Zeynep ist die Hauptfigur von Zeynepin Sekiz Günü (Zeyneps acht Tage) von Cemal San, der in der vergangenen Woche auf dem 27. Istanbul Film Festival gezeigt wurde. Bei allen Annehmlichkeiten in ihrem Leben ist diese jungen Frau aber doch sehr unglücklich. Sie ist hoffnungslos einsam, bis sie eines Tages den Schwerenöter Ali trifft, der ihr zeigt, wie man hemmungslos tanzt. Er verbringt eine Nacht mit ihr, am nächsten Abend kehrt er nicht, wie versprochen, zurück.
Also macht Zeynep sich auf die Suche. Sie findet heraus, dass Ali mit dem Geld einer Bande abgehauen ist – er wird nun von Ganoven gejagt und von einer Frau, die sich mit einem One-Night-Stand nicht abfinden will. Was wie ein Film von Michael Haneke begonnen hatte, mit ausweglosen Routinen, wird zu einem unwirklichen Abenteuer auf menschenleeren Straßen, wie man sie in Istanbul nicht so leicht findet.
Fortschritt mit Verlust
Die Millionenstadt am Bosporus gilt nicht zu Unrecht als enorm dynamisch. Auf der Hauptstraße im Stadtteil Beyoglu, an der die Kinos des Festivals liegen, hat die Mittelklasse eine Promenade – nur die alten Frauen, die sich mit ein paar Packungen Papiertaschentücher in eine Ecke drücken und auf einen Käufer hoffen, zeugen davon, dass nicht alle Bürger der Türkei schon am Fortschritt teilhaben. Das Filmfestival hat einen nationalen und einen internationalen Wettbewerb, wobei der nationale viel interessanter ist: Hier werden die Verluste an traditioneller Lebensform mit den Verlusten der Modernisierung verrechnet, das Kino selbst ist dabei der Gewinner, denn es erweist sich als vitales Medium.
Die Jury trug dieser Tatsache Rechnung, indem sie auch den Hauptpreis, den Golden Tulip Award für internationale Beiträge, an einen türkischen Film vergab: Yumurta (Ei) von Semih Kaplanoglu erzählt von einem Dichter namens Yusuf, der in seinem Heimatdorf mit einer Welt konfrontiert wird, von der er sich schon weit entfernt gefühlt hatte. Aus dem nationalen Wettbewerb ging Tatil Kitabi (Summer Book) von Seyfi Teoman als Sieger hervor, eine ruhige Beobachtung des Lebens in einem anatolischen Dorf – der Vater einer Familie stirbt plötzlich, der Sohn, der gerade Sommerferien hat, wird zum Zeugen der Trauerarbeit seiner Angehörigen und macht seine ersten einschneidenden Erfahrungen mit dem Leben.
Die meisten der in Istanbul gezeigten Filme hatten ihre Premiere schon in Nebenreihen von A-Festivals, im prächtigen Emek-Kino oder dem steil ansteigenden Saal des Atlas absolvieren sie nun eine Station auf der Reise rund um den Erdball, auf der sich ihr Schicksal entscheidet – entweder sie sprechen sich weiter herum oder werden irgendwann vergessen.
Zwei "neorealistische" Arbeiten konnten in Istanbul noch einmal nachdrücklich auf sich aufmerksam machen. Chop Shop von Ramin Bahrani und Mang Shan (Blind Mountain) von Li Yang. In Chop Shop steht eine Autowerkstätte in Queens, New York, im Mittelpunkt. Der zwölfjährige Alejandro arbeitet hier, um das Geld für einen Imbisswagen zusammenzubekommen, den er für seine ältere Schwester kaufen möchte. Bahrani, dessen Eltern aus dem Iran stammen, erzählt von einem Leben abseits aller Institutionen. Schule, Staat, Fürsorge spielen keine Rolle, die Leute schlagen sich durch in einem Niemandsland mitten in einer westlichen Millionenstadt.
In Mang Shan hingegen wird eine junge Frau ins Niemandsland: eines nordchinesischen Bergdorfes verkauft und stellt fest, dass es niemanden gibt, an den sie appellieren könnte. Fluchtversuche scheitern mehrfach. Li Yang zeigt ein archaisches China (der Film spielt in den 90er-Jahren) ohne durchsetzbare Rechte in einem Land, dessen Dramatik von Zentrum und Peripherie vielleicht noch intensiver ist als in der Türkei.