Sven Väth, Großwesir der Discokugel: "Alter spielt ja in der Kunst keine Rolle."

Foto: Cocoon

Mit Philipp L'Heritier parlierte er über sein Leben als Pionier, Labelchef und Marke.

Das schöne Wort Ikone: Großzügig wird es verschleudert, nur wenige sind seiner Bedeutung tatsächlich gewachsen. Dem DJ und multivalenten Entertainmentunternehmen Sven Väth passt der Schuh. Der 1964 im hessischen Obertshausen nahe Frankfurt am Main geborene Väth hat schon in grauer Vorzeit Vinyl auf die Plattenspieler gelegt und es dem feierwilligen Volk laut vorgespielt. Zu einer Zeit also, in der der Begriff DJ noch nicht durch die Lifestyle-Gazetten geisterte und die Elterngeneration noch keine Vorstellungen davon hatte, was das in etwa sein könnte, was ein Disc-Jockey denn zum Broterwerb treibt. Sven Väth war die erste Person im deutschsprachigen Raum, die einer breiten Öffentlichkeit vornehmlich als DJ, nicht als Musiker oder Produzent, bekannt war. Grund dafür war die Revolution Techno, der Väth auf seine Art zum Durchbruch verholfen hat.

Sven Väth war bei den MTV Music Awards und bei Alfred Biolek, Väth gab Techno als einer der Ersten ein Gesicht und einen Namen. Während Techno mittlerweile die ganz große Bühne der Jugendbewegungen verlassen hat und aktuell wieder eher der HipHop regiert, ist Väth erfolgreicher denn je – bloß im Fernsehen ist er nicht mehr so oft. Unter der Dachmarke Cocoon betreibt er einen Club in Frankfurt, eine Party-Reihe auf Ibiza und ein Plattenlabel. Als DJ umrundet er beständig den Planeten, wird mit schöner Regelmäßigkeit zum Besten der Zunft gewählt und spielt stets in vollen Hallen. Dass ihn Kategorien wie Mainstream, Underground und Kommerz kaum noch berühren, bringt ihm dabei freilich nicht nur Freunde ein.

Väth selbst sieht sich in erster Linie als Entertainer – eine Aufgabe, die er mit Ehrfurcht gebietender Souveränität und Grandezza erfüllt: "Music for the Masses", Unterhaltung und Ekstase für die Menge, drunter macht's der Sven nicht. Als Väth für ein Gastspiel im Rahmen der Techno-Reihe "Crazy" im Wiener Flex die Stadt besuchte, bot sich die Gelegenheit zum Gespräch. Nach Beendigung desselben sollte der sympathische 43-Jährige sogleich hinter die Plattenteller springen, um den Club mit einem sauber ausbalancierten, zwischen Subtilität und maximalem Techno pendelnden Set zu beschallen, das den Sechs-Stunden-Rahmen sprengte; der Mann wird wohl nie müde. Wie nannte der ähnlich altgediente DJ-Kollege Westbam eines seiner Alben: We'll Never Stop Living This Way.

Standard: Längst werden Bücher und Magisterarbeiten über DJ-Kultur geschrieben, bei jeder zweiten Boutique-Eröffnung legt ein DJ auf. Sie und Ihre Mitstreiter haben aber vor gut 25 Jahren im relativen Vakuum begonnen.

Sven Väth: Heutzutage ist für viele junge Leute DJ eine Art Traumberuf: Sie sehen die Heroes, den Lifestyle, das Reisen, das Geld. Da gibt es leider auch eine Ellbogenmentalität, früher waren wir alle eher so Buddies. Dass da aber auch zwanzig Jahre harte Arbeit drinstecken, vergisst man dabei oft. Als wir Anfang der 80er begonnen haben, war ja DJ-Kultur noch gar nicht in diesem Sinne vorhanden oder verbreitet. Die großen Vorbilder gab's da nicht, oder man wusste eben nichts von ihnen. Wir mussten uns alles selbst erarbeiten. Die Motivation war – auch wenn das jetzt wie ein Klischee klingt – nicht das Geld, das wusste man ja damals noch gar nicht so, wo das hinführen kann, sondern schlicht und einfach, unsere Musik zu spielen. Ich glaube, da haben wir für vieles den Weg geebnet.

