"Wir waren Träumer, Utopisten, Spinner", sagen die Zwillinge über ihre Zeit in Rom. Über das Leben in München: "Wir haben intensiven Austausch, dabei sind wir eingefleischte Individualisten." Oben: Gisela Getty, John Paul Getty III und Jutta Winkelmann, ca. 1973. Unten: Jutta und Gisela vor kurzem in Wien.

Fotos: Claudio Abate, Heribert Corn

Standard: Sie waren stark, Sie hatten einander, und Sie wollten, wie Sie, Gisela, schreiben, in der Phase, als Sie vor Zechen im Ruhrgebiet Flugblätter verteilten, „den Menschen des 21. Jahrhunderts schaffen" helfen. Trotzdem sind Sie bald danach in eine Szene in Rom geglitten, die sich irgendwo zwischen Unterwelt, Aristokraten, Drogensüchtigen und Jet Set abspielte oder alles auf einmal war. Nicht ungefährlich.

Gisela: Wir hatten gemerkt, dass (in der politischen Arbeit) viel Sozialromantik dabei war. Das ging so nicht mit den Studenten. Die Arbeiter haben nur gesagt, die spinnen. Aber es war eben eine Suche, die weiterging. Bei unserem ersten LSD-Trip am Meer in Sperlonga merkten wir den Unterschied zwischen den Erscheinungen und den viel tieferen Ursachen. Auf dieser Ebene wollten wir weitermachen.

Standard: Es ging dann wohl noch ein paar Jahre weiter, in Rom und dann in Kalifornien, und die Beschreibungen klingen weiterhin nicht nach Läuterung, sondern nach Oberfläche.

Jutta: Das wurde von uns nicht so gesehen.

Gisela: Und nicht so erlebt, als wir da drinsteckten. Allerdings ging nach 68 das ekstatische Fenster wieder zu, und viele Leute verzweifelten und nahmen schwerere Drogen – was wir nicht gemacht haben.

Standard: Wann haben Sie zum letzten Mal LSD genommen?

Gisela: Als ich nach Los Angeles kam, Anfang der Neunzigerjahre. Es war gut. Und da war noch Ayahuasca, eine Schamanendroge aus Brasilien. Das war nochmal sehr anders, stärker. Da bin ich meinem eigenen Tod begegnet.

Jutta: Ayahuasca kommt aus der indianischen Kultur, es ist eine sehr starke visionäre Droge.

Gisela: Wir hatten zuvor sechs Wochen lang gefastet, nur Tee getrunken, uns völlig gereinigt.

Standard: Im Juli 1973 wurde John Paul Getty III, der noch nicht 17-jährige Enkel eines der reichsten Männer der Welt, von der Mafia in Rom entführt. Sie kannten ihn gut, und Sie hatten vor der realen Tat mit der Idee einer fingierten Entführung gespielt.

Gisela: Wir hatten damals viel rumgesponnen, Szenarien entwickelt und fanden das eine lustige Idee. Wir haben gemeint, der Großvater, der das Lösegeld hätte zahlen sollen, hätte das vielleicht ganz fantastisch gefunden und wir könnten eine Insel der Glückseligen schaffen, wo alle Leute hinkommen könnten, eine alternative neue Welt.

Jutta: Italien hat ja eine Entführungstradition, überhaupt damals. Wir haben das eher als revolutionären Akt ausgedacht, weil wir meinten, wir schaffen die neue Welt. Wir waren natürlich Utopisten und Träumer, Spinner.

Gisela: Nach dieser ekstatischen Zeit in Rom ging’s sehr nach innen. Wir erkannten uns in Rainer (Langhans), der auch sehr ernsthaft weiter gesucht hat. Er konnte uns etwas spiegeln, wo wir gesehen haben, da geht die Utopie weiter. Und auch heute leben wir in einem sozialen Experiment mit ihm.

Jutta: Dabei war das erst alles furchtbar, das war überhaupt nicht bunt bei ihm, es wirkte alles sehr asketisch. Er sagte aber dann etwas, das hat sich festgesetzt: Es muss so sein, dass man’s nicht kennt, sonst ist es wieder das Gleiche. Dieser neue Weg, der muss für einen selbst schwierig sein, dass man sich dem nähert, was man ablehnt.

Standard: Rainer Langhans wurde sehr für eine Haltung kritisiert, die seine Gegner als "esoterischen Faschismus" bezeichnet haben, für seine Äußerungen, dass man sich dem Faszinosum des Faschismus stellen müsse. Wie stehen Sie dazu?

Gisela: Er hat dazu zwei große dicke Bücher geschrieben, die nicht veröffentlicht worden sind und wo er versucht hat, der ganzen Sache auf die Spur zu kommen. Die politisch korrekte Version der Aufarbeitung in Deutschland hat eben nicht alle Fragen beantwortet, und da hat er weiter geforscht.

Jutta: Bestimmte Bereiche sind immer noch sehr tabuisiert, man traut sich nicht, genau hinzugucken. Die politischen Erklärungen greifen eben nicht ausreichend. Hitler wollte ja, wenn man so will – man mag es kaum sagen –, einen Gottesstaat errichten.

Standard: Immerhin wurde die SS als Orden definiert.

