Foto: Montan

Ein Keller, aus dem Rufe dringen, die keiner gehört haben will. In einem Land, das jetzt um Rufschädigung besorgt ist. Dies alles weitergedacht in einem Text, den man nur im Netz lesen darf: Elfriede Jelinek hat ihn unter dem Titel "Im Verlassenen" auf ihre Homepage gestellt, und auch für ihre Auslassungen zu Amstetten gilt, was sie für www.elfriedejelinek.com fordert: "Sämtliche hier wiedergegebenen Texte sind urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne ausdrückliche Erlaubnis in keiner Form wiedergegeben oder zitiert werden."

Nicht zitiert werden darf also auch aus einem Opus magnum, das die österreichische Literaturnobelpreisträgerin soeben (zumindest vorläufig) auf dieser Homepage fertiggestellt hat und nicht in gebundener Form publizieren wird: "Neid", ein "Privatroman", schließt einerseits mit einer titelgebenden Todsünde an Jelineks Romane "Lust" und "Gier" an. Andererseits modert auch hier wieder heimische Provinz naturkitschig und sportbeseelt vor sich hin wie in "Die Kinder der Toten". Und die von ihrem Mann betrogene Musiklehrerin Brigitte K., von Jelinek - Vorsicht Zitat! - als "altes Ego" bezeichnet: Sie könnte eine Verwandte der "Klavierspielerin" sein.

Kurz: Vieles ist vergleichbar in diesem Prosakonvolut, das gleichzeitig dem Medium Internet entsprechend in Abschweifungen (etwa zu Natascha Kampusch) wie ein rabiates Virus das restliche Werk Jelineks zu infizieren scheint. Tatsächlich unvergleichlich im Literaturbetrieb, der beständig Neu- erscheinungen in die Auslagen der Buchhandlungen pusht, ist aber die Radikalität, mit der sich Jelinek dem (Jahr-)Markt verweigert. "Ich bin weg": Das sagt die in Wien und München ansässige, 1946 in Mürzzuschlag geborene Schriftstellerin spätestens seit der Nobelpreisverleihung 2004.

Schon damals mochte sie die traditionelle Dankesrede in Stockholm nicht halten und sandte stattdessen eine Videobotschaft. Und wenn sie auch ihre steigende Zurückgezogenheit sehr plausibel mit Angstzuständen erklärt, so scheint sie, quasi als "Kunstfigur", zunehmend eine Geistesverwandte von Thomas Pynchon zu werden (dessen Enden der Parabel sie 1976 übersetzt hat).

Während Pynchon, von dem es kaum Fotos gibt, zugunsten gigantischer Romane (zuletzt: "Gegen den Tag") verschwindet, ist Jelinek im Netz unangreifbar und präsent zugleich. Gut möglich, dass sie "Neid" demnächst wieder aus dem Netz holt. Bis dahin gilt: "Unvollständige oder fehlerhafte Sätze bitte (jeder für sich selbst) ergänzen bzw. korrigieren!" (Claus Philipp / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.5.2008)