Arthur C. Clarke: "Rendezvous mit Rama"

Broschiert, 304 Seiten, € 9,20, Bastei/Lübbe 2008.

Der im März verstorbene Sir Arthur C. Clarke gehört zu den wenigen Science Fiction-AutorInnen, deren wichtigste Werke immer wieder neu aufgelegt werden. In seinem im Original 1973 erschienenen Roman "Rendezvous with Rama" variierte Clarke eines seiner Lieblingsmotive: Die Begegnung der Menschheit mit einem ebenso imposanten wie rätselhaften außerirdischen Objekt - konkret einem 50 Kilometer großen Zylinder, der sich ins Sonnensystem hereinbewegt.

Clarke verschwendet wenig Zeit auf Vorgeschichte und Vorbereitungen der Forschungsmission, die dem Objekt entgegen geschickt wird; schon nach 20 Seiten landet das internationale Team um Commander William Tsien Norton auf "Rama" und dringt in sein Inneres vor. Statt dessen spielt Clarke eine seiner großen Stärken aus: das getreue Berücksichtigen physikalischer Fakten. Wechselnde Schwerkraftverhältnisse und die gigantischen Dimensionen des Hohlzylinders, die jede gewohnte Perspektive sprengen, stellen Wahrnehmung und Orientierung der AstronautInnen vor neue Herausforderungen. Wie bewältigt man eine kilometerlange Treppe, in deren Verlauf sich Begriffe wie oben und unten umkehren, und wie überquert man einen den ganzen Zylindermantel durchschneidenden Wasserring ohne Antigravitationstechnik und ähnliche gern verwendete schriftstellerische Ausflüchte? Die Zeit wird knapp, da sich "Rama" auf seiner Bahn der Sonne nähert - und langsam erwacht sein Inneres zum Leben.

"Rendezvous mit Rama" wurde mit dem Hugo-, Nebula- und dem Campbell Award ausgezeichnet und war der Auftakt des erst viele Jahre später fortgesetzten "Rama-Zyklus", der nun bei Bastei Lübbe in Taschenbuchform neu erscheint - eine lohnende Wiederentdeckung.

Coverfoto: Bastei Lübbe

Robert Charles Wilson: "Axis"

Broschiert, 398 Seiten, € 9,20, Heyne 2008.

Das am sehnlichsten erwartete Sequel der Saison war wohl die Fortsetzung zu Robert Charles Wilsons Bestseller "Spin" von 2006. Kurz rekapituliert: In "Spin" schnitt ein von Unbekannten installierter Energieschirm die Erde vom Universum ab, der sich bald als Zeitfeld herausstellen sollte. Während für die Hauptpersonen, Tyler Dupree und die mit ihm befreundete Familie Lawton, subjektiv nur Jahrzehnte verstrichen, alterte außerhalb des Spin das Universum im Zeitraffer um Jahrmilliarden. Zum Schluss öffnet sich der Schirm und im Indischen Ozean ragt ein von denselben Unbekannten - genannt die Hypothetischen - errichteter gigantischer Torbogen bis an den Rand der Atmosphäre hoch und öffnet den Menschen den Weg auf einen unbekannten Planeten.

"Axis" spielt sich einige Jahrzehnte später auf diesem neuen Planeten ab (der seinerseits über einen weiteren Torbogen zur nächsten Welt führt). Auf Äquatoria hat sich eine pionierartige Multi-Kulti-Gesellschaft ebtabliert; ihr gehören Lise Adams, der Pilot Turk Findley und der seltsame 12-jährige Junge Isaac an. Lise ist auf der Suche nach ihrem verschwundenen Vater - parallel dazu läuft eine Behördenfahndung nach Adams, denn er ist ein Vierter: Angehöriger einer bereits in "Spin" auftauchenden Subkultur, die mittels einer lebensverlängernden Therapie ein "viertes" Lebensalter erreicht, was von offiziellen Stellen argwöhnisch betrachtet und schließlich gnadenlos verfolgt wird.

"Axis" bäckt naturgemäß kleinere Brötchen als "Spin", in dem ein Großereignis das andere jagte: Gesellschaftliche Umwälzungen, mehrere vermeintliche Weltuntergänge, das Versagen der Religionen angesichts eines quasi-göttlichen Ereignisses wie des Spin, die durch die Zeitdifferenz möglich gewordene Terraformierung und Besiedelung des Mars, der schließlich ebenfalls hinter einem Spin eingefroren wird. Und schließlich die Vision eines die ganze Galaxis umspannenden "Ökosystems" aus Von-Neumann-Maschinen irdischer wie nicht-irdischer Herkunft. Mit diesen nach wie vor nur vermuteten Hypothetischen könnte ein erster direkter Kontakt möglich werden, als über Äquatoria Aschewolken niedergehen, in deren Innerem die Reste komplexer Strukturen erkennbar sind.