Jutta: Und da zu forschen und zu sagen, ich will da weiter sehen – das wurde von niemandem ernsthaft aufgegriffen ... Also der Rainer ist durch und durch links, der will nur keine Grenzen einhalten, und dann wird man heute sofort katalogisiert.

Gisela: Rainer hat auch diesen Ansatz, dass er eben nicht sagt, das unschuldige deutsche Volk ist vom Teufel Hitler verführt worden, sondern wir müssen selber in uns schauen, auf die eigene Gewalt und den eigenen Rassismus.

Standard: Auf Gruppenfotos Ihrer Gemeinschaft mit Langhans sehen Sie fünf Frauen sich recht ähnlich.

Jutta: Wenn wir alle schlecht drauf sind, sehen wir alle gleich schlecht aus. (lacht) Wir sind ja auch, länger als jede Ehe, seit über 30 Jahren zusammen.

Gisela: Ich glaube auch, dass sich ein ähnlicher Typus einfach gefunden hat.

Jutta: Und das Denken ist prägend. Wir haben seit drei Jahrzehnten einen intensiven Austausch, dabei sind wir eingefleischte Individualisten. Privat sind wir Frauen eigentlich nie zusammen. Und Rainer geht sowieso nie ins Kino.

Standard: Mir fällt auf, dass Sie mit der gleichen Schnoddrigkeit und Nonchalance schreiben, ob es um einen zufälligen Partygast geht oder um wirklich schwerwiegende Dinge wie politische Verzweiflung oder Drogentote. Sie reihen es einfach aneinander. So als wäre das alles nur ein Glasperlenspiel.

Gisela und Jutta (einstimmig): Ist es ja auch.

(Michael Freund, DER STANDARD/Printausgabe, 05/06.04.2008)

Lebenslinien von der Kommune bis zum Harem
Langhans, Getty und Winkelmann fassen ihre Biografien als Suche und als Hochschaubahn in zwei Bücher

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Sie leben getrennt, aber nennen sich Gemeinschaft. Sie sprechen von Emanzipation und haben nichts dagegen, wenn sie, fünf Frauen und ein Mann, insgesamt als "Harem" bezeichnet werden. Sie kommen zum Meditieren, Nachdenken, gegenseitigen psychologischen Spiegeln zusammen und gehen dann wieder ihrer eigenen Wege, beruflich und privat.

Nun haben sie ihre Erinnerungen aufgeschrieben: zwei der Frauen, Gisela Getty und Jutta Winkelmann, mit einem Ko-Autor. Und Rainer Langhans, der Mann in der Runde. Auch dabei sind sie getrennt vorgegangen. Doch ihre Biografien haben sich in den letzten drei Jahrzehnten zu einem gemeinsam Band gefügt, eben dem Münchner Harem.

Wie es vorher lief, darauf gehen beide Bücher zwar genauer ein. Doch sie handeln auch davon, wie man jetzt, wo man bald 60 oder schon um einiges drüber ist, gut altern kann. Oder, wie es Rainer Langhans ausdrückt, "Ich will jung werden – nicht jung bleiben". Nur teilweise kokett untertitelt er seine Rechenschaft als "die ersten 68 Jahre".

Bleiben wir bei Langhans. Den Bezug zu 1968 hat er bewusst gewählt und gleichzeitig relativiert. Denn es sind seine Jahre, die des 1940 Geborenen, für den die Berliner Zeit um ’68 nur eine bald außer Kontrolle geratene Phase darstellt. In dieser Zeit ist er berühmt geworden, als der besonders langhaarige SDS-Aktivist, bald darauf Kommune-1-Bewohner, Freund von Uschi Obermeier und Kumpane des ebenfalls telegenen Fritz "Wenn’s der Wahrheitsfindung dient" Teufel.

Was danach kam, ging kritisch bis sensationsgeil bereits durch alle Medien. Jetzt behandelt er es aus seiner Warte, beginnend mit dem Kapitel "Meister". Wer dieser Guru wirklich ist, "das weiß ich natürlich nicht", Tatsache aber ist, dass Langhans seiner Lehre seit seinem halben Leben folgt. Nicht aus den Augen verloren hat er dabei die Kernfrage, die ihn bereits als Jugendlichen beschäftigte: wie es zum deutschen Faschismus kommen konnte. Die Antworten, die er unter dem Einfluss des Meisters findet, verdienen zumindest Beachtung – sie werden in der Autobiografie allerdings nur angedeutet.

Dieselbe Frage stellten sich die Zwillinge Gisela und Jutta. Gemeinsam mit Jamal Tuschick berichten sie abwechselnd, mal atemlos, mal nachdenklich, aus ihrer Hochschaubahn eines Doppellebens. Elternhaus, Kunst & Politik, Deutschland vs. Italien und der scheinbare Endpunkt Kalifornien: Das sind die Kapitel, die sich manchmal mit dem Leben von Langhans überschneiden und schließlich in einen gemeinsamen Strang münden (siehe Interview oben). Dass die beiden dabei nicht auf der Strecke geblieben sind, scheint ein Wunder – außer man hält es mit ihnen: "Wir waren licht und furchtlos." (Michael Freund, DER STANDARD/Printausgabe, 05/06.04.2008)