Das Sozialprogramm „Bolsa Familia“ (Familienbörse) helfe elf Millionen Brasilianern, erzählt Patrus Ananias, Brasiliens Minister für soziale Entwicklung und den Kampf gegen den Hunger. Die Biodieselproduktion verteidigt er.

Foto: Regine Hendrich

Die Biodieselproduktion verteidigt Patrus Ananias de Sousa.

STANDARD: Das brasilianische Sozialprogramm „Bolsa Familia“ wird weltweit kopiert. Wem nützt es?

Ananias: „Bolsa Familia“ ist gesetzlich verankert und betrifft mehr als elf Millionen Menschen. Das Programm umfasst finanzielle Unterstützungen für Familien, die an die Bedingung geknüpft sind, dass die Kinder in die Schule gehen und Gesundheitsprogramme durchlaufen. Die Familienbande sollen erhalten werden. Denn arme Familien sind der Gefahr ausgesetzt, dass sie auseinanderbrechen oder in die Kriminalität und Gewalt abrutschen.

STANDARD: Hat das Programm Auswirkungen auf die Kriminalitätsrate?

Ananias: Das Programm besteht erst seit vier Jahren, genaue Zahlen gibt es noch nicht. Hunger und Unterernährung sind aber zurückgegangen. Das Gesetz sieht auch vor, dass Arbeitsplätze geschaffen werden.

STANDARD: Und wie viele Arbeitsplätze wurden geschaffen?

Ananias: 40.000 Familien haben bessere Arbeitsmöglichkeiten bekommen. Es geht um zwei Zielgruppen: Um die extrem Armen und um Bedürftige. Zu der ersten Gruppe gehören jene, die seit Generationen ohne Arbeit sind, Gemeinschaften, die früher versklavt waren oder Indigene, die einen Identitätsverlust durchgemacht haben. Die bekommen jetzt wenigstes etwas zu essen. Für die zweite Gruppe ist „Bolsa Familia“ noch effektiver. Das sind Familien, die eine bisschen Arbeit und ein geringes Einkommen haben.

STANDARD: Um Arbeitsplätze zu schaffen, braucht es auch Infrastrukturmaßnahmen. Sind die koordiniert mit ihren Sozialprogrammen?

Ananias: Die Regierung hat massiv in Transport und Energie investiert. Es gibt die Programme „Energie für alle“ oder „Licht für alle“. Für das „Arbeit“-Programm wurde ein „Sekretariat zur Findung von Arbeitsmöglichkeiten“ geschaffen. Da arbeiten verschiedene Ministerien zusammen.

STANDARD: Wann ist das Ziel von „Bolsa Familia“ erreicht?

Ananias: Erst wenn die Menschen keinen Hunger mehr haben und von ihrer Arbeit leben können, können sie Rechte einfordern. Das Programm läuft erst aus, wenn das erreicht ist.

STANDARD: Die Lebensmittelpreise in Brasilien steigen. Was tut die Regierung gegen die neue Hungergefahr?

Ananias: Bei uns hängen die Preissteigerungen mit der Regenzeit und der Trockenzeit zusammen. Im armen Nordosten wird Milch an Kinder verteilt. Aber in erster Linie wollen wir mehr landwirtschaftliche Produktion. Auch für Biokraftstoffe.

STANDARD: Stehen die Nahrungsmittelproduktion und die Biokraftstoffproduktion nicht vermehrt in Konkurrenz zueinander?

Ananias: Nein, weil in beide Sektoren investiert wird. Es gibt Investitionen in Fleisch, aber auch in Soja und Mais. Eine Konkurrenz ist durch gute Normen und die großen Anbauflächen ausgeschlossen. Und es wird auch sehr stark in erneuerbare Energie investiert. Wir diskutieren, wie man einen Ausgleich zwischen der Nahrungsmittelbeschaffung, der Energiegewinnung und dem Umweltschutz schaffen kann. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, Printausgabe, 19.4.2008)