Michael Chabon: "Die Vereinigung jiddischer Polizisten"

Gebundene Ausgabe, 422 Seiten, € 20,60, Kiepenheuer & Witsch 2008.

US-Erfolgsautor Michael Chabon hat sich in seinen Romanen und Kurzgeschichten nicht nur immer wieder mit jüdischer (Alltags-)Geschichte befasst, seit den Nuller-Jahren verbindet er dies auch mit einer Hinwendung zur Phantastik - und dem erklärten Ziel herkömmliche Genregrenzen zu überwinden. Im 2000 geschriebenen Roman "Die unglaublichen Abenteurer von Kavalier & Clay" (Pulitzer-preisgekrönt und sehr empfehlenswert) geschah dies noch eher peripher in Form einer Geschichte über zwei Cousins, die anhand des von ihnen erfundenen Superhelden The Escapist zum Symbol für die Goldene Ära der Comics in den USA werden; einen kleinen - und höchst passiven - Auftritt hat in dem Buch auch der Golem. Für seinen ebenso gelungenen Roman "Die Vereinigung jiddischer Polizisten", im Mai mit dem diesjährigen Nebula-Award ausgezeichnet, hat Chabon das Genre des Alternativweltromans gewählt.

Die Atombombe fiel auf Berlin, die USA führten Krieg auf Kuba - es ist nicht einfach ein Ereignis, das zu einem veränderten Ablauf der Geschichte führte. Das eine für den Roman entscheidende ereignete sich aber im Jahr 1948: Der Staat Israel überlebte nur drei Monate, ehe er von seinen Nachbarn vernichtet wurde und die aus Europa evakuierten Juden sich erneut auf der Flucht wiederfanden. Angesiedelt wurden sie schließlich in der Region um die Stadt Sitka in Alaska, in der nun, 60 Jahre später, etwa 3,2 Millionen Juden leben. Chabon schildert in unglaublicher Detailfülle eine gleichermaßen bizarr und vertraut wirkende Welt, in der osteuropäische und US-amerikanische Züge mit arktischer Umgebung und der zurückgedrängten Gesellschaft der dortigen UreinwohnerInnen kollidieren (für die zahlreichen im Text vorkommenden jiddischen Ausdrücke empfiehlt sich übrigens das Glossar im Anhang).

Die beschriebene Welt ist in jeder Beziehung dicht: Bunt, zugleich nahezu hermetisch vom Rest der Welt abgeschlossen (speziell was die Lebenswelt der verschiedenen in Sitka vertretenen orthodoxen Sekten betrifft) und bedrückend: Denn der Sonderstatus Sitkas als Bundesdistrikt läuft aus - die Reversion lässt es an die USA zurückfallen. Nur eine Minderheit der Juden wird bleiben dürfen, die anderen sind nirgendwo auf der Welt gewollt. In der allgemeinen Atmosphäre des Niedergangs agiert als exemplarische Figur Meyer Landsmann, ein desillusionierter Polizei-Detective in seinen Vierzigern. Religiöser Fundamentalismus und der Umstand, dass seine Ex-Frau Bina zu seiner neuen Vorgesetzten wird, machen ihm die Ermittlungen im jüngsten Mordfall schwer. Erst recht, als sich erweist, dass diese Ermittlungen von oberster Stelle nicht erwünscht sind, und dass das Opfer ein Tzaddik ha-Dor, ein Messias seiner Generation, war.

Chabons blumige Beschreibungen ("er spricht wie ein Wurstrezept mit Fußnoten") und die sarkastische Grundhaltung der ProtagonistInnen sorgen für Lacher am laufenden Meter - doch ist es der Humor, der auf einer tiefen Traurigkeit gedeiht. "Die Vereinigung jiddischer Polizisten" ist, wie viele gute Werke aus der Phantastik, als Parabel zu lesen: auf die in diesem Falle fortdauernde Geschichte der Diaspora, aber auch auf die durchaus problematischen Entwicklungen abgeschlossener Gesellschaften und die Siedler-Konflikte Israels. In den letzten Kapiteln, als sich die Hintergründe des Mordfalls langsam offenbaren, nähert sich die Romanwelt der unseren wieder auf erschreckende Weise an, wenn es um die Machenschaften des - mit wesentlich mehr Macht ausgestatteten - christlichen Fundamentalismus geht ...

