Der Nahostabteilungsleiter des Außenamts, Ralph Scheide, und der Standard vertraten die österreichische Seite auf dem Nah-/Mittelost-Podium. Die Sorge über mangelnden Fortschritt seit der Annapolis-Konferenz – wird geteilt, wobei Meliha Altunisik, die Leiterin der Abteilung für Internationale Beziehungen an der Middle East Technical University (Metu) in Ankara sagte: Die verstärkte Aktivität der EU habe ihren Preis im Verlust ihrer "semiunabhängigen Position" und in ihrer Annäherung an die Position der USA. Auch andere Diskussionsteilnehmer warfen der EU vor, dass sie nun, wie die USA, als "Krankheit" behandeln wolle, was in Wahrheit "Symptome" seien, wie die Kassam-Raketen, die die Hamas von Gaza auf Israel schießt.
Die türkische Nahostpolitik bezeichnete Altunisik als viel aktiver als früher – alle waren sich in der Analyse einig, dass mit der AKP-Regierung alte, historisch begründete kemalistische Vorbehalte gegen das türkische Engagement mit den Arabern schwächer geworden sind. Die AKP habe jedoch, so Altunisik, noch nicht das richtige Wie gefunden, so etwa bei ihren Kontakten mit der Hamas, wo sie klare Vorgaben an diese vermissen lasse. Darum komme letztlich bisher wenig dabei heraus.
Spät den Tag retten
Das im wahrsten Wortsinn brennendste Nachbarschaftsthema ist jedoch zweifellos der Irak beziehungsweise der kurdische Nordirak. Unter türkischen Politikwissenschaftern wird offen formuliert, was in der Politik ein Tabu ist, nämlich dass die Probleme mit dem Nordirak zumindest teilweise eine "Funktion" des eigenen Versagens im Umgang mit den eigenen Kurden sind. "In der elften Stunde versuchen wir nun, den Tag zu retten", sagte Semih Idiz, ein Irak-Spezialist der Zeitung Milliyet.
Der Vorwurf an die türkische Politik lautet, dass sie sich noch immer nicht an die neuen regionalen Verhältnisse nach der US-Invasion im Irak im Jahr 2003 angepasst habe, wobei, so Tarik Oguzlu von der Bilkent Universität in Ankara, die "Europäisierung" der Annäherung an das Nordirak-Problem auf dem Vormarsch ist: die Gefahr nicht übertreiben, versuchen, mit den Kurden im Nordirak professionell zu verkehren und enge Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen. Letzteres ist im Gange – wobei jedoch Idiz berichtete, dass türkische Geschäftsleute im Nordirak nach der türkischen Militärintervention von der Kurdischen Regionalregierung in Erbil prompt "abgestraft" wurden, was natürlich Wasser auf den Mühlen der "alten" Fraktion ist, die niemals mit der Regierung in Erbil reden würden.