Standard: Bis zu welchem Alter kann man den Beruf DJ denn unpeinlich betreiben?

Väth: Ich glaube, ich werde der Erste sein, der zeigt, dass es lange geht. Also zwanzig Jahre werde ich bestimmt noch auflegen, vielleicht länger. Vielleicht nicht mehr so intensiv. Im Moment lege ich zweimal die Woche auf. Wenn Mick Jagger mit 63 noch auf der Bühne rumspringen kann ... Das Alter spielt ja in der Kunst keine Rolle.

Standard: Für Körper und Gesundheit dann aber doch ...

Väth: Natürlich muss ich auf mich aufpassen, das tue ich ja auch schon seit Jahren, sonst könnte ich das Tempo so gar nicht vorgeben. Ich bin Ayurveda-Fan und mache viel Sport. Mit meiner Frau lege ich ein Mal im Jahr eine viermonatige Alkohol-Pause ein. In anderen Momenten ist dann aber halt doch wieder Rock 'n' Roll angesagt.

Standard: Mittlerweile wird mehr Musik produziert als gehört, geschweige denn gekauft. Wie entdecken Sie bei der gigantischen Schwemme an Neuveröffentlichungen und all dem Promomaterial noch neue Musik?

Väth: Natürlich bekomme ich extrem viele Demos und Promos; es gibt Labels, die machen speziell für mich eigene Dubplates. Da bleibt aber meistens nicht viel hängen. Ganz simpel gesagt: Ich gehe immer noch altmodisch jede Woche in den Plattenladen. Da sollte man den Bezug nicht verlieren.

Standard: Wenn man heutzutage ausschließlich DJ ist, also nicht selbst Musik produziert oder ein Label betreibt, ist es nahezu unmöglich weitreichende Bekanntheit zu erlangen.

Väth: Eine gute Platte ist wie eine Visitenkarte. Wenn man eine Platte produziert hat, zeigt das, dass man sich mit der Materie beschäftigt hat. Was aber natürlich nicht heißt, dass du auch als DJ gut bist. Es geht heute vielen Produzenten so; die meinen, die können, weil sie jetzt ein gutes Album produziert haben, irgendwie mit dem Laptop sechs Stunden lang den Club versorgen. Da trennt sich dann schon die Spreu vom Weizen.

Standard: Inwiefern sind Sie bei Ihrem Label Cocoon konkret involviert? Sind Sie bloß publikumswirksames Aushängeschild oder mehr?

Väth: Ausschließlich DJ zu sein, das wäre mir heute nicht mehr genug. Das Handwerk beherrsche ich ja. Mir ist aber auch sehr wichtig, die richtigen Gegebenheiten zu schaffen, ein Umfeld zu kreieren, damit die Musik auch ihren Platz findet. Das kann ein guter Club sein, ein Event, ein Label, ein Artwork. Bei Cocoon bin ich also voll involviert. Ich bin als A & R tätig, ich finde also neue Acts, entscheide, was veröffentlicht wird, oder habe die Ideen für die Compilations.

Ich möchte interessanten Produzenten eine Plattform bieten, den richtigen Rahmen. Ich bin also mittlerweile Unternehmer und Arbeitgeber, mit all den Verantwortungen, die dazugehören. Natürlich habe ich da ein wahnsinnig tolles Team, das mir zur Seite steht. Ich frage mich ständig: An welcher Plattform müssen wir weiterarbeiten, damit der Newcomer von heute nicht mehr die Probleme hat, die wir einmal hatten? Mir geht es also um eine groß angelegte Vision. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.4.2008)