Ein exzellent geschriebenes, vielschichtiges Buch, das seiner grenzüberschreitenden Intention vollauf gerecht wird.

Coverfoto: Kiepenheuer & Witsch

John Meaney: "Tristopolis"

Broschiert, 508 Seiten, € 9,20, Heyne 2007.

Vielleicht könnte mal jemand einen virtuellen Atlas der Moloch-Städte erstellen: von der Urmutter Metropolis über China Mievilles New Crobuzon und Jeffrey Thomas' Punktown bis zum liebenswert-scheußlichen Ankh-Morpork Terry Pratchetts. Ein Ehrenplatz gebührte darin auch dem morbiden Tristopolis, in dem sich Wolkenkratzer in Adler- oder Totenschädelform einem purpurfarbenen Himmel, aus dem es Quecksilber regnet, entgegen recken. Wo man am liebsten Schwarz trägt, auf intelligenten Motorrädern aus Knochen über den Hellvue Boulevard brettert - und vor allem eines: wo die Energie aus dem Nekroflux kommt. Unterirdische Reaktoren ziehen sie aus den Gebeinen Verstorbener, die die Ewigkeit in fortwährender Qual verbringen.

Optisch hat man sich am besten eine Gothic-Variante der 30er Jahre vorzustellen. Wir schreiben zwar das Jahr 6607, doch hat dieses Datum nur eingeschränkte Bedeutung, wie der kurze Verweis des Protagonisten Donal Riordan auf einen kürzlich gelesenen Roman über eine "Parallelwelt" zeigt, in der es keinen Nekroflux gibt und Menschen die einzige intelligente Lebensform sind. Also keine Katzenmenschen, Todeswölfe oder gar Geister ... Polizeiinspektor Riordan erhält den Auftrag eine Operndiva vor einer Verbrecherbande, die es auf die Knochen genialer KünstlerInnen abgesehen hat, zu schützen. Er scheitert damit schon früh im Buch - die sich vermeintlich abzeichnende Romanze zwischen den beiden ist nur eine von vielen falschen Fährten gewesen, auf die John Meaney die LeserInnen lockt - bis hin zum überraschenden Schluss. Erst aber wird Donal von einer Spezialeinheit unter Führung der auf sehr aktive Weise toten Laura Steele rekrutiert, um die Hintergründe der Knochenjagd aufzudecken.

Der eigentliche Plot ist eine ziemlich konventionell gestrickte Polizeiermittlungsgeschichte - doch spielt das angesichts des phantasmagorischen Settings nur eine Nebenrolle. Was anfangs noch wie ein zu Disneyland antagonistischer Themenpark in Sachen Tod wirkt, wird immer reizvoller, je bereitwilliger man sich darauf einlässt. In typisch britischer Fabulierlust führt Meaney seine Grundidee noch in die extremsten Ausformungen weiter - ein würdiger Vertreter der New Weird-Richtung, die mit AutorInnen wie China Mieville, Steph Swainston oder Jeff VanderMeer mit das Interessanteste auf dem derzeitigen Phantastikmarkt hervorgebracht hat. Speziell Mieville dürfte Meaney stark beeinflusst haben.

Ein Beispiel von vielen, wie "Tristopolis" sich über herkömmliche Genre-Grenzen hinwegsetzt: Zwar ist Magie omnipräsent, doch hat sie in der beschriebenen Weise - Geister, die wie K.I.s technische Geräte betreiben, oder Infoströme, die sich durch das Netzwerk des Hex bewegen - kaum mit Fantasy zu tun, sondern zeigt in verblüffender Ähnlichkeit Züge des Cyberpunk.

Kurz gesagt: Am besten alle Erwartungshaltungen vergessen und freudig den Irrsinn akzeptieren - für August diesen Jahres ist ein weiterer Band angekündigt.

Coverfoto: Heyne

Jennifer Fallon: "Gezeitenstern-Saga 1: Der unsterbliche Prinz"

Broschiert, 652 Seiten, € 15,40, Egmont Lyx 2008.

Eine echte Perle in dem an Titeln nicht armen Fantasy-Genre! Schon der Ansatz der australischen Autorin Jennifer Fallon ist originell: Die Handlung entspinnt sich nicht um eine Queste oder eine Coming-of-Age-Thematik - womit die Fantasie allzuvieler AutorInnen schon ausgeschöpft wäre -, sondern um die Begegnung einer Fürstin mit einem verurteilten Mörder, der ihr Geschichten aus der Vergangenheit erzählt. Einer wahrhaft unglaublichen Vergangenheit.

