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Demonstranten mit kurdischen Flaggen beim Frühlingsfest Nowruz vor einem Monat in Istanbul. Im Osten der Türkei kam es damals wieder zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und türkischen Kurden.

Foto: AP/Usta
"Regionale Nachbarschaft im ,global village‘", wie Ursula Plassnik formulierte: Da fallen türkische und österreichische Interessen auch zusammen, wenn der "Nachbar" von Wien ein paar Kilometer weiter weg als von Ankara ist. Ein türkisch-österreichischer "Workshop zur Nachbarschaft Österreichs und der Türkei" wurde anlässlich des Besuchs der österreichischen Außenministerin in Ankara vom Turkish Foreign Policy Institute abgehalten, mit runden Tischen zum Balkan, zu Nah-/Mittelost, Kaukasus, zum Schwarzen Meer und zu Zentralasien.

Der Nahostabteilungsleiter des Außenamts, Ralph Scheide, und der Standard vertraten die österreichische Seite auf dem Nah-/Mittelost-Podium. Die Sorge über mangelnden Fortschritt seit der Annapolis-Konferenz – wird geteilt, wobei Meliha Altunisik, die Leiterin der Abteilung für Internationale Beziehungen an der Middle East Technical University (Metu) in Ankara sagte: Die verstärkte Aktivität der EU habe ihren Preis im Verlust ihrer "semiunabhängigen Position" und in ihrer Annäherung an die Position der USA. Auch andere Diskussionsteilnehmer warfen der EU vor, dass sie nun, wie die USA, als "Krankheit" behandeln wolle, was in Wahrheit "Symptome" seien, wie die Kassam-Raketen, die die Hamas von Gaza auf Israel schießt.

Die türkische Nahostpolitik bezeichnete Altunisik als viel aktiver als früher – alle waren sich in der Analyse einig, dass mit der AKP-Regierung alte, historisch begründete kemalistische Vorbehalte gegen das türkische Engagement mit den Arabern schwächer geworden sind. Die AKP habe jedoch, so Altunisik, noch nicht das richtige Wie gefunden, so etwa bei ihren Kontakten mit der Hamas, wo sie klare Vorgaben an diese vermissen lasse. Darum komme letztlich bisher wenig dabei heraus.

Spät den Tag retten

Das im wahrsten Wortsinn brennendste Nachbarschaftsthema ist jedoch zweifellos der Irak beziehungsweise der kurdische Nordirak. Unter türkischen Politikwissenschaftern wird offen formuliert, was in der Politik ein Tabu ist, nämlich dass die Probleme mit dem Nordirak zumindest teilweise eine "Funktion" des eigenen Versagens im Umgang mit den eigenen Kurden sind. "In der elften Stunde versuchen wir nun, den Tag zu retten", sagte Semih Idiz, ein Irak-Spezialist der Zeitung Milliyet.

Der Vorwurf an die türkische Politik lautet, dass sie sich noch immer nicht an die neuen regionalen Verhältnisse nach der US-Invasion im Irak im Jahr 2003 angepasst habe, wobei, so Tarik Oguzlu von der Bilkent Universität in Ankara, die "Europäisierung" der Annäherung an das Nordirak-Problem auf dem Vormarsch ist: die Gefahr nicht übertreiben, versuchen, mit den Kurden im Nordirak professionell zu verkehren und enge Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen. Letzteres ist im Gange – wobei jedoch Idiz berichtete, dass türkische Geschäftsleute im Nordirak nach der türkischen Militärintervention von der Kurdischen Regionalregierung in Erbil prompt "abgestraft" wurden, was natürlich Wasser auf den Mühlen der "alten" Fraktion ist, die niemals mit der Regierung in Erbil reden würden.

Ein Thema war auch der Iran, die Türkei hat ja bereits – vergeblich – versucht, im Atomstreit zu vermitteln. Mustafa Kibaroglu (Bilkent Universität) berichtete vom Auseinanderklaffen der Meinung des Sicherheitsestablishments und der Bevölkerung: Parallel zum wachsenden Antiamerikanismus habe sich das Image des Iran in der Türkei verbessert, Präsident Mahmud Ahmadi-Nejad werde in manchen Kreisen als Held verehrt: "Sie unterstützen das iranische Atomprogramm und wünschen sich das Gleiche für die Türkei." Das beobachte er auch in anderen Nah-/Mittelostländern, und der einzige Weg dagegen sei, eine atomwaffenfreie Zone in der Region zu schaffen. Aber das scheitere an Israel. (Gudrun Harrer aus Ankara/ DER STANDARD Printausgabe, 23.4.2008)