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Wandern in Ligurien

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Ligurische Küste

Vor rund zwanzig Jahren entwickelte die Region Ligurien im Hinterland der italienischen Riviera zwischen La Spezia und Ventimiglia einen 440 Kilometer langen Fernwanderweg von der französischen Grenze bis zur Toskana: die Alta Via dei Monti Liguri. Da er allerdings fast immer über Bergkämme führt, streift er nur wenige Orte und bietet fast keine Übernachtungsmöglichkeiten.

Diese Nachteile sucht eine von dem deutschen Reisefotografen Georg Henke ausbaldowerte Variante zu vermeiden, die für wenig Geld aus dem Internet zu laden ist: Alle Tagesetappen enden an Dörfern oder Hotels - das Ideale für Wanderer, die lieber ohne Zelt und Schlafsack unterwegs sind, und, vielleicht noch wichtiger, abends gern einen kulinarischen Kontrapunkt zur Askese des Tages setzen.

Wermut, Thymian und Pfefferminz

Abwechslungsreich ist die Landschaft, und vielfältig präsentiert sich auch das Wetter während dieser Zeit. Manchmal bescheint eine blanke Sonne alte Forts und verlassene Dörfer wie Tetti dei Cancelli auf 1400 Meter Höhe. Dachsparren ragen aus Mauern, die einfach nicht zerfallen wollen, in überwucherten Gärten schält sich von uralten Kirschbäumen schwarz-rissig die Borke, es riecht nach Wermut, Thymian und Pfefferminz.

Dann wieder verwandeln heftige Güsse alte Maultierpfade in Rutschbahnen. Über diese Wege, die senkrecht von der Küste ins Landesinnere führen, tauschten die Menschen Salz, Fisch und Öl gegen Getreide und Holz. So wie einst die Ochsen an den Fuhrwerken schufteten, mühen sich jetzt die Wanderer: geduckt, schicksalergeben, nur ab und zu die schwersten Lehmklumpen von den Füßen stampfend - "Beine wie zerfließende Panna cotta", meldet der Mitwanderer.

Der Tag endet im Nebel, auf dem Pass von San Bernardo di Mendatica. Vage tauchen aus der grauen Suppe die Schemen verschlossener Sommerhäuser auf, daneben die rostigen Reste einer schon lange nicht mehr betriebenen Restaurantterrasse. Fast scheint es wie ein Wunder, als im Hotel auf das Klingeln hin die Wirtin öffnet. Sie und ihr Mann sind die einzigen Bewohner hier oben, die beiden Wanderer teilen sich den großen Kasten mit einem jungen Paar. Irgendwo da draußen in Italien ist jetzt Frühsommer, herinnen ist es kühl.

Neue Zusammenstellung an Bergblumen

Eigentlich erwartet man, dass jeden Augenblick ein Wahnsinniger mit Hackbeil aus der Küche stürmt - aber es ist dann doch nur der etwas eigenwillige Padrone, und es geht tatsächlich so etwas wie eine Sonne auf, als er sich endlich bequemt, die Speisenfolge bekanntzugeben: Tarte aus Käse, Gemüse und Pilzen, Gnocchi mit Gorgonzolasoße, Wildschweinragout mit Kartoffelspalten und Panna cotta.

"Alperösli sind as gsi", schmettert der Mitwanderer vollkommen enthemmt über die Flure, als der Weg hinauf zum 2200-Meter-Gipfel des Monte Saccarello durch ganze Hänge der tiefroten Glut führt. Aber nicht nur das: Die Fackeln des gelben Enzians lodern, es drohen die zackigen Helebarden violetter Disteln, Saxifraga hängt in weißen Trauben vom Fels - jedes Tal, jeder Hang in Ligurien bietet eine neue Zusammenstellung an Bergblumen. Bläuling und Zitronenfalter setzen azurne und blassgelbe Farbtupfer, und die spitzen Pfiffe der Murmeltiere liefern die akustische Untermalung.

Ein Dorf mit sechs Bewohnern

Reißt der Nebel auf, fällt der Blick häufig auf verfallene Terrassen. Stufe um Stufe, Mauer um Mauer haben die Bergbauern den steilen Hängen oft von ganz unten bis ganz hinauf Land abgerungen, fruchtbaren Boden für Getreide, Kartoffeln, ein paar Obstbäume. Dazwischen scharen sich auf einem Felssporn Häuser zu einem Dorf zusammen, einem jener Dörfer, in denen seit Jahrzehnten kein neues Gebäude mehr errichtet wurde, Dörfer wie Realdo im Valle Argentina etwa. Um 1900, sagt der 77-jährige Guiseppe Lanteri-Motin, der gerade des Weges kommt, hätten hier 700 Menschen gelebt. Heute sind es noch sechs. Giampiero Borgna, ehemaliger Blumenzüchter, der zum Naturguide umgeschult hat, bringt die Wanderer in seinem Jeep nach Triora hinunter. Auch Triora ist eine Kleinstadt, aus deren Mauern die Zeit wispert: Hier war man einmal wer! Anders als den meisten seiner Nachbarn in den Bergen aber ist es Triora gelungen, wenigstens einen Fuß in die Gegenwart zu setzen. Fels und Grün greifen noch ineinander über, aber in dem Labyrinth aus Durchbrüchen, Aufgängen, überwölbten Treppenwegen, brombeerüberwuchertem Mauerwerk und dem Bodenpflaster aus senkrecht eingesetzten Flusskieseln haben sich mittlerweile neben den rund 450 Einheimischen einige ausländische Künstler niedergelassen.

"Hexenküsse" und "Teufelseier"

Häuser sind für 35.000 Euro zu haben, Maurer werkeln vielerorts. Bekannt wurde Triora durch Hexenverfolgungen Ende des 16. Jahrhunderts. 17 Frauen starben im Gefängnis, unter der Folter oder durch Feuer. Das ethnografische Museum beschäftigt sich blutig-anschaulich mit der Geschichte, und auch "La strega di Triora" nimmt sie - eher folkloristisch - auf. Das Spezialitätengeschäft bietet nicht nur Bruzzo, einen scharfen Frischkäse, eingelegte Steinpilze und würzige Salame, sondern auch "Hexenküsse" und "Teufelseier" aus Schokolade und den originalen Hexenbesen für drei Euro und 50 Cent - billiger war Fliegen nie. (Franz Lerchenmüller/Der Standard/rondo/11/04/2008)