Fürstin Arkady Desean ist hobbymäßig Historikerin und unter anderem mit den Legenden der Crasii, der halb-tierischen Sklavenrassen der Menschheit, vertraut. Diese Legenden ranken sich um die Gezeitenfürsten: allmächtigen Unsterblichen, die einst die Welt Amyrantha beherrscht und vor 1.000 Jahren, ehe sie verschwanden, verwüstet haben sollen. Im Gefängnis sucht sie den Sträfling Cayal auf, weil dieser behauptet ein solcher Gezeitenfürst zu sein. Sie hört sich seine zunächst lächerlich klingenden Erzählungen aus dem Zeitalter vor dem Weltenende an und ist eifrig bemüht, Cayal in vor Witz und Schlagfertigkeit sprühenden Rededuellen als Schwindler zu entlarven. Schließlich, mag auch der technische Stand auf Amyrantha dem einer üblichen Fantasy-Welt entsprechen, ist man aufgeklärt in ihrem Teil der Welt: Religion spielt keine Rolle, der Gedanke an Magie ist ein schlechter Witz und für den Ursprung der Crasii, die behaupten von den Gezeitenfürsten zu ihren Diensten geschaffen worden zu sein, hat man eine plausible Evolutionstheorie entwickelt.

Dass Cayal augenscheinlich über keine beweisbaren magischen Kräfte verfügt, erklärt er damit, dass seit langer Zeit kosmische Ebbe herrsche - "wie praktisch", ätzt Arkady ... aber so langsam häufen sich die Indizien, dass an Cayals haarsträubenden Geschichten etwas dran sein könnte, und - schlimmer noch - dass die Flut wieder einsetzt. Arkady wird immer mulmiger zumute: Der Gedanke an 22 egomanische, skrupellose und von der Ewigkeit gelangweilte Quasi-Götter von ausgesprochen vulgärer Herkunft, die einander zwar zu ihrem großen Verdruss nicht einmal selbst töten, dafür aber bei Erlangung ihrer vollen Macht ganze Kontinente verwüsten können, entsetzt sie ... und lässt nebenbei auch die Sagenwelt des alten Griechenland in einem neuen, weniger heimeligen Licht erscheinen.

Fallon gelingt mit der "Gezeitenstern-Saga" ein großer Wurf, nicht zuletzt weil sie scheinbar Unvereinbares unter einen Hut bringt: Ein zeitlich wie räumlich weitgesteckter Weltentwurf (angefangen schon bei der Karte auf den Umschlaginnenseiten, auf der statt der üblichen paar Länder der ganze Globus von Amyrantha mit unzähligen Ortsangaben enthalten ist), das Eingehen auf soziale und ökonomische Verhältnisse sowie Spannung auf der Gegenwarts- wie auf der Vergangenheitsebene. Dazu kommen teils genialer Wortwitz, der den epischen Fluss keineswegs zerstört, sondern sehr lebendig macht, und eine glaubwürdige Charakterisierung unterschiedlichster Haupt- und Nebenfiguren - vom Hundemenschen Warlock bis zu den durch ihre Unsterblichkeit jeder menschlichen Moral enthobenen Gezeitenfürsten.

Wer daran denkt in absehbarer Zeit nur ein einziges Fantasy-Buch zu kaufen: das wäre es. Und es kommt mehr als nur die Flut: Bereits im September erscheint die Fortsetzung "Die Götter von Amyrantha".

Coverfoto: Egmont Lyx

Kai Meyer: "Hex"

Broschiert, 333 Seiten, € 8,20, Bastei Lübbe 2008.

Die bekannten - und zumindest als Überlieferung realen - Lichterscheinungen über der Stadt Nürnberg im Jahr 1561 werden zum Ausgangspunkt von Kai Meyers Roman, der nun auch als Taschenbuch erschienen ist: Den Prolog teilen sich ein Priester, der zum historischen Stichtag "die Thronwagen Gottes" beobachten wollte, und der Wissenschafter Jakob Eisenstein, der nahe Berlin im Jahr 1920 verschwindet. Beide werden zum Zeitpunkt der Haupthandlung wieder auftauchen, wenn auch ... anders.

