Wine 1.0

Es gibt wohl kaum ein anderes Softwareprojekt, das sich ähnlich lange bis zur ersten stabilen Version Zeit gelassen hat: Gut 15 Jahre nach dem Entwicklungsbeginn wurde Mitte Juni die Version 1.0 von Wine veröffentlicht.

Aufgabe

Dass es so lange gedauert hat, verwundert allerdings schon ein Stück weniger, wenn man sich ansieht, welch nicht gerade triviales Unterfangen sich das Projekt zum Ziel gesetzt hat. Wine will Windows-Anwendungen ohne weitere Modifikationen unter Linux/Unix - und seit kurzem auch unter Mac OS X - zum Laufen bringen.

Keine Emulation

Dabei handelt es sich allerdings keinesfalls um einen Emulator, wie schon die Langfassung des Wine-Namens verrät: "Wine is not an emulator". Statt dessen werden Windows-Systemaufrufe auf entsprechenden Linux/Unix-Funktionen "umgeleitet".

Screenshot: Andreas Proschofsky

Vergleich

Für die BenutzerInnen hat dieser Ansatz einige entscheidende Vorteile: Eine Windows-Lizenz wird zum Einsatz von Wine - und damit auch von einer Vielzahl an Windows-Anwendungen - nicht benötigt.

Vorteile

Ein weiteres Plus von Wine gegenüber Virtualisierungslösungen wie VMware oder Parallels (die wohl von vielen Desktop-BenutzerInnen für einen ähnlichen Zweck eingesetzt werden): Es läuft kein zweites vollständiges Betriebssystem im Hintergrund, der Speicherverbrauch ist also erheblich niedriger. Auch erspart man sich die den nach der Installation von Software oft nötigen Reboot, diesen simuliert Wine statt dessen einfach.

Nachteile

Aber natürlich gibt es nicht nur Vorteile: Der Wine-Ansatz hat zur Folge, dass man sich in einer steten Aufholjagd befindet. Kommen unter Windows neue Funktionen hinzu, müssen diese bei Wine erst nachgebildet werden, aktuelle Anwendungen funktionieren entsprechend nicht immer problemlos. Bei einer Virtualisierung ist - da ja ein echtes Windows eingesetzt wird - die Kompatibilität meist höher.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Legacy

Wobei der Kompatibilitätspunkt auch nicht allumfassend gilt, denn Wine hat einen weiteren Trumpf in der Hinterhand: Es unterstützt so gut wie alle alten Windows-Versionen - zurück bis zu Windows 3.11. So manche Legacy-Applikation, die unter Vista den Dienst verweigert, läuft unter Wine noch immer problemlos.

Mitgeliefert

Doch zur konkreten Umsetzung: Wine selbst ist Open Source und wird mit diversen Linux-Distributionen fix ausgeliefert oder findet sich zumindest in deren erweiterten Paketangebot. Ein grafisches Frontend zum Anwendungsmanagement sucht man hier allerdings vergebens, die Installation einer Anwendung erfolgt dann meist per Aufruf von "wine setup.exe" im entsprechenden Verzeichnis.

Angebot

Wer es etwas komfortabler haben will, für den hat Codeweavers, eine der treibenden Entwicklungskräfte hinter Wine, das richtige Angebot: Unter dem Namen Crossover bietet man eine speziell angepasste Wine-Version samt grafischem Frontend und offiziellem Support an. Die aktuelle Version 7 der Software wurde parallel zu Wine 1.0 veröffentlicht, sie ist sowohl für Linux als auch für Mac OS X erhältlich.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Simpel

Die Installation von Windows-Anwendungen ist dabei denkbar einfach gelöst: Offiziell unterstützte Anwendungen werden im Interface von Crossover einzeln aufgelistet, die richtige Auswahl und der Hinweise auf den Ort des Installers - und schon kann es mit der Einrichtung losgehen. Diese läuft dann schon exakt so ab, wie man es sonst von Windows gewohnt.

Offiziell

Zum Thema offiziell unterstützte Anwendungen: Hier konzentriert sich Codeweavers auf eine Liste von besonders prominenten Programmen: Neben allen Microsoft Office-Versionen von 97 bis 2007 sowie Visio und Quicken, zählt dazu etwa auch der Photoshop CS2. An der Unterstützung des CS3 arbeitet man derzeit, diese wurde aber nicht mehr rechtzeitig für Wine 1.0 / Crossover 7 fertig.

AppDB

Das heißt allerdings bei weitem nicht, dass die aufgelisteten Anwendungen die einzigen sind, die mit Wine laufen, die Application Database des Projekts listet mittlerweile tausende Programme auf, die ohne Schwierigkeiten funktionieren. Codeweavers führt zusätzlich eine eigene Kompatibilitätsliste, die den Anwendungen einen individuellen Unterstützungsstatus ausweist.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Flaschen

Ein weiterer Vorteil von Wine / Crossover: Anwendungen werden von Haus aus in seperaten "Bottles" abgelegt, dahinter verbergen sich von einander getrennte Windows-Instanzen. Dadurch kann der einen Anwendung vorgespiegelt werden, dass sie unter Windows 98 läuft, während die andere glaubt in einem XP-Umfeld aktiv zu sein.

Abtrennung

Zusätzlich trennt diese Herangehensweise die Programme von einander ab. Eine Anwendung kann also nicht so ohne weiteres ein ganzes System "zerschießen", bzw. negative Auswirkungen auf andere Applikationen haben.

