Online

Dass die Anwendungswelt sich mehr und mehr ins Internet verlagern wird, ist ein Versprechen, das nun auch bereits einige Jährchen auf dem Buckel hat. Mit aktuellen Web-Technologien scheint sich nun aber tatsächlich einiges in diese Richtung zu bewegen. Google ist hier mit GMail, Google Docs und Co. ohnehin schon länger aktiv, neuerdings versucht sich aber gar Adobe an "Photoshop Express", einer Bildbearbeitung, die vollständig im Webbrowser abläuft.

Angebot

Eine Reihe von neuen Lösungen möchte das Online-Konzept aber noch ein Stück weiter denken: Nicht nur einzelne Anwendungen, gleich der ganze Desktop sollte in Zeiten von guten Internet-Anbindungen ins Web wandern. Immerhin wäre damit die gewohnte Arbeitsumgebung von überall aus erreichbar - egal ob man gerade den eigenen Rechner mit hat oder nicht.

Gemeinsam

Zwei dieser Lösungen sollen in Folge etwas näher betrachtet werden, auch wenn sie beide doch leicht unterschiedliche Herangehensweisen finden, so haben sie doch das gleiche Ziel: Die Bereitstellung eines vollständigen Online-Desktops.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ulteo

Den Anfang macht eine Entwicklung des Gründers der Linux-Distribution Mandriva, Gaël Duval. Unter dem Namen Ulteo arbeitet sein neues Unternehmen seit 2007 an dem Unterfangen die Online- und Desktop-Welten näher zusammen zu bringen. Einen ersten Vorgeschmack von den Möglichkeiten der eigenen Lösung demonstrierte man im November 2007 mit einer vollständig über den Browser benutzbaren Version von OpenOffice.org.

Desktop

Seitdem ist das Ganze allerdings schon erheblich weiter gediehen, wo es zuvor "nur" möglich war die freie Office-Suite laufen zu lassen, gibt es mit dem "Ulteo Online Desktop" nun die Möglichkeit einen vollständigen Linux-Desktop im Browser ablaufen zu lassen.

Browser

Die Installation einer eigenen Software ist dafür nicht vonnöten, ein aktueller Browser mit installiertem Java reicht vollkommen aus. Voraussetzung ist lediglich eine kurze Registrierung, das Basis-Service ist dabei auch kostenlos.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Verbindung

Die Verbindung mit dem Server von Ulteo wird per VNC vorgenommen, gegenüber eines "echten" Desktops ist eine gewisse Verzögerung spürbar. Auch bei der Darstellungsqualität muss man noch Abstriche machen, allerdings sei fairerweise darauf hingewiesen, dass sich das Ganze derzeit noch in einer frühen Beta-Phase befindet, es darf also wohl noch mit entsprechenden Nachjustierungen gerechnet werden.

KDE

Der Desktop selbst wird den meisten, die schon einmal Linux benutzt haben, schnell recht vertraut vorkommen. Kein Wunder ist doch hier so ziemlich alles zu finden, was sonst auch so in einer halbwegs aktuellen Distribution zu finden ist.

Auswahl

Als Desktop-Variante setzt man auf den KDE 3.5.x, praktisch alle damit einhergehenden Programme - wie der Dateimanager Konqueror oder die diversen Einstellungstools - dürfen da natürlich auch nicht fehlen. Weitere Highlights der Softwareausstattung: OpenOffice.org, der Webbrowser Firefox samt Java und Flash-PlugIns, die Bildbearbeitung Gimp und das Layout-Programm Scribus.

Screenshot: Andreas Proschofsky

VoIP und Co.

Selbst einen Skype-Client findet man hier, das Chat-Programm Kopete und der Mail Client Thunderbird - samt Enigmail/Verschlüsselungs-Anbindung - dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Sharing

In den Online-Desktop-Client integriert ist auch ein eigenes Tool mit dem sich die aktuelle Desktop-Session einfach mit anderen teilen lässt. Ob diese nur zusehen oder doch auch mitmachen dürfen, kann natürlich ebenso frei bestimmt werden.

Austausch

Den Datenaustausch mit dem lokalen Rechner erledigt ein eigener Upload-Client, der ebenfalls fixer Bestandteil des Services ist.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Application System

Die zweite große Komponente des "Online-Desktop"-Plans von Ulteo ist das "Ulteo Application System" (UAS): Dabei handelt es sich um ein eigene Linux-Distribution, die speziell auf die Integration mit dem Webservice ausgerichtet ist.

Synchron

Zentrale Einstellungen und Daten sollen so automatisch zwischen dem Online-Client und dem lokalen Rechner abgeglichen werden. Und: Wer mehrere Installationen des UAS vornimmt, kann auch diese automatisch untereinander synchronisieren lassen. Auf diese Weise soll man allerorten immer mit den selben Daten und Einstellungen arbeiten können, ohne stetig auf den Web-Client - und dessen Beschränkungen in Hinblick auf die Performance - leben zu müssen.