Der eigentliche Plot entfaltet sich um Sina Zweisam und Max von Poser, zwei Agenten der Abteilung Sechs, inoffiziell "Hex" genannt, der Abteilung für unbearbeitete Reichsangelegenheiten im Deutschland der 20er Jahre. Wegen eines Luftschiff-Unfalls, der unerwartete Verheerungen angerichtet hat, werden sie auf Aufklärungsmission nach Grönland geschickt. Ein Auftragskiller, der eine Marotte für Magie hat (im Zaubertrick-, nicht im Fantasy-Sinne), heftet sich auf ihre Fersen: nicht die einzige pittoreske Nebenfigur - da gäbe es noch einen Archivar, der mit seinem Kehlkopftumor spricht (und Antworten erhält) oder einen zweikampfgestählten Leierkastenmann.

Die Handlung führt sie vom Polarkreis zurück nach Deutschland, wo zwar noch nicht die SA, aber dafür andere paramilitärische Einheiten die Straßen patrouillieren: Besonders dort, wo sich das Zentrum einer landesweiten Verschwörung befindet, die sich um die historischen Lichterscheinungen dreht und alle Handlungsstränge - manche davon ein wenig überhastet - zusammen führt.

Wen die Abteilung für unbearbeitete Reichsangelegenheiten noch nicht auf die richtige Spur gebracht hat, der muss nur wenige Buchstaben in den Namen der ProtagonistInnen vertauschen (Fox statt Max, Dana statt Sina), um "Hex" als Hommage zu erkennen: Zum Zeitpunkt des Ersterscheinens (1997 bei Econ) noch offensichtlicher als heute. Und so spielt es auch keine schwerwiegende Rolle, dass die Hauptfiguren - speziell Sina - sich eher wie Menschen unserer Zeit als der des beginnenden 20. Jahrhunderts verhalten. Inzwischen, ein gutes Jahrzehnt später, ist es Mode geworden Phantastik-Elemente mit historischen Settings des 17. bis 19. Jahrunderts zu verquicken (man denke nur an Greg Keyes, Naomi Novik, Martha Wells oder auch Neal Stephenson) - da wirkt "Hex" fast noch einen Tick frischer als damals.

Coverfoto: Bastei Lübbe

James Graham Ballard: "Paradiese der Sonne"

Broschiert, 219 Seiten, € 15,40, Edition Phantasia 2008.

Zu einer Zeit, da Visionen des künftigen Weltklimas noch eher in Richtung neue Eiszeit tendierten, schrieb J. G. Ballard bereits vom Siechtod der Erde in Hitze und Überflutung. Wenngleich der Auslöser der globalen Veränderung hier nicht der Mensch, sondern verstärkte Sonnenaktivität ist. "The Drowned World", 1962 geschrieben, ist auf Deutsch schon einmal als "Karneval der Alligatoren" (1972 bei Heyne) erschienen und nun in Neuübersetzung bei der Edition Phantasia herausgegeben worden.

Die Katastrophe liegt bei Beginn des Romans bereits einige Jahrzehnte zurück - Hauptfigur Robert Kerans kennt die Welt nicht anders, als sie jetzt ist. Als wissenschaftlicher Begleiter einer Expedition, die brauchbare Erbstücke der sterbenden Zivilisation und versprengte Menschen einsammeln soll, hält er sich in einer der überschwemmten Städte Europas auf. Es ist wohl London, könnte aber auch Paris oder Berlin sein, das spielt für ihn keine Rolle. Sehen ohnehin alle gleich aus: Vom Dschungel überwucherte, bei Tageslicht unerträglich heiße Lagunen, in denen Alligatoren und immer größer werdende Leguane und Insekten die Herrschaft angetreten haben. Es hat etwas unendlich Deprimierendes, wenn beiläufig beschrieben wird, wie sich einer der Leguane eine vorbeifliegende Fledermaus schnappt - eine der letzten überhaupt noch existierenden Säugetierspezies und ein schlechtes Omen für die Zukunft der paar Millionen Menschen, die sich in die "nur" subtropischen Polregionen geflüchtet haben.

Ballards Fokus lässt sich am besten im Vergleich mit einem Roman von ähnlichem Grundszenario erkennen: Auch in Norman Spinrads "Greenhouse Summer" (1999; Deutsch: "Das tropische Millennium") ist der Treibhauseffekt Realität geworden, die tropischen Regionen sind nicht mehr bewohnbar. Spinrad baut darauf jedoch ein satirisches wirtschaftspolitisches Intrigenspiel zwischen Erwärmungsgewinnlern und der Klimaschutzindustrie auf - keine der beiden Seiten entspricht heutigen Vorstellungen von positiv oder negativ.

