Einer der sechs Übungsplätze, die Chelseas Erster vorbehalten sind, und das Trainingszentrum in Cobham.

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Chelsea-Financier Roman Abramowitsch schnuppert auf der Tribüne den Geruch der Basis.

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Rainer Setik, Nachwuchsleiter von Rapid (links), hat Chelseas Shaun Gore etwas mitgebracht. Setik nahm reichlich Eindrücke mit.

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London - "Wir leben in einer Blase", sagt Shaun Gore und wirkt dabei so, als ob es sich in dieser Blase namens FC Chelsea ganz gut aushalten ließe. Dabei ist es die Funktion des 39-jährigen Hünen mit Stoppelfrisur, die Blase, die die Umwelt davon abhält, so etwas wie Zuneigung und Leidenschaft für das Universum Chelsea zu empfinden, aufzustechen. "Director of Chelsea Football in the Community" steht auf Shauns Visitenkarte. Und die Aufgabe des ehemaligen Innenverteidigers von Fulham ("Als ich aufgehört habe, sind sie aufgestiegen") ist es seit bald 15 Jahren, "neue Fans zu produzieren", und vor allem in den vergangenen Jahren wohl auch dem Klub ein menschlicheres Antlitz zu verleihen.

"Was fällt Ihnen zum FC Chelsea ein?", fragt Shaun, obwohl er die Antworten längst weiß. Roman Abramovic, unbeschränkte Mittel, hochbezahlte Superstars wie Michael Ballack, Didier Drogba und Frank Lampard, sündteure Eintrittskarten. "Ja, das ist alles Chelsea", sagt Shaun. Aber der FC Chelsea, 1905 gegründet und eigentlich im Londoner Stadtteil Fulham zu Hause, ist auch eine Institution, die abseits des Kerngeschäfts Profifußball mehr als 400 Mitarbeiter beschäftigt, darunter gut 200 Nachwuchs-Coaches, "um mit allen Schichten der Bevölkerung zu arbeiten". Chelsea geht in die Schulen, Chelsea lädt zu sich ein.

Zu sich, das heißt seit bald fünf Jahren nach Cobham in Surrey, 40 Autominuten südwestlich von London. Dort wurde ein 77 Hektar großes Gelände gekauft, das nun in den Cobham Training Complex umgebaut wird. "Wir haben hier Platz für 34 Trainingsfelder", sagt Shaun. Rainer Setik, Nachwuchsleiter von Rapid auf Erkundungstour in Cobham, wird blass. Österreichs Rekordmeister verfügt über genau vier Trainingsplätze - einen für die Profis, zwei für den gesamten Nachwuchs, einen Kunstrasenplatz. Shaun beschwichtigt: "Ich sagte, wir hätten Platz für 34 Felder, tatsächlich sind nur 20 bis 30 Trainingsplätze in Betrieb."

Stamford-Bridge-Imitate

20 Mann sind für die Rasenpflege zuständig, deren Augensterne sind die sechs Rasenstücke mit exakt den Ausmaßen des Spielfeldes an der Stamford Bridge, des Heimstadions von Chelsea (wie geschrieben in Fulham). Sie stehen ausschließlich der ersten Mannschaft zur Verfügung, drei der sechs sind beheizbar, eine Tatsache, die Rainer Setik noch ein bisschen blasser werden lässt.

Gemessen an den Bedingungen ist die Anzahl der Nachwuchsspieler, die Chelsea im Paradies Cobham trainieren lässt, überschaubar. Zwölf Teams mit Spielern zwischen acht und 20 Jahren umfasst die klubeigene Akademie, dazu kommt die Reservemannschaft (zwei Trainingsplätze) und die Erste. Aber der FC Chelsea hat auch zehn Mannschaften für Mädchen und Frauen. Und im Blau der Londoner spielen auch vier Behindertenmannschaften.

Seit Roman Abramowitsch den FC Chelsea 2003 übernahm, investierte er nicht nur umgerechnet 600 Millionen Euro in neue Spieler, der 41-jährige russische Milliardär erhöht auch Jahr für Jahr das Budget für Shaun Gores Abteilung - zur Imagepolitur.

Schließlich gibt es gute Gründe, den FC Chelsea trotz aller Tradition abzulehnen. Nicht so sehr, weil man sich mit der Mannschaft nicht identifizieren könnte. Immerhin acht Engländer stehen im 27-Mann-Kader - für die Premier League fast ein Spitzenwert. Zudem wird in Cobham intensiv nach einem "neuen John Terry gesucht", sagt Shaun. Der 27-jährige Kapitän ist Produkt der alten Chelsea-Akademie.

Das Problem der neuen Akademie: "Es genügt nicht, gute Premier- League-Spieler herauszubringen. Wir brauchen Weltklasseleute", sagt Frank, der grauhaarige Gentleman, der die Führungen durch das Stadion an der Stamford Bridge leitet.

Die müssen noch zugekauft werden. Wir hoch das Budget sei, ward Frank gefragt. "In der Vorsaison 202 Millionen Pfund", sagt er unumwunden. Und: "Der Verlust betrug mehr als 80 Millionen."

Heimelige Sehnsucht

Dafür hat Chelsea mit die höchsten Eintrittspreise in der Liga - 40 bis 60 Pfund. Die Stamford Bridge, nach umfänglicher Renovierung 42.000 Zuseher fassend, ist längst nicht immer ausverkauft. Dafür schmiegen sich an die schmucke Arena zwei klubeigene Hotels mit insgesamt 275 Betten sowie ein Gourmetrestaurant. Frank lobt das, wirkt aber dabei so, als sehne er sich nach den alten Zeiten zurück, als Chelsea zwar kaum Titel, aber etwas Heimeligkeit versprach. An Zeiten eines Peter Osgood ("der größte Chelsea-Spieler aller Zeiten"), des "King of Stamford Bridge", dessen Asche nach seinem Tod 2006 an den Elferpunkten im Stadion verstreut wurde. Lebende Legenden wie der ehemalige Teamstürmer Kerry Dixon, der heute bei Chelsea TV moderiert, kann man noch im Stadion treffen - für 75 Pfund pro Fan, der Stürmer gibt dann Autogramme und sagt ein paar freundliche Sätze.

Shaun Gores Vision ist das wohl nicht. "Wir müssen unsere Spieler näher an die Leute heranbringen, auch wenn das schwer ist. Aber ein nettes Wort von einem Ballack, einem Lampard, kann den Lebensweg eines jungen Menschen ändern." Das glaubt Shaun Gore. Oder er gibt vor, es zu glauben. Möglich, dass der Blick aus der Blase aber auch verschwommene Bilder liefert. (Sigi Lüzow aus London - DER STANDARD PRINTAUSGABE 31.3. 2008)