwindigkeit der Zirkulation. Sie war der Tropfen, der auch den Stein der so hochgelobten russischen Kondition letztlich höhlte. Ausgepumpt und ausgeleiert konnte Russlands Defensiv-Verband den Spaniern immer weniger entgegensetzen. An den Flanken wurden Räume geöffnet (insbesonders links, von wo zwei der drei Tore ihren Ausgang nahmen) und behende genutzt.

Ein Nebeneffekt der spanischen Demonstration: die nachträgliche Rehabilitation Italiens. Dem Weltmeister allein gelang es bisher, die Seleccion zu zwingen, hinter ihre Möglichkeiten zurückzufallen. Roberto Donadoni , geprügelt für seine konservative Marschroute, wird sich etwas besser fühlen. Und Deutschland wird seine Lehren zu ziehen haben. (Michael Robausch - derStandard.at, 27.6. 2008)