Von Nanotechnologie bis zur Kontrolle von Zuschauerströmen an Stadionausgängen reicht die Bandbreite der angewandten Analysis, die Peter Markowich mithilfe partieller Differenzialgleichungen betreibt.

Foto: DER STANDARD/Newald
Michael Freund sprach mit ihm über Exzellenz, neue Gebiete der angewandten Mathematik und die Bedeutung persönlicher Kontakte in der Arbeit.

*****

STANDARD: Herr Markowich, Sie sind Professor für angewandte Mathematik am Centre for Mathematical Sciences an der Universität Cambridge, zugleich Adjunct Professor an der Wiener Uni, wo Sie auch eine Gruppe leiten und einen Dissertanten betreuen. Man sagt, wenn man am Computer arbeitet, ist es eh egal, wo man sitzt. Ist das so?

Markowich: Nein. Es ist sehr wichtig, mit den Leuten zusammen zu sein, und für die mathematische Arbeit ist es essenziell. In Cambridge gibt's jeden Freitag eine Happy Hour, da wird auch Bier getrunken, und man spricht über die aktuellen Seminare. Und jeden Tag gibt's an unserem Department um vier eine informelle Coffee and Tea Hour. Das sind wichtige Aspekte von Forschungsarbeit, sie laufen über informelle Kontakte. Stephen Hawking ist übrigens an unserem Institut, nur ein Gebäude weiter.

STANDARD: Wie hat sich mittlerweile das von Ihnen mitgegründete Wolfgang Pauli Institut (WPI) in Wien entwickelt?

Markowich: Es läuft eigentlich hervorragend. Unsere Hauptfinanzierungsquelle ist das Wissenschaftsministerium. Außerdem können wir mit dem Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF) Projekte abwickeln. Die Mittel werden für internationale Forschungsprogramme verwendet, wo es immer um angewandte Mathematik und Physik, um Informatik und um die Involvierung der Wiener mathematischen Szene geht. Wegen der Cambridge-Berufung bin ich allerdings als Präsident des WPI ausgeschieden und jetzt im Vorstand.

STANDARD: Wie entwickelt sich die Anwendung Richtung Nanotechnologie, von der man vor Jahren viel, dann wieder weniger und jetzt wieder mehr hört?

Markowich: Nanotechnologie, wie sie uns interessiert, ist eigentlich nur die Fortsetzung unserer Halbleiterarbeit in Richtung noch größere Integration von Bauelementen, von Bauelementen, deren Funktion aufgrund von Quanteneffekten erklärbar sind.

STANDARD: Welche Rolle spielen partielle Differenzialgleichungen, Ihr Hauptarbeitsgebiet, in einem nanotechnologischen Projekt?

Markowich: Ein Haupteinsatzgebiet ist die Simulation, bevor man baut. Man überlegt sich die Geometrie, die Elektronenverteilung, die Stromflüsse dieses Bauelements, baut es in eine partielle Differenzialgleichungen ein und löst diese numerisch im Computer. Dann schaut man, ob man mit dem Ergebnis, den Charakteristiken des simulierten Elements zufrieden ist. Wenn nicht, dann ändert man dessen Geometrie.

Ein weiteres Gebiet ist übrigens die Sozio- und Ökonophysik, wo es darum geht, soziologische und ökonomische Zusammenhänge zu modellieren. Ein klassisches Beispiel ist Human Crowds, sich bewegende Menschenmassen, zum Beispiel in Stadien.

STANDARD: Ein aktuelles Beispiel.

Markowich: Allerdings. Es geht zum Beispiel darum, warum und wie man in einen Ausgang eine Säule baut. Paradoxerweise wird der Durchfluss dadurch nicht reduziert. Dann kommt es eher zu einer Neuorientierung, und die Frage stellt sich, wie man solche Hindernisse optimiert.

STANDARD: Wien, Cambridge und jetzt auch noch die King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) unweit des Fischerdorfs Thuwal an der saudi-arabischen Küste. Wie kam es dazu?

Markowich: Nun, es gab im August 2007 eine E-Mail an alle im Institut in Cambridge, wo stand, dass es Förderprogramme dieser Uni gibt und dass man so ein Programm an seiner Heimat-Uni abwickeln kann. Dann hab ich mich dafür interessiert, speziell für den Investigator Award. Es waren für ausgewählte Unis - wie auch Stanford, La Sapienza, MIT, Oxford und einige andere - je zwei solche Bewerbungen vorgesehen. Naja, dann musste man einen Antrag schreiben, und siehe da, meiner wurde als einer von zwölf bewilligt.

STANDARD: Sie sind der einzige Österreicher und einer von ganz wenigen Europäern; die meisten sind Amerikaner. Es geht offenbar um den Aufbau von Exzellenz weltweit, mit nur wenigen Verpflichtungen.

Markowich: Ja. Wenn einmal der KAUST-Campus steht, ab Herbst 2009, dann wird man eine gewisse Zeit dort verbringen, ansonsten kann man weiterarbeiten, wo man ist. Die für die Uni ausgewählten Professoren werden dann wirklich dort arbeiten.

STANDARD: Unter welchen Umständen?

Markowich: Nach meinem Wissen halb exterritorial. Das heißt, es wird Koedukation geben, keinen Schleierzwang für weibliche Faculty, andererseits keinen Alkohol. Die Idee ist einfach wissenschaftliche Exzellenz. Das Ganze wird zurzeit von einem amerikanischen Anwaltsbüro als Konsulent gemanagt, und die sind sehr professionell.

STANDARD: Was fällt, apropos, im Vergleich mit dem im Bau befindlichen Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Gugging auf?

Markowich: Schwere Frage. KAUST ist ein finanziell nicht vergleichbares Unternehmen. Dort soll es in der maximalen Ausbaustufe ungefähr 225 Wissenschafter geben. Am ISTA sollen es, glaube ich, knapp über 100 sein.

STANDARD: Das ist nicht eklatant weniger.

Markowich: Nein. Es gibt weitere, prinzipielle Unterschiede. In Saudi-Arabien gibt es kein wissenschaftliches Umfeld neben KAUST. In Österreich bestehen schon vor ISTA exzellente wissenschaftliche Institutionen; die Gründungsideen sind also ganz unterschiedlich. Und weiters: Von ISTA bemerkt man zurzeit in Österreich relativ wenig.

STANDARD: Und in Cambridge?

Markowich: Eigentlich bemerkt man gar nichts. KAUST hingegen ist durch diese Awards sehr präsent. In Kürze gibt es Entscheidungen über die KAUST-Centers weltweit, wo es um jeweils fünf Millionen Dollar pro Jahr an Unterstützung geht. Dann gibt es Young Scholarships, deren Aufgabe es ist, eine Art Botschafter-Rolle für KAUST außerhalb Saudi-Arabiens zu spielen. Das ist für Studenten, die irgendwo auf der Welt dissertieren, aber von KAUST finanziert werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.4.2008)