Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war soeben. Da hat P. Leitungswasser bezahlt. Zum Literpreis von 8,80 Euro. Ich war Schuld: ich hatte schließlich Apfelsaft mit Leitungswasser bestellt. Und da ich später als P. ins Lokal gekommen war, hatte ich die Warnung der Kellnerin nicht gehört. Die, sagte mir P. später, habe ihn nämlich eindringlich darauf hingewiesen, dass das Getränkeaufspritzen mit stinknormalem Leitungswasser genauso viel koste wie mit Sodawasser (nein, nicht "Mineralwasser" sondern Soda): 2,20 Euro pro Viertelliter nämlich. Das stehe auch so in der Karte.

P. hatte deshalb Mineralwasser bestellt. Aber als ich ein paar Minuten später im Café de l Europe (das – um das übliche Missverständnis zu vermeiden – an der Ecke Graben/Stephansplatz, nicht das "Europa" in Wien Neubau) einritt, wiederholte die junge Dame ihren Hinweis nicht – und auch P. dachte in dem Augenblick nicht daran, mich zu warnen. Erst als das Halbliterglas dann vor mir stand, stutzte er kurz, griff zur Karte und meinte dann verblüfft: "Die schämen sich wirklich nicht, das so in die Karte zu schreiben."

Teure Leitung

Ein Viertelliter Apfelsaft kostet im Europe 2,60 Euro. Aufgespritzt kommt man dann auf 4,80 Euro (und um eine Nebenfront zu eröffnen: das sind 66,05 Schilling). Und mit einem flotten Dreizeiler wird in der Karte eben auf die Kosten der Leitungswasserentnahme hingewiesen.

Denn daran, dass es sich um Leitungswasser handelt, zweifeln weder P. noch ich: Sowohl er (bei seiner dann umgeänderten Bestellung) als auch ich hatten "mit Leitungswasser aufgespritzt" geordert. Die Kellnerin hatte auch gar nicht versucht – wie an anderen Orten üblich – uns darauf hinzuweisen, dass man hier eben kein ordinäres Leitungs- sondern nur stilles Wasser zum Verlängern bestellen könne. Und während P.s Mineralwasser (prickelnd) in der Flasche an den Tisch gebracht wurde, kam der Apfelsaft so, wie er kommen soll, wenn er am Wasserhahn gestreckt wird: Im großen Glas. Lokale, die "stilles Wasser" servieren, belegen den Unterschied zur ersten oder zweiten Hochquellleitung in der Regel auch per Flasche am Tisch.

Peinlich

Aber die Kellnerin hatte uns ja gewarnt: Dass sie das Satzerl, das ihr offenkundig selbst peinlich gewesen war (wie P. mir danach erzählte) an einem Tisch bei jedem Neuankömmling extra vorträgt, kann man wirklich nicht erwarten – also zahlte P. (er war mit Zahlen dran) mein Luxuswasser natürlich ohne zu murren.

Im Gehen warfen wir dann noch einen Blick auf die Karte – und wussten, wie wir das hier in Zukunft machen werden: Der kleinste Kaffee kostet (im Sitzplatzbereich) im Europe 2,10 Euro. Das obligate Glas Wasser wird selbstverständlich mitgeliefert. Und in einem der Tradition Wiener Kaffeehaus wie dem Europe kriegt man – auch das sahen wir – auf Nachfrage natürlich auch ein zweites Mal Wasser gereicht. Und neben dem Zusatzbenefit "Kaffee", merkte P. an, könnten wir so auch noch 10 Cent sparen. Könnten – schließlich gibt es in Wien genügend Lokale, in denen Leitungswasser nicht viermal so teuer wie Benzin ist. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 24. April 2008)