Man kann nicht behaupten, dass Gesine Schwan keine präsidialen Erfahrungen hat. Präsidentin der deutsch-polnischen Viadrina-Universität im ostdeutschen Frankfurt/Oder ist sie ja schon. Ab Mai 2009 jedoch soll die 65-jährige Politologin in die politische Bundesliga aufsteigen und Staatsoberhaupt aller Deutschen werden.

Zugegeben: Eine Bundespräsidentin Schwan, das hätte was. Schwan wäre die erste Frau in diesem Amt, sie ist eloquent, gebildet und hat nicht ohne Grund bei ihrem ersten Antreten gegen Horst Köhler im Mai 2004 auch aus dem konservativen Lager Stimmen bekommen. Die deutschen Sozialdemokraten könnten also froh sein, diese Frau „ihre“ Bundespräsidentin nennen zu dürfen.

Doch leider – an dieser Stelle müssen die roten Tagträume auch schon wieder unterbrochen werden. Denn Schwan mag zwar als Person ihre Stärken haben. Die Umstände ihrer Nominierung hingegen entsprechen eher dem altbekannten „management by chaos“ in der SPD.

SPD-Chef Kurt Beck hat wieder einmal eine bemerkenswerte Kehrtwendung vollzogen. Noch vor einigen Monaten erklärte er, Köhler sei ja kein schlechter Präsident – was so viel bedeutet wie: „Den wählen wir Sozialdemokraten beim zweiten Mal doch glatt mit.“ Jetzt aber will Beck davon nichts mehr wissen und gibt damit erneut eine Kostprobe politischer Wackelei. Bei der Annäherung an die Linkspartei war es ja genauso. Nie und nimmer werde die SPD in den Westländern mit den Linken paktieren, tönte Beck vor der Hessen-Wahl. Doch dann, schwuppdiwupp, als die Macht für Andrea Ypsilanti in greifbarer Nähe schien, war Beck plötzlich durchaus bereit, sich mit den Linken ins hessische Koalitionsbettchen zu legen.

Es ist unglaublich, aber die Scherben des hessischen Desasters sind noch gar nicht alle aufgekehrt und weggeräumt – da schielt Beck schon wieder zur Linkspartei. Getrieben wird er dabei erneut von seiner Vizechefin Andrea Nahles. Schwans zweite Kandidatur für die SPD war ihre Idee.

Kein Wunder, dass die Union stinksauer ist. Dass der eigene Koalitionspartner den amtierenden Bundespräsidenten mithilfe der Linken abwählen will – das ist ein beispielloser Affront. Da kann die SPD noch so oft behaupten, sie habe als Volkspartei das Anrecht auf eine eigene Kandidatur.

Vielmehr setzen die Sozialdemokraten auf Schwan, weil sie hoffen, dass von der beliebten Professorin ein wenig Glanz auf ihre eigene, wenig erbauliche Darbietung abfällt. Ab sofort ist Schwan Kandidatin, ab sofort also alles von Interesse, was sie sagt – und die SPD wird mit der nicht eben schüchternen Professorin selbstverständlich einen Wahlkampf führen, dass Horst Köhler in seinem eifrigen Bemühen um staatstragende Ausgewogenheit Hören und Sehen vergeht.

Vielleicht schafft es Schwan dann im kommenden Mai mithilfe der Linken ja wirklich ins Berliner Schloss Bellevue. Völlig ausgeschlossen ist das diesmal nicht. Dann wird die SPD ungeheuer stolz sein – allerdings nur ein paar Monate lang. Denn der Preis für eine eigene, von der Linkspartei ins Amt gehievte Präsidentin wird sehr, sehr hoch sein. Wer soll Beck danach noch glauben, dass er nach der Bundestagswahl kurz darauf nicht mit den Linken paktiert, wie er jetzt dauernd beteuert? Kein Mensch, der halbwegs bei Sinnen ist, wird dies tun.

Zu verdanken aber ist dies nicht Beck allein, sondern auch allen anderen SPD-Granden, die am Montag einstimmig für Schwans Nominierung stimmten. Einmal (Hessen) nach links zu driften, mag noch als Ausrutscher durchgehen. Beim zweiten Mal aber riecht es doch sehr nach Kalkül. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.5.2008)