Kubuntu

Das UAS wird auf einer LiveCD ausgeliefert, der Download ist kostenlos. Als Basis dient Ulteo dabei die KDE-Ausgabe von Ubuntu, Kubuntu, die Installation ist entsprechend recht einfach vorzunehmen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Anbindung

Einmal gestartet offenbaren sich dann schon die ersten Unterschiede: Das System nimmt beim Einloggen automatisch die Verbindung zum Ulteo Authentifizierungsservice auf, immerhin will man ja auch Zugriff auf die online gespeicherten Einstellungen und Dokumente haben. Passwort und Username sind hier die gleichen wie beim Ulteo Online Desktop.

Menü

Eine Besonderheit von Ulteo ist das eigene Startmenü: Neben den verfügbaren Anwendungen findet sich hier auch eine Abteilung, die der Hersteller "My Digital Life" nennt: An dieser Stelle sollen die eigenen Lieblingsanwendungen und Dokumente landen.

Preferences

Auch diverse Systemeinstellungen können im Panel vorgenommen werden, so lassen sich etwa Anwendungspakete oder Lokalisierungen leicht nachrüsten. Übrigens: Updates passieren bei Ulteo vollautomatisch im Hintergrund, immerhin sollen ja alle Rechner auf dem gleichen Stand gehalten werden.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Speicherplatz.

Für den Datenaustausch gibt es in der kostenlosen Variante 1 GB freien Speicherplatz, das Ganze wird alle drei Minuten automatisch synchronisiert. Eine Einschränkung: Einzelne Dateien dürfen dabei nur bis zu maximal 10 MByte groß sein.

Autosync

Diesen Begrenzungen entsprechend synchronisiert Ulteo derzeit auch nicht den gesamten Inhalt des eigenen Verzeichnisses automatisch sondern nur die Dinge, die explizit in den "Autosync"-Folder gelegt wurden. Im Online-Store gibt es noch die Möglichkeit mehr Speicherplatz und eine häufigere Synchronisation käuflich zu erwerben. Die Angebote dafür rangieren zwischen 4,99 bis 19,99 US-Dollar monatlich.

Fehlerteufelchen

Hingewiesen sei noch einmal darauf, dass sich das Ganze momentan noch in einer recht frühen Phase der Entwicklung befindet, mit diversen Bugs ist also zu rechnen. So lässt sich derzeit beim UAS die Partitionierung noch nicht vollständig frei wählen, auch muss vor dem Booten der LiveCD die Systemsprache explizit ausgewählt werden, soll der Installer nicht später abstürzen. Alles Dinge, die wohl noch unter "Kinderkrankheiten" zu verbuchen sind.

Potential

Trotzdem schimmert schon das Potential eines Desktops durch, der allerorten mit den selben Einstellungen verfügbar ist. Für die Zukunft zu wünschen wäre noch eine Version des UAS, bei der man sich direkt auf der LiveCD in die eigene Umgebung einloggen kann. Eine Lösung also, die ohne Installation auskommt. Etwas, das die Flexibilität des Online-Desktops noch wesentlich vergrößern würde.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Desktop on Demand

Ebenfalls eine Online-Desktop-Lösung gibt es bei "Desktop on Demand". Ähnlich wie beim Ulteo Online Desktop liegt hier das Betriebssystem vollständig im Internet, die Verbindung wird hier aber über einen eigenen Client hergestellt.

Client

Diesen gibt es sowohl für Windows und Linux als auch für Mac OS X. Wichtig ist den EntwicklerInnen auch, dass die notwendige Software zum Betrieb nicht installiert werden muss, ein Doppelklick auf die entpackte Datei reicht zum Starten aus. Dies ist vor allem deswegen nützlich, da der Client so auf einem USB-Stick leicht mitgenommen werden kann.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Speed

Ein klarer Pluspunkt von Desktop on Demand ist die Geschwindigkeit, mit der das Ganze funktioniert: Einschränkungen bei Bildqualität oder Auflösung sind - die nötige Netzverbindung natürlich vorausgesetzt - keine festzustellen. Im Fullscreen-Betrieb lässt sich so kaum ein Unterschied zu einem lokal installierten Desktop feststellen.

NX

Möglich wird dies dadurch, da man hier auf das NX-Protokoll für die Übertragung der nötigen Daten setzt. Eine Lösung, die aufgrund seiner hohen Effizienz eine Fernsteuerung selbst über Modem-Verbindungen ermöglicht. Für solche Situationen können beim Client übrigens verschiedene Profile angelegt werden, etwa um die Auflösung des Online-Desktops - und somit die Menge der übertragenen Daten - zu reduzieren. Alle Transfers zwischen Client und dem "Desktop on Demand" laufen übrigens vollständig verschlüsselt ab.

