"Ein Roman ist eine wahnsinnige Arbeit": Hans Platzgumer über "Weiß".

Zur Person
Hans Platzgumer, Jahrgang 1969, stürzte sich als Sohn des Innsbrucker Sicherheitsdirektors in eine Karriere als Undergroundmusiker: "Vater Polizist, Sohn Punk", titelte eine Tiroler Zeitung in den späten 80ern. Seitdem hat er mit Bands wie HP Zinker und unter Projektnamen wie Aura Anthropica weit über 50 Alben zwischen Rock und Elektronik veröffentlicht. 2005 erschien die Musiker-Autobiografie "Expedition".

Foto: STANDARD /Robert Newald
"Weiß" kreist um den Nordpol als Sehnsuchtspunkt. Sebastian Fasthuber hat er erzählt, wie er zum Schreiben kam.

Standard: Sie gelten als einer der vielseitigsten heimischen Popmusiker. Warum beginnt so einer zu schreiben?

Platzgumer: Es war ein langer, zunächst unbewusster Prozess über fünf Jahre, wo ich da reingeglitten bin. Begonnen hat es damit, dass ich viel Musik zu Hörspielen und fürs Theater gemacht und dadurch mit Texten zum Beispiel von Albert Ostermaier konfrontiert war. Dann hat der Bayerische Rundfunk gefragt, ob ich nicht meine Tour-Anekdoten zusammenschreiben möchte, um ein Hörstück daraus zu machen. Mit dem Auftrag habe ich begonnen.

Standard: Und drauflos geschrieben?

Platzgumer: Genau, das Resultat war schrecklich. Die Fakten sind drin gestanden, literarisch hatte es überhaupt keinen Wert. Ich habe auch nicht gewusst, wie lang oder kurz man Sachen ausführt. Das Projekt ist dadurch gescheitert, aber ich habe das Interesse von zwei Lektoren angezogen, die immer wieder nachgebohrt haben. So hat sich über insgesamt vier Jahre mein autobiografischer Roman "Expedition" fast von selber entwickelt. Die längste Zeit wusste ich gar nicht, dass es ein Buch wird.

Standard: Man leckt dadurch aber vermutlich Blut?

Platzgumer: Ja, ich habe in den letzten Jahren zeitweise mehr geschrieben als Musik gemacht. Die Euphorie ist frischer. Im Rahmen der Arbeit kam ich auch plötzlich an einen Punkt, an dem ich von selber zu schreiben begonnen habe. Etwas, wo ich vorher komplett gehemmt war, hat auf einmal funktioniert. Seitdem habe ich nicht mehr aufgehört. Der Plan, einen richtigen Roman mit fiktiven Geschehnissen zu schreiben, ergab sich durch das Ende von Expedition, wo ich meine Nordpolsehnsucht schildere.

Standard: "Die neuen Wunschmaschinen bringen winterliche Metaphern hervor, Ideen des Eisigen, der Klarheit und des Kristallinen." Daran knüpft nun "Weiß" an, in dem sich ein Aussteiger in der Arktis verliert.

Platzgumer: Mich hat interessiert, was passiert, wenn einer dieser Sehnsucht nachgibt und sie verwirklicht. Die Arktis hat mich immer schon angezogen, ich habe auch alle Expeditionsberichte verschlungen und bin zur Recherche hingereist. Ein starkes Empfinden für Situationen, wo man von der normalen Alltagsumgebung wegkommt, ist mir wohl eingeimpft worden. Als Tiroler habe ich auch die Eigenart, immer Berge besteigen zu müssen, sehr tief in mir.

Standard: Es geht ganz allgemein um Extremerfahrungen?

Platzgumer: Man könnte sich natürlich genauso gut in Wüsten oder in Dschungel reinsteigern. Aber für mich strahlt speziell diese Eis-Schnee-Landschaft eine extreme Reinheit und Klarheit und gleichzeitig eine irrsinnige Vielschichtigkeit aus. Der Nordpol als Punkt ist letztlich völlig ungreifbar, obwohl ihn der Mensch klar definiert hat. Da oben hört sich unser ganzes Raum- und Zeitempfinden auf. Die Arktis ist immer noch ein weißer Fleck. Ich finde sie sowohl als Idee als auch als tatsächliches geografisches Gebiet faszinierend.

Standard: Der Nordpol als Gegenstück zu der Welt, in der wir leben ...

Platzgumer: Und gleichzeitig wird er von unserer Welt hier beeinflusst und schmilzt weg.

Standard: Sie haben überhaupt einiges an Sozialkritik in den Roman reingepackt. Das ging bis vor ein paar Jahren gar nicht.

Platzgumer: Das galt schon als sehr uncool. Aber man kann in einem Roman sowieso Sachen sagen, die man selber nicht eins zu eins so sagen könnte. Meine Frau zum Beispiel hat den Protagonisten am Anfang total scheiße gefunden, erst im Laufe des Buches ist er ihr sympathisch geworden. So eine Ambivalenz finde ich gut, er ist ja kein strahlender Held. Und von so einer ambivalenten Position aus lassen sich gesellschaftliche Missstände aufzeigen, ohne mit dem Zeigefinger zu kommen. Genau darum geht es. Die Sichtweise im Ro-man muss nicht behaupten, sie ist die wahre. Die aufregendsten Momente beim Schreiben waren für mich die, als dieser Sebastian Fehr selber die Entwicklung in die Hand genommen und mir einige Turns diktiert hat.

Standard: Unterstützen Musik und Schreiben einander eigentlich – oder stehen sie sich eher im Weg?

Platzgumer: Es gibt keine direkte Verbindung bei mir. Man lernt übers Schreiben viel, man reflektiert einfach mehr als sonst, über sich und über die Welt. Das hat man beim Musikmachen weniger. Mir hilft das Switchen zwischen den beiden Polen. Es gab Phasen, wo ich das Buch für Monate weggelegt und lieber Musik gemacht habe. Es ist wichtig, Abstand zu gewinnen, und dann wieder frisch anzufangen. Sonst hätte ich es vielleicht nicht geschafft. Ein Roman ist eine wahnsinnige Arbeit.

Standard: Dabei haben Sie den Ruf eines Tiroler Sturschädels.

Platzgumer: Das stimmt wohl. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann will ich es durchziehen.

Standard: "Weiß" wirkt wie ein Roadmovie. Könnte das als Film funktionieren?

Platzgumer: Ich weiß nicht, aber es wäre mein größter Wunschtraum, wenn sich jemand dessen annehmen würde. Es muss nicht gleich Sean Penn sein, der hat ja schon "Into The Wild" über ein ähnliches Thema gemacht. Es scheint, diese Art von Aussteigergeschichte passt gut zur Zeit. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.4.2008)