Ortet "gewollte" Provokation traumatisierter Menschen in Kärnten: Sozialpsychologe Ottomeyer

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MOMENT: Drei der abgeschobenen tschetschenischen Flüchtlinge waren bis zu deren „Abschiebung“ bei Ihrer Einrichtung in psychotherapeutischer Behandlung. Wie geht die Familie mit den Vorgängen um?

Ottomeyer: Sie sind ziemlich verzweifelt. Sie haben das erlebt, was wir eine schwere Retraumatisierung nennen. Die Kinder sind wochenlang nicht in die Schule gegangen, sie sind entwurzelt, orientierungslos. Und natürlich tragen sie immer noch den öffentlichen Stempel der „Problemfamilie“.

MOMENT: Wie bewerten Sie die Vorgänge des 7. Jänner?

Ottomeyer: Das ist ein entscheidender Schritt in Richtung ethnische Säuberung. Ich habe erst gezögert, das so zu nennen. Aber als Jörg Haider diesen Brief in Villach publiziert hat, war es klar. Parallel hieß es ja im Grazer BZÖ-Wahlkampf: „Wir säubern Graz“. Man kann also sagen, dass Haiders Aktion im Zusammenhang mit einer rassistischen Säuberungsdemagogie steht.

MOMENT: Leitete Haiders Abschiebungsaktion eine Wende in der Kärntner Flüchtlingspolitik ein?

Ottomeyer: Nein, das knüpft leider an Vorstufen an. Im Sommer 2006 hat Haider ja schon einmal davon geredet, dass ein „tschetschenenfreies Kärnten“ möglich sei. Aber der 7. Jänner hatte auch eine neue Qualität, da hier die Unschuldsvermutung gröblich missachtet wurde. Gefährlich ist auch die Stimmung, die hier mitschwingt: Wir schieben ab, wie es uns gefällt. Das ist vordemokratisch.

MOMENT: Setzt Haider mit solchen Aktionen Standards, die auf die anderen Bundesländer ausstrahlen?

Ottomeyer: Ich befürchte ja.

MOMENT: Sie beobachten Haiders Flüchtlingspolitik schon seit längerer Zeit. Was ist in Kärnten anders?

Ottomeyer: Ich bin kein Verwaltungsjurist. Aber die Tendenz geht dahin, dass in Kärnten ein eigener Rechtsraum geschaffen wird, wo Verwaltungsvorschriften umgangen und Verfassungsrechtsbestimmungen verspottet werden – wie auch in der Ortstafelfrage. Anscheinend herrschen für Kärnten Sonderbedingungen.

MOMENT: Wie wirkt sich das auf die Situation der AsylwerberInnen in Kärnten aus?

Ottomeyer: Wir können sehen, dass die Asylwerber unter einem großen Druck stehen, sie leben in ständiger Angst vor Verlegungen und Abschiebungen in andere Bundesländer. Aber sie haben auch Angst, innerhalb des Landes, sozusagen als Strafmaßnahme, in abgelegene Unterkünfte gebracht zu werden. Es herrscht ein Klima der Angst.

MOMENT: Griff Haiders Demagogie eines „tschetschenenfreien Kärntens“ eine schon existierende Stimmung auf, oder war es Haider selbst, der die tschetschenischen AsylwerberInnen als neues Feindbild konstruierte?

Ottomeyer: Beides. Es gibt natürlich, wie in vielen Regionen Europas, starke Vorurteile gegenüber Flüchtlingen, und dann gibt es die Angst vor Gewalt, vor Kriminalität. Beides wird von oben geschürt und verstärkt. Die Leute schauen dann gar nicht mehr genau hin, was passiert, sondern glauben zunehmend, dass die meisten Tschetschenen wirklich gewalttätig sind.

MOMENT: In den Medien war oft die Rede von einer höheren Gewaltbereitschaft unter tschetschenischen Flüchtlingen, die mit der hohen Rate an kriegsbedingten Traumatisierungen begründet wurde.

Ottomeyer: Viele tschetschenische Menschen sind, nach allem, was ihnen passiert ist, extrem unter Druck – auch angesichts der vielen Kränkungen, da hier ja immer wieder behauptet wird, es gebe ja gar keine Folter in Tschetschenien, das sei alles erfunden. Wenn man diese Menschen entsprechend provoziert, darf man sich nicht wundern, wenn ein paar von denen ausrasten. Wenn man ihnen also vorführt, dass der Staat ungerecht ist, dann wird man damit die Kriminalitätsrate in den tschetschenischen Populationen anheben. Das passiert auch, und es erscheint gewollt.