Ballard hingegen interessiert sich für die psychologischen Auswirkungen des schleichenden Wärmetods: Die im Roman beschriebenen Menschen verlieren allmählich ihre festen Bindungen - sowohl an ihre Mitmenschen als auch an die Realität: Ein halluzinatorisches Fieber tritt in Folge der steigenden Hitze auf und lässt die ProtagonistInnen - bin hin zum surrealen Ende - auf eine vormoderne Bewusstseinsebene sinken. Oder, angesichts der veränderten Welt, vielleicht auch steigen.

Coverfoto: Edition Phantasia

Tom Lloyd: "Sturmkämpfer"

Broschiert, 656 Seiten, € 13,40, Heyne 2008.

Für alle, die's gerne martialisch haben und sich inhaltlich nicht zu weit von ihren ausgedehnten Michael Moorcock- und Raymond Feist-Sammlungen entfernen wollen, hier das Romandebüt des 29-jährigen Tom Lloyd.

Über dem Land, das der Brite für "Stormcaller" entwirft, müssen höhere Mächte reihenweise Schalen des Zorns ausgegossen haben: Menschen liegen untereinander ebenso wie mit ihren nicht-menschlichen Nachbarn im Streit, darüber tobt das Gezänk der Götter, die durchaus aktiv in die Kriege der Sterblichen eingreifen und durch die Bank keine Sympathen sind. Vor langer Zeit trugen Elfen den Krieg in den Himmel - die damalige Schlacht, in der auch Götter fielen, hat ein riesiges Ödland und eine Reihe verstreuter magischer Waffen hinterlassen, auf die sich seitdem alle Begehrlichkeiten richten.

Die Hauptfigur heißt Isak - aufgewachsen unter Nomaden, doch der Minderheit der Weißaugen angehörend: Unter göttlicher Einflussnahme entstandenen Superkriegern, die die Teilvölker der Menschen führen sollen. Immerhin - das sei Lloyd gedankt - haben die körperlich Begünstigten auch ihre Schattenseiten, sie sind gewalttätig, unverschämt, finster und herzlos. Gegen dieses Erbe und seine Bestimmung zum "Erlöser" muss Isak antreten - vor allem aber gegen jede Menge Feinde auf dem Feld.

Insgesamt nicht viel Neues unter den drei Monden des Landes - "Sturmkämpfer" steht in der Tradition der Sword & Sorcery, die das Fantasy-Genre im heutigen Sinne begründet hat. Action rules - wenn auch in elaborierter und komplexerer Form als in den Pulps der frühen Jahre. Das muss man bei knapp 660 Seiten aber auch erwarten können. Und natürlich ist auch dieser Wälzer nur der Beginn einer Serie ...

Coverfoto: Heyne

Greg Keyes: "Die Luftschiffe des Zaren"

Broschiert, 555 Seiten, € 9,20, Blanvalet 2008.

Achtung, Spoiler-Alarm! Wer erst Teil 1 der "Bund der Alchemisten"-Serie, "Newtons Kanone", lesen will, sollte zum nächsten Bild weiterklicken - für die anderen hier die Nachlese, was bisher geschah. Nun aber weiter im Geschehen:

Die Apokalypse konnte nicht verhindert werden, so sehr sich die GefährtInnen auch angestrengt haben: Im Auftrag des französischen Sonnenkönigs haben Alchemisten einen Kometen auf London herabgelenkt. England ist eine Wüste, die vom Impact ausgelöste Flutwelle hat die westeuropäischen Küstenregionen überschwemmt, Ascheregen und klimatische Abkühlung verheerten das Landesinnere. Den Niedergang Westeuropas machen sich der russische Zar und das Osmanische Reich zunutze, um sich den Kontinent sukzessive unter den Nagel zu reißen.

