Umsatzsteuerkarusselle sind eines der profitabelsten Werkzeuge der Wirtschaftskriminalität in Europa: Firmen erwerben Waren umsatzsteuerfrei aus dem EU-Ausland, verkaufen sie mit Umsatzsteuer weiter und tauchen dann ab, ohne die Steuer an den Fiskus abzuliefern. Wenn der Käufer den Vorsteuerabzug geltend machen will, kann es passieren, dass die Finanz dies mit dem Hinweis verweigert, er hätte wissen müssen, dass der "Missing Trader" ein Betrüger ist. Oft werden leicht transportierbare Waren – etwa Handys oder Computerchips – mehrmals im Kreis geschickt; daher der Begriff Karussell. Die Verluste werden EU-weit auf bis zu 60 Mrd. Euro geschätzt, in Deutschland 17 Mrd. Euro, in Österreich 1,5 Mrd. Euro. Es gebe derzeit kein Patentrezept, um diesen Betrug wirklich wirksam zu bekämpfen, meint der Umsatzsteuerexperte Dietrich Kellersmann von PricewaterhouseCoopers Deutschland, der vor kurzem ein Seminar des Instituts für Österreichisches und Internationales Steuerrecht an der WU Wien und PwC zu diesem Thema abhielt.

Nein zu Reverse Charge

Von Deutschland und Österreich unterstützt wird das von der EU-Kommission abgelehnte Reverse-Charge-Prinzip, wonach bei grenzüberschreitenden Transaktionen der Käufer und nicht der Verkäufer die Umsatzsteuer abführen müsste. Noch radikaler ist der Vorschlag, die USt. bei Geschäften zwischen Unternehmen überhaupt abzuschaffen und erst beim Verkauf an den Endverbraucher draufzuschlagen. Doch dadurch erhöht sich der Anreiz zum Steuerhinterziehen, weil der Letztverkäufer keinen Vorsteuerabzug geltend machen kann und daher kein finanzielles Interesse an der Bezahlung der USt. hat. Ein Ausweg wäre eine strikte Überwachung aller Umsätze durch die Behörden, doch dies würde sehr viel Datenkapazität notwendig machen und wäre "ein Schritt zum gläsernen Unternehmen" , warnt Kellersmann.

Ursprungslandprinzip Die beste Lösung auf dem Papier wäre das Ursprungslandprinzip, wonach grenzüberschreitende Lieferungen nicht mehr USt.-frei sind. Bei einem Verkauf von Österreich nach Deutschland würde der Lieferant die USt. an Österreichs Fiskus abliefern und der deutsche Käufer die entsprechende Vorsteuer von deutscher Seite zurückbekommen. Österreich würde dann die Einnahmen zulasten Deutschlands kassieren. "Grundsätzlich profitieren davon die Exportländer. Deshalb braucht es einen Ausgleichsmechanismus, doch der ist politisch schwierig" , sagt Kellersmann. Seit Jahren sei der Wechsel zum Ursprungslandprinzip daran gescheitert, "dass keiner dem anderen über den Weg traut" . Bleibt als Ausweg nur die Fortsetzung des Katz-und-Maus-Spiels zwischen Fiskus und Unternehmen, die im Fall von USt.-Betrug beweisen müssen, dass sie die Ware guten Glaubens erworben und deshalb Anspruch auf Vorsteuerabzug haben. Die Kriterien dafür hat der Europäische Gerichtshof in seiner Judikatur zum Teil festgelegt. Doch die Rechtssicherheit lasse immer noch zu wünschen übrig, warnt Kellersmann. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.6.2008