The B-52's: "Funplex"

Grüße aus der Polaroid-Welt: Unter all den Comebacks einstiger New Wave-Größen, die's in den vergangenen Jahren gab, das mit Abstand überzeugendste. Wohl deshalb, weil sich hier nicht ein paar einander längst entfremdete Leute wieder ins Studio stellten und darauf hofften, dass noch einmal der Funke überspringt. Nein, die B-52's waren über Jahre hinweg gemeinsam auf Tour - und "Funplex" dokumentiert die ungebrochene - und mehr denn je dringend benötigte - Mission Freds, Kates, Cindys und Keiths: Volles Rohr positive Energie zu verbreiten. Und apropos Tour: Ein paar vereinzelte Europa-Termine im Juli stehen schon fest (die vorerst nächstgelegenen in Stuttgart, Bonn und Berlin); mein Flugticket ist gebucht. (Astralwerks/EMI)

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Coverfoto: Astralwerks/EMI

R.E.M.: "Accelerate"

It came from Athens, die zweite: Speziell die englischsprachige Presse feiert die "Rückkehr" von R.E.M. zum Rock. - Je, nun. Meine beiden liebsten R.E.M.-Songs sind immer noch "7 Chinese Brothers" und "So. Central Rain" von "Reckoning" - und an deren Feeling war beispielsweise "Up" auf seine eigene, elektronische Weise näher dran als der volle Gitarrenschall, der den Großteil von "Accelerate" prägt. Aber R.E.M. gibt's ja auch schon lange genug, dass sich jeder seine persönliche Lieblingsphase rauspicken muss. Und dass es Stipe & Co wohl tut, wieder mal etwas mehr Gas zu geben, lässt sich nicht abstreiten. Eine gute Platte, die vor allem von ihrem Impuls lebt - der eine Song, der einen so richtig umwirft, wäre noch schön gewesen. (Warner)

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R.E.M.

Coverfoto: Warner

Fotos: "Nach dem Goldrausch"

Madsen haben PR-trächtig das Ende des "Deutschpopding" verkündet und klingen auf ihrem neuen Album trotzdem pretty much genauso wie zuvor. Die Fotos hingegen spucken keine großen Töne und evolvieren statt dessen weiter: Seit ihrem Debüt vor zwei Jahren haben die vier, ohne an der Grundkonstellation Gitarre - Bass - Schlagzeug - Gesang ein Fitzelchen zu ändern, eine Funkiness entwickelt, die weniger nach der heimatlichen Hamburger Schule als nach französischen Vorbildern klingt: je nach Ausformung Phoenix oder Alex Gopher; auf der Maxi covern sie passenderweise Daft Punk. Schnelle, frische Stücke wie "Serenaden" oder "Nach dem Goldrausch" geben den Ton an - Ärsche, die dazu nicht ins Wackeln kommen, sind nicht lahm, sondern tot. (EMI)

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Fotos

Coverfoto: EMI

Baby Dee: "Safe Inside The Day"

Dreigroschenoper fürs neue Jahrtausend: Wenn die aus Cleveland stammende Baby Dee aus ihrem Leben singt, schraubt sie sich von piano zu forte und durch alle Stimmlagen - begleitet von einem Sound zwischen Kurt Weill und Danny Elfmans "Nightmare before Christmas". Im Backgroundchor Bonnie "Prince" Billy, der das Album auch koproduziert hat. Keine besungene Freude bleibt ohne Wermutstropfen, doch Wehleidigkeit ist Baby Dee gänzlich unbekannt: Als 55-jährige Transsexuelle von einiger körperlicher Imposanz singt sie I'm a big titty bee girl from Dino Town - und grade weil ihr immer wieder der Schalk im Nacken sitzt und sich in swingenden Stücken wie "The Only Bones That Show" niederschlägt, wirken die stilleren der Lieder - "You'll Find Your Footing" oder "Safe Inside the Day" - umso berührender. (Drag City/Rough Trade)

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Baby Dee

Coverfoto: Drag City

Wolke: "Teil 3"

Weil jeder Act sein Publikum und dafür seinen Marketing-Zirkus braucht, stellt sich die Frage, wie lange Oliver Minck und Benedikt Filleböck noch ihren einzigartigen Seiltanz zwischen Pop und Chanson vollführen können. Vielleicht werden sie sich eines Tages entscheiden, ob sie sich eher der Kleinkunst- oder der Musikszene anvertrauen, das dritte Album der Kölner pendelt aber einmal mehr gekonnt zwischen Elektro-Pop ("Kleine Lichter", "Trümmer") und fragiler Liedkunst ("Gib auf", Wo soll ich mit meiner Liebe hin?"). Eine Coverversion ist wieder dabei: "Spring" macht Van Halens "Jump" zur Tori Amos-haften Selbstmord-Ballade am Klavier. Wir werfen uns in unsere Kostüme, ich geh als Deutschland, du als Clown. Und wir rufen: Hurra! - ambivalent wie der musikalische Stil auch die scheinbare Simplizität der Texte, die zwischen trauriger Poesie und Sarkasmus schwanken. Wenige können mit Wolke etwas anfangen, aber sie sind groß. (Tapete/Hoanzl)