Benjamin Franklin hat sich als Lehrling Isaac Newtons, der immer mehr zur faustischen Magier-Gestalt mutiert, in Prag niedergelassen, der letzten Zuflucht des Kaisers nach der Eroberung Wiens durch die Türken. Adrienne wiederum ist in Begleitung Crecys - einer Angehörigen des Frauengeheimbunds der Korai, in Wahrheit aber eine noch viel mysteriösere Gestalt - zwei Jahre durch das verwüstete Frankreich geirrt, bis sie schließlich Zar Peter auf dessen Eroberungsfeldzug trifft und sich ihm anschließt. Adrienne lernt indessen, die den Äther bewohnenden Wesen, die sie die Malakim nennt, ohne alchemische Umwege direkt zu kontrollieren.

Eine neue dritte Handlungsebene entfaltet sich rund um den jungen schamanisch begabten "Indianer" Red Shoes: er reist aus den vom Mutterland abgeschnittenen Kolonien nach Europa - in seiner Begleitung Blackbeard der Pirat und der Puritaner Cotton Mather: zwei von vielen historisch realen Persönlichkeiten - Auftritte haben in Teil 2 unter anderem auch Prinz Eugen und die kindliche Maria Theresia.

Mehr denn je erinnert die Struktur der Geschichte, die um keinen Deut weniger spannend ist als Teil 1, an "Otherland": Kapitelweise wird zwischen den einzelnen ProtagonistInnen-Gruppen gewechselt, am Ende steht jeweils ein Cliffhanger. Sie alle bewegen sich durch ein immer gefährlicher werdendes Land, sind mit Feinden von übernatürlicher Macht konfrontiert und sehen sich gezwungen, das Gefüge der Welt selbst neu zu überdenken. Alles läuft auf einen großen Showdown im osmanisch besetzten Venedig hinaus.

Teil 3 der Tetralogie "Der Bund der Alchemisten" mit dem Titel "Das verborgene Reich" ist für Februar 2009 angekündigt - wer's bis dahin gar nicht aushält, muss sich an die englischen Originalausgaben halten: die abschließenden Teile "Empire of Unreason" und "The Shadows of God" sind 2000 bzw. 2001 erschienen.

Coverfoto: Blanvalet

Brandon Sanderson: "Alcatraz und die dunkle Bibliothek"

Gebundene Ausgabe, 301 Seiten, € 12,40, Heyne 2008.

Mit seinem Debüt "Elantris" hat US-Autor Brandon Sanderson der Fantasy-Welt 2005 etwas überaus Kostbares geschenkt: einen e-i-n-z-e-l-n-e-n Roman!! In einem Genre, das als einzige Alternative zur obligatorischen Trilogie nur noch die Serie zu kennen scheint, fast schon ein verlegerisches Wagnis.

"Alcatraz" hingegen ist wieder der Start einer Serie und zugleich der Name des 13-jährigen Protagonisten ... dessen Familie, die Smedrys, allesamt nach Gefängnissen benannt sind und über bemerkenswerte magische Talente verfügen: zum Beispiel immer zu spät zu kommen. Oder zu stolpern. Oder wie Alcatraz alles kaputt zu machen. Kein Witz - jede dieser Fähigkeiten wird sich als wirklich nutzbringend bis lebensrettend erweisen, nachdem Alcatraz von seinem schrulligen Großvater Leavenworth aus dem Haus seiner Pflegeeltern auf eine turbulente Mission mitgeschleppt worden ist. Der Feind: Bibliothekare, die der Welt (genauer gesagt dem Teil davon, in dem wir leben, den "Ländern des Schweigens") eine wissenschaftlich-rationale Scheinwahrheit vorgaukeln, wo in Wirklichkeit doch alles ganz anders ist. "Alcatraz" richtet sich in erster Linie an ein jugendliches Publikum und wartet mit Witz und Absurditäten auf, ist manchmal ein wenig zu smart, in seinen besten Momenten aber ein erster Einstieg für die nächste Generation von Terry Pratchett-LeserInnen.

... und rechtzeitig vor Beginn der Urlaubssaison ein Tipp für alle, die ihren Nachwuchs still beschäftigen wollen, um sich im Strandkorb nebenan in aller Ruhe durch ihre Neal Stephensons und Sarah Monettes graben zu können. Auch nachdem die-Frau-mit-der-größten- Propagandamaschinerie-seit-Stalin ihre Serie beendet hat, gibt es da noch Möglichkeiten ...

Und in der nächsten Rundschau wird es unter anderem auf ökologisch motivierte Zeitreise und einen der bildgewaltigsten Trips aller Zeiten gehen.
(Josefson)

Coverfoto: Heyne