Integration

Die EntwicklerInnen haben auch einiges an Zeit darauf verwendet Wine / Crossover möglichst komfortabel mit dem umliegenden Betriebssystem zu integriert - dies durchaus mit Erfolg, wie die aktuelle Version zeigt: Windows-Anwendungen werden sowohl unter Linux als auch bei Mac OS X direkt neben den nativen Programmen zur Verfügung gestellt. Der gewohnte Doppelklick zum Start genügt, ein Umweg über ein spezielles grafisches Interface ist so nicht mehr nötig.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Systray

Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Betriebssysteme geht aber noch weiter: So werden etwa Systray-Benachrichtigungen auch unter Linux an der entsprechenden Stelle dargestellt.

Autostart

Nett gemacht auch, dass beim Einlegen einer Windows-Install-CD unter Mac OS X automatisch ein Dialog startet, der die Installation der darin enthaltenen Software per Crossover vorschlägt. Unter Linux lässt sich so ein Autostarter ebenfalls mit ein paar Handgriffen einrichten - so man dass denn überhaupt will.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Spielerisch

Neben Crossover Linux / Mac bietet Codeweavers seit kurzem aber auch eine speziell auf SpielerInnen ausgerichtet Wine-Ausgabe an: Crossover Games lockt mit dem Versprechen zahlreiche Spiele unter Linux und Mac OS X betreiben zu können, die sonst für die beiden Betriebssyteme nicht verfügbar wären.

Auswahl

Dabei gibt es wie auch beim "Office"-Produkt ein Portfolio von offiziell unterstützten Titeln. Neben World of Warcraft und Guild Wars gehören dazu auch zahlreiche Titel aus dem Steam-Universum von Valve. Also etwa Half Life 2 selbst, Counterstrike: Source oder auch "Team Fortress 2" aus der "Orange Box".

Check

Auch hier gilt aber: In der Realität funktionieren wesentlich mehr Titel als auf der Support-Liste des Herstellers aufgeführt werden.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Vergleiche

Zwar bieten auch Desktop-Virtualisierungsprodukte wie der Parallels Desktop oder VMware Fusion mittlerweile rudimentären 3D- und so mit Spielesupport, im direkten Vergleich hat Wine / Crossover Games aber derzeit deutlich die Nase vorne.

Speed

Gut unterstützte Spiele laufen beinahe mit Original-Geschwindigkeit, den unnötigen Ressourcenverbrauch durch den Start eines vollständigen zweiten Betriebssystems erspart man sich hier ebenso. Gerade im Spieleumfeld kein zu vernachlässigender Faktor. Abgesehen davon ist die Wine-Unterstützung für DirectX9 derzeit erheblich besser als die von VMware und Co.

Cedega

Erwähnt sei noch, dass Crossover Games ein direktes Konkurrenzprodukt zu Transgaming Cedega ist, über das schon länger Windows-Spiele unter Linux angeboten werden. Auch Cedega basiert ursprünglich auf Wine, Transgaming hat im Gegensatz zu Codeweavers aber das Gros der eigenen Modifikationen nicht an das Open Source-Projekt zurückgegeben.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Kostenlos

Wer sich partout nicht mit den Kaufangeboten von Codeweavers anfreunden kann, oder schlicht und einfach das Geld sparen will, der findet - wie bereits erwähnt - die selbe Kernfunktionalität aber auch im vollständig freien Wine. Allein die vorgefertigten Profile und der Komfort bei Installation und Management fehlen hier.

Doors

Eigentlich also verwunderlich, dass es bislang noch keine Fülle von grafischen Interfaces gibt, die die ensprechende Funktionalität für das "normale" Wine nachrüsten. Immerhin gibt es mit Wine Doors ein recht ambitioniertes Projekt, das seit einiger Zeit versucht diese Lücke zu schließen. Mit dem kommerziellen Bruder von Codeweavers kann man dabei allerdings noch nicht mithalten.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Fazit

Wine 1.0 / Crossover 7 präsentieren sich als äußerst interessante Lösungen, um schnell mal die eine oder andere Windows-Anwendung - oder auch ein Spiel - unter Linux oder Mac OS X zum Laufen zu bringen. Die Liste der unterstützten Programme ist in den letzten Jahren beeindruckend angewachsen, vor allem im Bereich Games hat sich eine Menge getan.

Einsatz

Anwendungsbeispiele für Wine / Crossover gibt es viele: Sei es die Web-Designerin, die ihre Seiten auch mit dem Internet Explorer 6 testen muss, sei es der Grafiker, der einfach nicht ohne Photoshop zurecht kommt. Oder eben auch jene, die ihre Freizeit gerne mal in Online-Spiele-Welten verbringen - und dafür nicht eigens ein zweites Betriebssystem laufen lassen wollen.

Preise

Wine 1.0 kann kostenlos von der Seite des Projekts heruntergeladen werden. Crossover Linux / Mac gibt es in zwei Ausführungen, einer Standard- und einer Professional-Edition. Die Unterschiede erläutert die zugehörige Produktseite, der Preis liegt zwischen 37 und 64 Euro. Zu bedenken gilt es, dass bei der Professional-Edition auch Crossover Games enthalten ist, das sonst einzeln ebenfalls für 37 Euro angeboten wird. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 29.06.2008)

Screenshot: Andreas Proschofsky