Zur Person

Der Gastroenterologe Stefan Müller-Lissner, ist Leiter der Inneren Abteilung der Park-Klinik Weissensee in Berlin. Seit zwei Jahrzehnten befasst er sich mit funktionellen Magendarmerkrankungen und gastrointestinalen Motilitätsstörungen. Er hat zahlreiche Publikationen zu diesen Themen verfasst und mehrere Bücher herausgegeben.

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Mühsam, wenn der Stuhl nicht funktioniert, wie man will

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derStandard.at: Ist die Verstopfung ein ernstzunehmendes Krankheitsbild?

Müller-Lissner: Kommt darauf an, was man darunter versteht. Das was man gemeinhin als Verstopfung bezeichnet, ist eigentlich die chronische Obstipation, wo jemand über Monate oder Jahre Probleme hat, regelmäßig befriedigend zur Toilette zu gehen. Diese Beschwerden sind im Prinzip harmlos und nur ganz selten steckt ein organisches Problem dahinter. Es wird aber vermutet, dass Störungen im Nervensystem oder in der Darmmuskulatur auslösend sein könnten, die bis heute noch nicht identifiziert wurden. Aber diese sind einer Behandlung ursächlich sicher nicht zugänglich. Wichtig ist auf jeden Fall, die Beschwerden der Patienten ernst zu nehmen.

derStandard.at: Was ist mit der Angst dem Organismus zu schaden, weil Giftstoffe im Körper bleiben?

Müller-Lissner: Die ist unbegründet. Gesundheitliche negative Folgen sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen wegen einer Verstopfung nicht zu erwarten. Es ist niemals ein Giftstoff identifiziert worden und es gibt überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Körper davon Schaden nimmt.

derStandard.at: Die Obstipation definiert sich üblicherweise als eine Stuhlfrequenz unter dreimal pro Woche. Warum ist der tägliche Stuhlgang vielen Menschen so wichtig?

Müller-Lissner: Dafür gibt es verschiedene Ursachen. Eine davon beruht eben auf dieser falschen Vorstellung, dass man jeden Tag eine Stuhlentleerung haben sollte, um Giftstoffe aus dem Körper zu entfernen. Ein anderer Punkt ist, dass viele Menschen sich erleichtert fühlen, wenn sie auf der Toilette gewesen sind. Ein Völle- oder Dehnungsgefühl kann so beispielsweise verschwinden.

derStandard.at: Was sind die wesentlichen Gründe einer chronischen Verstopfung?

Müller-Lissner: Im Prinzip kennen wir die Ursachen noch zu wenig. Wahrscheinlich sind es unterschiedliche Teilkomponenten, die zu dem Beschwerdebild Verstopfung führen. Eine Rolle spielen sicher die Ernährungsgewohnheiten. Der Anteil der Ballaststoffe in der Nahrung ist mit entscheidend für das Stuhlvolumen und in weiterer Folge für die Häufigkeit und die Leichtigkeit des Stuhlgangs. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, dass die Mehrzahl der chronisch Obstipierten den Ernährungsfehler begehen, weniger Ballaststoffe zu essen als andere Menschen.

derStandard.at: Wie ist es mit Flüssigkeit? Bringt das Trinken wirklich so viel?

Müller-Lissner: Nein. Die Trinkmenge hat keinen nennenswerten Einfluss auf das Stuhlvolumen. Dieses Vorurteil hält sich ebenfalls hartnäckig. Wissenschaftliche Beweise dafür existieren aber nicht. Flüssigkeitszufuhr und –ausscheidung werden über die Niere geregelt und nicht über den Dickdarm. Daher haben Menschen, die wenig trinken, ein gleich großes Risiko eine chronische Obstipation zu entwickeln, wie jene, die viel trinken.

derStandard.at: Ist Bewegung ein Faktor?

Müller-Lissner: Zweifelsohne kann jemand mit einer normalen Darmfunktion mit körperlicher Bewegung einen Stuhldrang auslösen. Ob man durch mehr Bewegung aber eine chronische Verstopfung heilen kann, ist mehr als fraglich. Auf jeden Fall bewegen sich Menschen, die darunter leiden, nicht weniger als andere.

derStandard.at: Das bedeutet, es hat vorwiegend mit dem Ernährungsverhalten zu tun?