Der Aufbruchsgeist am Ende von "Spin" erlebt in "Axis" einen spürbaren Dämpfer- exemplarisch gemacht an Diane Lawton-Dupree, die als einzige der "Spin"-Charaktere im Sequel als Nebenfigur auftaucht - und sich als Krankenschwester in einem Küstenkaff verdingt. Aber auch wenn der Bezugsrahmen kleiner geworden ist und Wilson sich stärker auf die Charaktere konzentriert, bleibt es spannend. Denn die Menschheit wird der Auflösung des großen Geheimnisses wieder einen Schritt näher rücken ... und irgendwie schreit das alles sehr nach einem dritten Teil.

Coverfoto: Heyne

Jeffrey Thomas: "Punktown"

Broschiert, 331 Seiten, € 11,40, Festa Verlag 2006.

Paxton, "Punktown" genannt, könnte für China Mievilles New Crobuzon Pate gestanden haben: Eine monströse Stadt auf dem Planeten Oasis, in der Menschen, Außerirdische, künstliche Geschöpfe und Mutanten nebeneinander leben. Nur bedingt miteinander, denn der Gewaltpegel ist hoch: Syndikate heuern Auftragskiller an, geklonte Fabrikarbeiter werden nach ein paar Dienstjahren verbrannt, Aliens dürfen ungestraft morden, wenn sie dies vor den Behörden als kulturelle Eigenheit begründen.

Dem gegenüber stehen ProtagonistInnen, die fast wie Romancharaktere aus dem 19. Jahrhundert mit Konzepten wie moralische Integrität, persönliche Würde, Liebe und Einsamkeit ringen: Der Künstler Drew etwa, der entstellte Klone seiner selbst an sadistisch veranlagte Kunden verkauft. Oder die Kellnerin Norah, die sich die Erinnerung an eine Vergewaltigung aus dem Gedächtnis löschen hat lassen und nun jedem Mann als möglichem Täter misstraut. Oder Junk Pharaoh, Vollstrecker eines Nachbarschafts-Sicherheitsdienstes, der eine ehemalige Liebhaberin eliminieren soll, die zur hausgroßen Gebärmaschine Sweaty-Betty, die Termitenkönigin mutiert ist.

Der US-Amerikaner Jeffrey Thomas hat seit den 90ern Geschichten rund um seine Hauptschöpfung "Punktown" veröffentlicht - die 15 hier versammelten durchgängig guten bis hervorragenden Episoden erinnern an die bizarren Welten Mievilles ebenso wie an die Blut- und Fleisch-Poesie Clive Barkers.

Coverfoto: Festa Verlag

Philip José Farmer: "Der Flusswelt-Zyklus"

Teil 1-3, "Die Flusswelt der Zeit", "Auf dem Zeitstrom", "Das dunkle Muster", jeweils € 9,20, Piper 2008.

Ein echtes Muss für Genre-Fans ist der "Flusswelt"-Zyklus - wohl das wichtigste Werk aus Philip José Farmers umfangreichem Schaffen; der erste Teil (im Original "To Your Scattered Bodies Go", 1971 erschienen) war seinerzeit mit dem Hugo Award ausgezeichnet worden.

Farmer hat sich nie viel um wissenschaftliche Glaubwürdigkeit gepfiffen und seine ProtagonistInnen viel lieber in exotisch konstruierte Welten geworfen, die ihm jedoch so schnell keiner nachgemacht hat. Hier ist es ein Planet, der ein einziges Flusstal darstellt: Der Fluss windet sich in unzähligen Mäandern über die gesamte Oberfläche, gesäumt von Nahrungsspendern als einzig sichtbarem Bestandteil einer Supertechnik unbekannter Herkunft. An seinen Ufern erwachen plötzlich und zum gleichen Zeitpunkt gerade erst verstorbene Menschen aus allen Epochen der Geschichte wieder zum Leben, verjüngt und quasi unsterblich: Wer zu Tode kommt, erwacht kurz darauf einfach an einem anderen Flussabschnitt von neuem.

Hauptfigur ist der historische Entdecker Sir Richard Francis Burton, ein Protagonist typisch Farmerscher Prägung: umfassend gebildet und zugleich ein Mann der Tat. Mit ihm begibt sich eine gemischte Gruppe realer und fiktiver Persönlichkeiten - darunter Mark Twain, Cyrano de Bergerac, der Urmensch Kazz und der erstaunliche Wandlungen durchmachende Hermann Göring - auf die große Expedition zum Ursprung des Flusses, um Antwort auf die Frage zu finden: Wer versetzt alle Menschen, die jemals gelebt haben, nach ihrem Tod auf die Flusswelt? Und vor allem: warum?