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Wolke

Coverfoto: Tapete

The Do: "A Mouthful"

This is pretty damn queer: Schon mit dem spektakulär rhythmisierten Eröffnungsstück "Playground Hustle" wird klar, dass das finnisch-französische Duo Olivia Merilahti und Dan Levy neue Wege geht. Ausgehend von einem (sehr hellblauen) Blues, überzuckern sie ihre Stücke teilweise mit Geigen oder 50er-Jahre-Revuechor und bauen Ethno-Elemente verschiedenster Herkunft ein: Sei es amerikanischer Folk oder karelische Volksmusik. Und es geht noch aberwitziger, etwa wenn Olivia zu Mariachi-Trompeten rappt ("Queen Dot Kong") - ganz zu schweigen vom Opener, der sich jeder Genre-Zuweisung entzieht. Einziges Manko: Die Hälfte der Zeit singt Olivia ein wenig höher, als es ihrer natürlichen Stimmlage entspräche - also muss sie pressen. Gibt insgesamt eine aufregende Stilmischung, deren Potenzial noch nicht ganz ausgeschöpft ist. (Get Down!)

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The Do

Coverfoto: Get Down!

Hercules and Love Affair: "Hercules and Love Affair"

Zugegeben, auf die Mitwirkung von Antony hätte ich gerne verzichten können - der Mann setzt mit seinen Johnsons mehr Öl frei als zehn verklappende Exxon-Tanker zusammen. Aber wie schon Björk im Duett "The Dull Flame of Desire" bewies, kommt's auch darauf an, welchen Rahmenbedingungen man sein Ultravibrato unterwirft. Für "Hercules and Love Affair" rekonstruiert und mischt der New Yorker DJ Andrew Butler mit FreundInnen die Basislager, aus denen der Dancefloor vor über 20 Jahren seinen globalen Siegeszug antrat: House-Varianten von den Großen Seen, aus Italien und England, No Wave und Restspuren der alten Disco. Supergroovig - und auf jedem zweiten Track verschafft einem die coolere Attitüde der Sängerinnen Nomi und Kim Ann Foxmann ohnehin stimmliche Erholung. (DFA/EMI)

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Hercules and Love Affair

Coverfoto: DFA/EMI

The Grand Opening: "Beyond the Brightness"

Und auch wenn das Album auf Gotland, wo Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt steht, abgemischt wurde, bildet "Beyond the Brightness" den größten Gegensatz zu den B-52's innerhalb dieser Playlist. Die schwedische Formation um John Roger Olsson lässt Gitarren, Wurlitzer-Piano und wie vom Wind auseinandergerissene Textzeilen durch den Äther wehen - zusammengehalten werden die langsamen und sehr ruhigen Stücke von einem kompakten Schlagzeug. Der gehauchte Gesang wirkt fast wie eine Draufgabe, die beiden Instrumentalstücke "On the Losing End" und "Convenient Situations" zeigen, dass es keiner Worte bedarf. Zum Einstieg bietet sich "Chainbreak" an, ehe man sich vollends auf die Reise ins Unterbewusste einlässt. (Tapete/Hoanzl)

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The Grand Opening

Coverfoto: Tapete

Scenario Rock: "Histrionics"

War das Element von The Grand Opening die Luft, dann ist die von Scenario Rock das Wasser: Dem mitreißend-aufgekratzten Gekrähe der Vorab-Single "Skitzo Dancer" zum Trotz fließen die Stücke auf CD1 des Doppelalbums mit bemerkenswerter Eleganz dahin - zum Teil werden sie dann auf CD2 Richtung Dancefloor remixt. In ihrer Urform stellen sie aber eine stilbewusste Neubelebung des auf Gitarren und Synthesizer aufgebauten 80ies-Pop à la XTC dar - und wenn Frontmann Mehdi Pinson zwischendurch mal maunzt wie weiland Robert Smith in seinen fröhlicheren Phasen, dann ist die Huldigung des Brit-Pop der frühen 80er Jahre perfekt; eine Huldigung aus Frankreich, wohlgemerkt. (Red Ink/Sony)

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MySpace-Seite von Scenario Rock

Coverfoto: Sony BMG

John Maus: "Love Is Real"

Was genau ist John Maus eigentlich? Ein großer Spötter, ein Soziopath, der an den hell erleuchteten Fenstern seiner Mitmenschen vorbeischleicht und mit Aufwallungen wirren Mitleids kämpft, oder ein Kasper am Keyboard? Das Album des Lo-Fi-Bastlers aus Minnesota gibt darüber keinen Aufschluss, es pendelt zwischen elegischem Kitsch, an Joy Division erinnernder Düsternis und kindischem Tastengeklingel. Kaum glaubt man die richtige Interpretation erwischt zu haben, macht Maus sie mit dem nächsten Song - oder einem Stilbruch noch im selben - wieder zunichte. Eine sehr seltsame Platte - und das sind oft genug die besten. (Upset The Rhythm)

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Coverfoto: Upset The Rhythm