"Darum finde ich Theater brisant politisch. Weil es das nicht gibt. Die anderen. Ich. Ich bin alle": Anne Bennent.

Foto: Newald
Über den Rimbaud-Abend am Freitag und "Kirschgarten" in St. Pölten sprach sie mit Cornelia Niedermeier.

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Wien - Es gibt sie, die besonderen Momente. Dort, wo Anne Bennent auftritt, beispielsweise. Wer sie gesehen und gehört hat, im wahren Sinn erlebt am Burgtheater, weiß es. Als Penthesilea. Als Käthchen. Als Sascha in Tschechows Iwanow. Eine Intensität, die nachhallt im eigenen Körper, schwer zu beschreiben, nicht zu verstehen.

Die besonderen Momente aber lassen sich nicht rufen. Sie tauchen auf an unvermutetem Ort. Wie Anne Bennent. Vor rund zehn Jahren hat sie, die seit ihrem neunten Lebensjahr auf der Bühne steht, mit den großen Regisseuren des europäischen Theaters arbeitete, mit Peter Zadek, Peter Brook, Patrice Chéreau, sich verabschiedet von der Staatstheater-Bühne. Veränderte sich. Widmete Zeit ihrer Familie, den Söhnen Anton (9) und Felix (4), ihrem Mann, dem Akkordeonisten Otto Lechner.

Wer sich auf ihre Spur begibt, entdeckt jedoch erstaunt, dass sie sich keineswegs zurückgezogen hat von der Bühne. Nur anders, vielleicht intimer, sind die Räume, denen sie ihre Kunst anvertraut: Lesungen der Texte von Robert Walser, von Thomas Bernhard, gemeinsam mit Otto Lechner, der das Gelesene mit dem Akkordeon akzentuiert.

Oder ihren wunderbaren Chanson-Abend Pour Maman, für den sie im heruntergekommenen Club Renz in der Leopoldstadt, wo einst Josephine Baker aufgetreten war, einen magischen Ort fand. Ankündigungen steht sie eher gleichgültig gegenüber, im Vertrauen, dass ihr Publikum sie finden wird. Im Vertrauen vielleicht auf den Zufall.

In wenigen Tagen etwa, am Freitag und am Samstag, wird sie im dritten Bezirk auftreten, bei einem kleinen Veranstalter namens DAS DORF, mit Texten von Rimbaud und Apollinaire, von Beckett und Brecht, begleitet von dem französischen Rapper Samuel Veyrat und dem Gitarristen und Komponisten Karl Ritter.

Mehrmals brachte dieses von ihr selbst erdachte Programm das Studio Molière zum Beben unter dem Andrang des Publikums. Nun also im ungleich winzigeren DORF (Vorbestellung ist also dringend ratsam!). Danach zieht sie weiter in den großen Saal der Kölner Philharmonie. Groß und klein, staatlich und privat, sind offensichtlich Kategorien, die wenig Bedeutung haben im Denken von Anne Bennent. Stattdessen Respekt - vor ihren Kollegen, vor den Texten, vor dem Publikum. Offenheit. Veränderung.

Auch Theater spielt sie wieder: In St. Pölten, wo sie noch bis 19. April als Ranjewskaja in Tschechows Kirschgarten auf der Bühne des Landestheaters steht. Aus Liebe zu Tschechow. Aus Liebe zu jenem verwunschenen Kirschgarten, in dem sie erstmals 1978, im Alter von 15 Jahren spielte. Damals, im Berliner Schillertheater, die Anja, später, mit 25, in Stuttgart, unter Ivan Nagel, die Varja. Nun also Ranjewskaja. Nach St. Pölten.

STANDARD: Es ist nicht leicht, Sie zu finden... Von Ihrem Chanson-Abend "Pour Maman" habe ich in einer Aussendung des Aktionsradius Augarten erfahren...

Bennent: Mein Mann, Otto Lechner, ist Bürgermeister der Augartenstadt, dieser fiktiven Stadt in der Stadt, und ich bin sozusagen seine Bürger-Maîtresse, also die Bürgermeister-Gattin und habe einige Verpflichtungen der sonderbaren Art. Dann setze ich einen Hut auf und trete an der Seite meines Mannes auf und spreche kein Deutsch. Dort hat man mich auch gefragt, ob ich zu einer Vernissage von Pauline Binoux etwas mache. Ich wollte schon immer gern Das trunkene Schiff von Rimbaud sprechen, und Beckett. Also habe ich einen Musiker gefragt, ob er mich begleitet. Dann habe ich das dort gemacht eine halbe Stunde im Dunkeln mit einer Taschenlampe - und das war ein Ereignis...

STANDARD: ... aus dem sich später der Poesie-Abend "Comment Dire ... wie soll man sagen" entwickelt hat, mit dem Sie nun im DORF auftreten. Ohne Subventionen.

Bennent: Der "Club du Mardi", für den wir den Abend entwickelten, hat bei der Stadt Wien angesucht, und hat 100 Euro gekriegt, glaube ich. Wien Kultur. Da haben wir die halben Kopien zahlen können. Die wollten aber eine CD als Beweis, dass wir auch wirklich gearbeitet haben. Da habe ich gesagt, eine CD-Aufzeichnung können wir uns leider nicht leisten...

STANDARD: In St. Pölten spielen Sie den Kirschgarten, ein Stück, das Sie seit langem kennen.

Bennent: Kennen? Ich weiß nicht. In den entscheidenden Momenten ist es bei Tschechow so vielschichtig - ich kann auch als Schauspielerin nicht festlegen, was die Ranjewskaja empfindet. Dazu ist sie mir zu fremd und zu kompliziert. Also ist es so eine Mischung aus Faulheit und Hingabe, die mich da trägt. Und Vertrauen in Tschechow. Ich gebe mich dem hin, so gut ich kann. Mit dem, was ich gelebt habe. Eigentlich weiß man ja nicht sehr viel. Es gibt nur eine Berührung.

STANDARD: Nach Ihrem Abschied aus dem Burgtheater dachten Sie daran, fortzuziehen von Wien?

Bennent: Ich wollte meine Kinder packen und meinen Mann und nach London. Oder Berlin. Ja, und dann bin ich über den Donaukanal gezogen. Und es ist tatsächlich so: Ich bin in einem ganz anderen Land. Es gibt so viele verschiedene Welten an einem einzigen Platz. Oder in einem selber. Da braucht man nicht weit fahren. Darum finde ich das Theater auch wirklich, wenn es Theater ist, brisant politisch. Nicht, weil man sagt, ich bin links. Oder ich bin gegen das. Sondern einfach, indem man sagt, ich bin alle. Es gibt nicht ich und die Anderen. Das ist permanent im Austausch. Das Junge, das Alte, das Arschloch. Alles. Es ist nur eine Frage, in welcher Bewegung das ist. Sobald es erstarrt, wird es gefährlich. Es kriegt eine ungeheure Sprengkraft. Dann ist das alles geballt und wird gewaltig. Dann kann es auch sehr zerstörerisch sein. Dann wird einer Diktator, vielleicht. Dieses uralte Bedürfnis ist so unmittelbar. Sich zu verwandeln. Nicht der zu sein, der man ist. Denn man ist nie, der man ist. Das gibt es nicht... (Cornelia Niedermeier/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 4. 2008)