Auch wenn "Flusswelt" eine große Abenteuergeschichte ist, hebt die metaphysische Komponente sie über viele andere Romane Farmers hinaus: Alle Religionen, die die Menschen mit sich auf die Flusswelt bringen, scheitern an der offensichtlichen Existenz eines sehr realen Lebens nach dem Tod, der Begriff "Seele" wird eine völlig neue Bedeutung erhalten, das Dasein des Menschen an sich muss hinterfragt werden.

Zwischen dem Erscheinen von Band 1 und 3 lagen in der Realität fast die gesamten 70er - der gesellschaftliche Wandel, der sich in diesem Zeitraum vollzog, konnte auch an einem alten Hasen wie Farmer nicht vorbeigehen und zeigt sich unter anderem in der Darstellung der Frauenfiguren. Diese ersten drei Bände sind nun im Piper Verlag in einem Rutsch neu herausgegeben worden (der erste Band um die knapp 100-seitige Novelle "Auf dem Fluss" ergänzt), zwei weitere sollen im Spätherbst folgen. Große Empfehlung!

Coverfotos: Piper

Thomas Thiemeyer: "Magma"

Broschiert, 528 Seiten, € 9,20, Droemer/Knaur 2008.

Seit dem Erfolg von Frank Schätzings "Der Schwarm" scheinen deutsche Verlage im Themenbereich zwischen Wissenschaftsthriller, Öko-Katastrophe und Science Fiction Chancen zu wittern. Auf einem Gebiet, das früher Michael Crichton & Co abdeckten, werden inzwischen vermehrt deutschsprachige Autoren verlegt: In Bernhard Kegels "Der Rote" (Mare Buchverlag) taucht ein Riesenkalmar an die Oberfläche, in Ulrich C. Schreibers "Die Flucht der Ameisen" (Shayol Verlag) bricht ein Vulkan in der Eifel aus und verursacht eine Flutkatastrophe am Rhein - und der Stuttgarter Thomas Thiemeyer hat sich schon durch eine ganze Reihe von mysteriösen Phänomenen gearbeitet, sei es eine versunkene Sahara-Kultur oder Kryptozoologen-Liebling Mokéle-mbêmbe.

In seinem aktuellen Thriller "Magma" sind es Millionen Jahre alte unzerstörbare Kugeln aus Stein, die an immer mehr Plätzen aus der Erde geholt werden - auch wenn das Buch mit einem kosmischen Ereignis beginnt: dem Abschied vom Riesenstern Beteigeuze, der als Nova explodiert. Wie die Ereignisse am Himmel und unter der Erde zusammenhängen, wird zur entscheidenden Frage - spätestens als sich die Kugeln als überaus aktiv erweisen und im Rhythmus von zwei Stunden 48 Minuten zu "ticken" beginnen. Erdstöße werden ausgelöst und schaukeln sich gegenseitig hoch, bis der gesamte "Feuergürtel" um den Pazifik in Bewegung gerät. Eine weltweite seismische Katastrophe droht.

Einmal mehr stammen die ProtagonistInnen aus dem Bereich Wissenschaft - allen voran die rührige Seismologin Ella Jordan, die sich - von der US-Regierung aus ihrer Uni-Vorlesung geholt - fortan an vorderster Front aufhält, in den Marianengraben ebenso abtaucht wie Kugelfunde rund um den Globus in Augenschein nimmt. Parallel zu den offiziellen Untersuchungen ist eine geheime Forschungsorganisation, die ihr Hauptquartier tief unter den Schweizer Bergen hat und schon länger von den Kugeln weiß, am Werk. Sabotage, Spionage und ein persönlicher Rachefeldzug erhöhen das Spannungsmoment - Logik und Stil können da nicht immer mithalten. So begeht Thiemeyer immer wieder den Kardinalfehler, wissenschaftliche Termini innerhalb von Dialogen zwischen den Hauptpersonen zu erklären - die sind aber allesamt Fachleute und bedürften wohl kaum Erläuterungen über die absoluten Basics von Geologie und Seismologie. Und auch wenn letztendlich geklärt wird, was der Zweck der geheimnisvollen Kugeln ist - das Timing ihres Einsatzes lässt doch einige Fragen offen.

Coverfoto: Droemer/Knaur

Marina und Sergej Dyachenko: "Das Jahrhundert der Hexen"

Broschiert, 448 Seiten, € 10,30, Piper 2008.

Tiere sterben, Pestfälle treten auf, Hexen werden verantwortlich gemacht und auf Scheiterhaufen verbrannt - doch es ist nicht die Vergangenheit, in der sich "Das Jahrhundert der Hexen" abspielt, sondern ein osteuropäisches Land der ungefähren Gegenwart. Computer, Fernsehen und Flugzeuge gehören in der fiktiven Millionenmetropole Wyshna ebenso zum Alltag wie untote Njawken und die sie bekämpfenden Tschugeister, die wie Streifenpolizisten die Straßen patrouillieren.

