"Der Gusenbauer, der kann von mir aus krepieren", Frau Novotny hält nichts von Zurückhaltung. "Sie verstehen mich schon richtig. Ich meine, dass es mir eigentlich egal ist, was jetzt in der Regierung aus ihm wird. Ihm ist es schließlich auch egal, was aus mir wird." Frau Novotny ist in einem heimeligen, kleinen Wiener Dessousgeschäft in Familienbesitz angestellt. Ende August wird im Schloss des kleinen Ladens endgültig das letzte Mal der Schlüssel umgedreht. "Die Umsätze gehen ständig zurück, der Laden ist unleistbar geworden." Frau Novotny fühlt sich im Stich gelassen.

Sorgen und Nöte

Immer mehr kostet das Leben, immer weniger steht am Gehaltszettel und immer schlechter werden ihre Chancen am Arbeitsmarkt. "Man soll am besten arbeiten, bis man in die Kistn fällt, Jobs gibt es aber keine," greift die ehemalige Kleinunternehmerin auch die Ängste vieler ihrer KundInnen auf. Frau Novotny war einst selbst Unternehmerin und erinnert sich gerne an ihren kleinen Laden im zweiten Wiener Gemeindebezirk. "Nach der Euroumstellung musste ich zusperren," erzählt die patente Dame. Schwarz oder Rot wählt sie schon lange nicht mehr. "Die kümmern sich doch nur um sich selber". Sie gibt unumwunden zu, dass sie auch bei den kommenden Wahlen bei der FPÖ ihr Kreuz machen wird, wie viele ihrer KundInnen. "Ob die in der Regierung so viel besser wären, bezweifle ich zwar, aber zumindest kennen die meine Sorgen."

Mit dieser Einschätzung stimmen derzeit etwa 16 Prozent der österreichischen Bevölkerung überein, nur ein kleiner Teil tatsächlich aus dem rechtsradikalen Spektrum. Wären heute Wahlen, hätte die FPÖ die Grünen wieder an die vierte Stelle verbannt. Zählt man die Umfragewerten des BZÖ dazu, nähert sich das rechte Lager in Österreich langsam aber stetig dem Spitzenwert von 1999 an. 26,9 Prozent konnte die Haider-FPÖ bei den Nationalratswahlen damals machen. "Das Potenzial ist da," meint Eva Zeglovits, Meinungsforscherin am Institut Sora. Die FPÖ nutze derzeit geschickt die durch die Turbulenzen in der Regierung entstandene "gegen die da oben"-Stimmung für sich aus.

Bewährte Konzepte

"Man muss nur auf bewährte Konzepte zurückgreifen. Die da heißen: Gegen Fremde, gegen die Obrigkeiten, gegen die EU. 27 Prozent sind aber - noch - utopisch," meint Zeglovits. Auch wenn die Großparteien versuchen, selbst populistischer zu werden, so ihr Kollege Christoph Hofinger, gilt im Grunde, dass man lieber zum "Schmied als zum Schmiedl" geht. Der Schwenk der SPÖ auf die populistische EU-Linie wird der SPÖ laut Einschätzung Hofingers eventuell die eine oder andere Stimme aus dem rot-blauen Segment sichern können. "Niemand kann das derzeit wirklich beurteilen".

"Ich bin nur froh, dass ich meine Pension noch fix hab", zeigt sich eine Seniorin vor dem Geschäft erleichtert. "Die Jungen sind ja die Armen," meint sie und deutet auf ein Grüppchen Jugendlicher auf der Parkbank vor dem Laden. "Die finden keine Lehrstellen und müssen arbeiten bis ins hohe Alter." Sie, eigentlich immer Sozialdemokratin, wird bei den kommenden Wahlen auch erstmals die FPÖ wählen. "Die schauen wenigstens auf unsere Leut." Die Jugend auf der Parkbank würde am liebsten gar nicht wählen, die Regierungsparteien schon mal gar nicht. Und Grün? "Zu arrogant", kommt die Antwort wie auf Kommando.