GNOME

Einmal verbunden präsentiert sich den BenutzerInnen ein GNOME/Linux-Desktop, auf dem die wichtigsten Anwendungen bereits eingerichtet sind. Neben der Bildbearbeitung GIMP darf natürlich auch der Firefox nicht fehlen, als Mail-Client gibt es Evolution, ein Feed Reader ist ebenso im Angebot wie ein Passwort-Manager.

Screenshot: Andreas Proschofsky

CentOS

Einziger Wermutstropfen: Die Softwareauswahl ist nicht sonderlich aktuell, mit Firefox 1.5.x und GNOME 2.16 liegt man doch einiges hinter der aktuellen Entwicklung zurück. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Desktop on Demand auf dem Red Hat Enterprise Linux-Nachbau CentOS aufsetzt, der hier traditionell Stabilität weit über Aktualität stellt.

Aktuell

Allerdings bleibt die Softwareausstattung ohnehin nicht statisch. Mit dem Erscheinen von CentOS 5.2 sollen dann auch alle Online-Desktops automatisch auf den neuesten Stand gebracht werden.

Anpassung

Der Desktop on Demand lässt sich wie ein lokales System leicht den eigenen Wünschen anpassen. Die Wahl eines eigenen Looks ist hier ebenso wenig ein Problem wie das Einstellen der bevorzugten Systemsprache.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Plattenplatz

Ein nettes Detail: In einem eigene Applet wird angezeigt, wie viel Plattenplatz am Online-Desktop noch zur Verfügung stehen. Und hier kommen wir schon zur Kostenfrage: Ein Zugang zum Desktop on Demand kann in verschiedensten Paketen erworben werden.

Ausgaben

Dies reicht von einer Lite-Ausgabe, die um 14,99 britische Pfund jährlich 1 GB Plattenplatz bietet bis zum Power+-Angebot, das für 14,99 Pfund monatlich stolze 100 GByte Raum enthält. Die Angebote differieren aber nicht nur in Bezug auf den Speicherplatz, auch sonst gibt es den einen oder anderen wichtigen Unterschied.

Shell

Denn alle Angebote ab "Prime" (3,99 Pfund monatlich) enthalten zusätzlich zur bereits erwähnten Softwareausstattung auch noch OpenOffice.org (ansonsten gibt es Abiword) und bieten die Möglichkeit Plugins und Firefox-Erweiterungen zu installieren. Viel interessanter aber: Sie bieten den Zugang zu einer Shell über die eigene Software eingespielt werden kann.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ausprobieren

Wer das Ganze nur einmal ausprobieren will, muss aber nicht gleich einen Kauf vollziehen, der Hersteller bietet einen auf 28 Tage beschränkten Trial-Zugang an, bei dem 250 MByte Plattenplatz genutzt werden können.

Webclient

Für den Datenaustausch mit dem lokalen Rechner bieten sich zwei Lösungen an: Einerseits gibt es einen eigenen Webclient über den auf die am Online-Desktop befindlichen Daten zugegriffen werden kann. Andererseits kann der Up- und Download auch per WebDAV erfolgen.

Austausch

Zusätzlich lassen sich die Daten mit anderen BenutzerInnen(gruppen) des Services gezielt tauschen oder überhaupt für alle DoD-UserInnen freigeben.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Vorteile

Die oft im Zusammenhang mit dem Online-Desktop gestellte Frage "Wozu das Ganze?" beantwortet man bei Desktop on Demand mit einigen Anwendungsbeispielen. Neben dem offensichtlichen Nutzen, überall die gleiche Arbeitsumgebung vorzufinden, ließe sich das Service auch zum sichereren Surfen verwenden.

Sicherheit

Gerade in klassisch wenig vertrauenswürdigen Umgebungen wie einem Internet-Cafe oder einem offenen WLAN könne man so die nötige Privatsphäre schaffen. Nach außen ist lediglich die Verbindung zum Online-Desktop sichtbar, was dort passiert ist aufgrund der Verschlüsselung nicht einsehbar.

Anonymität

Umgekehrt scheint auch im IP-Log eines Servers nicht die private Internet-Adresse sondern die von Desktop on Demand auf. Außerdem verspricht man einen vollständig ungefilterten Zugang zum Netz, nützlich wenn einzelne Seiten beim lokalen Anbieter geblockt sind.

Remote

Ein weiterer Vorteil: In Situationen, in denen man eine schlechte Internet-Verbindung hat, lassen sich größere Downloads trotzdem flott durchführen. Die Daten wandern ja nicht auf den lokalen Rechner sondern auf den Online-Desktop, wo ausreichend Bandbreite zur Verfügung stehen sollte.

Administration

Und nicht zu vernachlässigen: Um die Sicherheit des eigenen Systems sowie dessen Administration muss man sich überhaupt nicht kümmern. Diese Aufgabe übernehmen die BetreiberInnen von Desktop on Demand. (Andreas Proschofsky)

Screenshot: Andreas Proschofsky