Foto: DER STANDARD
Kyle Cassidy hat amerikanische Mitbürger fotografiert, die damit einverstanden waren und die eine Waffe besitzen. Und er hat beschlossen, "diese Menschen nicht anders zu behandeln, als wenn ich irgendwelche Lotteriegewinner vor der Kamera hätte. Ich wollte nicht auf die Hilfestellung von Kontroversen zurückgreifen (...), ich wollte vor allem eine gute Aufnahme".

Das war löblich. Denn Kontroversen – Charlton Heston, schau oba – gibt es genug, wie nicht zuletzt Michael Moore – selbst Mitglied der National Rifle Association – klargemacht hat. Cassidy hingegen ermöglicht den ungetrübt ethnografischen Blick. Er hat rund 100 Landsleute in ihren Wohnungen fotografiert. Er hat sie alle, den Studenten, die Hausfrau, die kinderreiche Familie, den Demokraten und Jagdfreund, den schwarzen Polizisten, den Juristen und die Pensionistin gefragt: "Warum besitzen Sie eine Waffe?" – oder mehrere: Im Zimmer von Howard aus Pennsylvania sieht man fast 50 Gewehre. Und er gibt ihre Antworten kommentarlos als Bildlegende wieder.

Das Recht, Waffen zu tragen, gehört zum amerikanischen Selbstverständnis. Statistische Vergleiche mit anderen Ländern, Verweise auf korrupte Waffenfirmenlobbyisten, moralische Appelle konnten bisher wenig daran ändern, dass US-Bürger von ihrem Recht fasziniert sind und davon Gebrauch machen. Ein guter Freund von mir lebt als alternder Hippie in den kalifornischen Wäldern. Das alternative Leben ist ihm zur zweiten Natur geworden. Der Stolz auf seine Gewehre und Pistolen ebenso. Er tut keiner Fliege etwas zuleide, Wildschweinen hingegen sehr wohl. Und gegen Eindringlinge würde er sich entsprechend wehren.

Ist das zu verdammen? Schwer zu sagen, und nach dem Betrachten der ausgezeichnet "neutralen" Bilder wird die Antwort nicht leichter. Andererseits lebt das Fotoprojekt von der Vielfalt der Interieurs, die Cassidy vor uns ausbreitet. Die Wohnzimmer, Küchen und Kammern zeigen, dass Waffenbesitzer und -befürworter von überall her kommen. Und man sieht auf den Bildern, dass es fast immer von allem zu viel gibt. Auch das ist sehr amerikanisch. (Michael Freund, ALBUM/DER STANDARD, 12/13.04.2008)