Keine Alternativen

Wortkarger verhält sich eine Gruppe von Bauarbeitern, die im Beisl am Eck beim Mittagsgericht sitzen. Cordon Bleu mit Kartoffelsalat. Zur aktuellen Regierung wollen sie nichts sagen, "da wäre jedes Wort verschwendet", nur soviel, wählbar seien diese Parteien jedenfalls nicht mehr. Aber schuld daran, dass man mit dem Gehalt mehr schlecht als recht über die Runden kommt. Alternativen sehen die Männer im politischem Spektrum kaum, die FPÖ ist da einfach das geringere Übel.

Modernisierungsverlierer

Aber nicht nur der schlechte Ruf der Regierungsparteien ist ein Grund, als sozialdemokratischer oder christlichsozialer Wähler mit wehenden Fahnen zur FPÖ überzulaufen. "Eines der Hauptmotive ist immer noch die sich ständig verschlechternde wirtschaftliche Situation von so genannten 'Modernisierungsverlierern'", analysiert Jörg Flecker von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt. Der Mitautor der Studie "Die populistische Lücke" hat die Motive dafür, seine Stimme rechtspopulistischen Parteien zu geben, in zahlreichen Interviews ergründet.

"Ungerechtigkeitsgefühl, Abstiegsängste und Unsicherheiten haben in den letzten Jahren noch zugenommen," erläutert Flecker. Prekäre Arbeitsverhältnisse, "Armut trotz Arbeit", die Ungewissheit, ob man auch im Alter abgesichert sein wird, seien Faktoren, die die Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren lassen. Der aktuelle Preisanstieg bei Lebensmitteln tut sein Übriges. Immer mehr Menschen sind bereit, den etablierten Parteien den Rücken zu kehren und eine "Proteststimme" gegen Rot-Schwarz abzugeben.

Zu wenig Sozialkompetenz

Das große Manko dieser Parteien sei, dass sie Ängsten nicht entgegenarbeiten. "Ständig die Formel zu bemühen, dass der Sozialstaat unfinanzierbar sei, ist äußerst kontraproduktiv," so Flecker. Viele Jahre lang hätten ÖVP und SPÖ die Unsicherheit noch rhetorisch verstärkt, indem sie trommelten, die Leute müssten auf dem Arbeitsmarkt viel flexibler sein.

Die FPÖ biete dahingegen einfache Lösungen. Wenn der Sozialstaat nicht finanzierbar ist, dann müsse die Menge der Nutznießer eben reduziert werden. "Ausländer", vor allem diejenigen einer "fremden Kultur" sollen nicht mehr am kleiner werden Sozialstaatskuchen mitnaschen. Für viele eine eingängige Botschaft, schließlich habe man "nichts zu verschenken", wie es einer der Bauarbeiter ausdrückt. Dass das Wirtschaftsprogramm der Freiheitlichen nicht die Sprache des Sozialstaates spricht, sondern die von Liberalisierung, Leistungsprinzip und Deregulierung, bleibt unbemerkt.

Markt für Sozialpopulisten

Prinzipiell, meint Christoph Hofinger von Sora, sei nicht in Stein gemeißelt, dass nur rechtspopulistische Parteien die neue politische Heimat von ProtestwählerInnen sein müssten. Sozialökonomische Sorgen und Nöte könnten auch von einer linkspopulistischen Partei ausgenutzt werden, die Grünen wären das aber nicht. Ein "Zuspitzungsproblem" in der sozialpolitischen Agenda, attestiert Hofinger der Partei, die in Umfragen derzeit bei 14 Prozent liegt. Das Potenzial für eine populistischere "Linkspartei" sieht Hofinger gegeben. Es fehle nur an den Strukturen. "Der Markt für Sozialpopulisten könnte eventuell nach der Formel 'Dinkhauser x Lafontaine' beackert werden", so Hofinger. Die Menschen würden so ein Angebot zumindest aufnehmen: "Bühne frei für einen sozialpolitischen Protest." (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 1.7.2008)