Müller-Lissner: Nur teilweise. Die Missachtung des gastrokolischen Reflexes (Unterdrückung des natürlichen Stuhldrangs nach dem Essen, Anm.) ist ein häufiger Punkt. Es ist bekannt, das sich nach jeder Mahlezeit, vor allem aber nach dem Frühstück, die motorische Aktivität des Dickdarmes erhöht. Wenn man den Stuhldrang unterdrückt, weil man zu dieser Zeit vielleicht gerade im Auto sitzt, dann ist das sicher kontraproduktiv. Dazu kommt, dass manche Menschen ganz einfach eine genetische Veranlagung besitzen.

derStandard.at: Aber wenn man dazu eine Veranlagung besitzt, kann man dann überhaupt etwas dagegen tun?

Müller-Lissner: In vielen Fällen nicht. Dann geht es eher darum, die Obstipation zu akzeptieren und eventuell zu Abführmitteln zu greifen.

derStandard.at: Aber ist Verwendung von Abführmitteln langfristig nicht schädlich für den Organismus?

Müller-Lissner: Nein. Alle derzeit auf dem mitteleuropäischen Markt zugelassenen Abführmittel sind nicht nur wirksam, sondern gesundheitlich unbedenklich. Wirksam heißt, nicht für jeden Patienten befriedigend wirksam. Zum Teil treten auch subjektive Nebenwirkungen, wie Blähungen oder krampfartige Bauchschmerzen, Ausdruck der angeregten Bewegung des Darmes auf. Gefährlich sind sie aber nicht und eine Abhängigkeit ist ebenfalls nicht belegt. Es gibt Patienten, die brauchen eine gewisse Dosissteigerung über Jahre, aber das ist selten und die Abhängigkeit ist kein generell zu befürchtendes Phänomen.

derStandard.at: Dieses Gerücht hält sich aber hartnäckig.

Müller-Lissner: Richtig. Aber Gewöhnungseffekte konnte man bis jetzt nicht nachweisen. Trotzdem muss man Abführmittel intelligent einsetzen. Das heißt nur so oft und so viel einnehmen, wie notwendig ist, um einen beschwerdefreien Stuhlgang zu erreichen.

derStandard.at: Gibt es eine Medikamentengruppe, die Sie bevorzugt verabreichen?

Müller-Lissner: Ich empfehle vor allem zwei Präparategruppen. Beide sind fast nebenwirkungsfrei. Eine davon sind Polyethylenglykole. Sie erhöhen das Stuhlvolumen durch Wasserbindung und machen den Stuhl damit weicher. Dieses Laxans ist ein synthetischer Ballaststoff, der bakteriell nicht spaltbar ist. Zu der anderen Gruppe zählen Bisycodyl und Natriumpicosulfat, die chemisch sehr ähnlich sind und eine doppelte Wirkung besitzen. Einerseits führen sie dazu, dass aus dem Darminhalt weniger Flüssigkeit resorbiert wird und andererseits regen sie die Dickdarmtätigkeit an.

derStandard.at Was halten Sie von pflanzlichen Quellmitteln?

Müller-Lissner: Die haben im Gegensatz zu dem vorher erwähnten synthetischen Ballaststoff einen Nachteil. Sie werden im Dickdarm von den Bakterien gespalten und verlieren damit ihre Quellfähigkeit. Je weniger gut Substanzen bakteriell spaltbar sind, desto stärker erhöhen sie das Stuhlgangsvolumen.

derStandard.at: Inwiefern kann Biofeedback von Nutzen sein?

Müller-Lissner: Im wesentlich geht es hier um eine Art Toilettentraining. Sie ist Teil jeder Behandlung. Der Patient soll lernen, sich für den Gang auf die Toilette Zeit zu nehmen, am besten nach dem Frühstück. (Regina Philipp, derStandard.at, 24.4.2008)