Und es gibt die Inquisition, deren Aufgabe es ist, Hexen amtlich zu registrieren oder - wenn sie sich weigern - zu eliminieren. Großinquisitor Klawdi Starsh ist ein typischer Beamter in mittleren Jahren - abgeklärt, manchmal im Zwiespalt über die Konsequenzen seines Tuns, letztendlich aber von dessen Notwendigkeit überzeugt. Ihm gegenüber steht Ywha Lys, eine junge Frau mit dem Potenzial zur Hexe ... und überdies die künftige Schwiegertochter seines besten Feundes. Sie wünscht sich nichts mehr als einfach in Frieden und Freiheit leben zu können - doch dafür lebt sie in einer ungünstigen Zeit: immer mehr Hexen rotten sich zusammen, verüben Anschläge und werden zur gesellschaftlichen Bedrohung.

Mit dem überragenden Erfolg von Sergej Lukianenkos "Wächter"-Reihe ist das Interesse an osteuropäischer Phantastik-Literatur wieder gestiegen - und das in Kiew lebende Ehepaar Dyachenko zeigt mit "Das Jahrhundert der Hexen" einmal mehr, dass dies gerechtfertigt ist: Das Wort Terrorismus fällt im Roman nie, und doch wirkt das Szenario nur zu vertraut. Die Dyachenkos verstehen es meisterlich die Sympathiefrage offen zu lassen: Im Rundfunk wird über Bürgerrechte diskutiert, Klawdi muss die sich abzeichnende Apokalypse rund um die Ankunft der prophezeiten Mutterhexe abwenden, wofür er nach Standard-Prozedur Frauen foltert - aber auch die Attacken der Hexen werden brutaler. Eine hypnotisch begabte Nackttänzerin, die ihr sabberndes Publikum vor dessen Tod zum Strippen zwingt, kann noch eine Art von Gerechtigkeit für sich verbuchen - später scheren sich ihre immer mächtiger werdenden Kolleginnen um die Opferauswahl nicht mehr. Die Gewaltspirale dreht sich weiter - doch wie Klawdi es ausdrückt: Jeder Henker sucht für sich eine Rechtfertigung.

Coverfoto: Piper

Pierre Grimbert: "Die Magier, Teil 1: Gefährten des Lichts"

Broschiert, 368 Seiten, € 9,20, Heyne 2008.

Es beginnt mit einer Mordserie und dem Rückblick auf eine seltsame Begebenheit der Vergangenheit: Ein Jahrhundert vor der aktuellen Handlung waren Weise aus verschiedenen Ländern auf die Insel Ji gelockt worden, wo sie offenbar Haarsträubendes erlebten ... wovon sie Außenstehenden aber nie erzählten; nur ihre Kinder und Kindeskinder wurden teilweise in das Geheimnis eingeweiht. Und diese Erben von Ji sind es nun, die ein Unbekannter systematisch aus dem Weg räumt.

Aus den Überlebenden setzt sich die klassische Fantasy-Reisegruppe zusammen - vom französischen Autor Pierre Grimbert bunt genug zusammengesetzt, dass sich jeder seine Identifikationsfigur rauspicken kann: Das Teenager-Liebespaar mit Hindernissen, Yan und Léti (er von jugendlichem Tatendrang und Hormonstau getrieben, sie auf Emanzipation bedacht), die Magierin Corenn, der geheimnisvolle Krieger Grigán, der pazifistische Muskelprotz Bowbaq und der sympathische Tunichtgut Reyan.

Nie zuvor gelesene Weltentwürfe, seelische Abgründe oder stilistische Höhenflüge sind Grimbert egal wie der pelzige Hintern eines Margolins - die Sprache ist locker bis schnoddrig, versetzt mit Humor und gelegentlichen Stilbrüchen: süß etwa die Mutter der Außenpolitik im Rat des Matriarchats von Kaul. So saust man förmlich mit den GefährtInnen auf ihrer Queste dahin, die so abrupt mitten im Geschehen endet, dass die Teile von Tad Williams' "Otherland"-Saga daneben wie abgeschlossene Einzelwerke dastehen. - All diejenigen, die die Auflösung des Geheimnisses wissen möchten, werden daher begierig auf die drei weiteren Teile der Serie warten, die im Verlauf des Jahres ebenfalls auf Deutsch erscheinen werden.

... und hier geht es in der nächsten Rundschau-Ausgabe u.a. mit Martha Wells' "Necromancer" und Rachel Caines "Weather Warden" weiter. (Josefson)

Coverfoto: Heyne