Der Karikaturist Bill Spira zeichnete Roth oft.

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Der Fotograf Josef Breitenbach hatte den längst berühmten österreichischen Autor 1935 in seinem Pariser Hotel aufgesucht.

Foto: The Joseph Breitenbach Trust, New York
Wien – "Zum ersten Mal bin ich erschüttert von Häusern und Straßen, mit allen bin ich heimisch, obwohl wir uns fortwährend missverstehn, wenn es um Reales geht und weil wir uns so herrlich verstehn, wenn es um Nuancen geht" – hatte Joseph Roth 1925 aus Paris geschrieben. Es war die Begeisterung des Durchreisenden bei seiner ersten Begegnung mit der Stadt.

Auch am 30. Jänner 1933 hatte er in Berlin den Zug nach Paris genommen. Von Hitlers Machtergreifung am selben Tag erfuhr er während der Fahrt. Eingestiegen als Reisender, betrat er den französischen Perron als Exilant.

Sechs Jahre, bis zu seinem Tod am 27. Mai 1939, lebte Roth in wechselnden Hotels und Cafés. Sieben Romane und mehrere Erzählungen veröffentlichte er, ständig gegen die Geldnot anschreibend, in dieser Zeit – darunter Die Kapuzinergruft, Die Geschichte von der 1002. Nacht und die Legende vom heiligen Trinker.

Der Großteil der Texte entstand an winzigen Cafétischen, im Hôtel Foyot, dem gegenüberliegenden Café Tournon im sechsten Pariser Arrondissement nah dem Jardin du Luxembourg, inmitten von Freunden und Bekannten, die sich Tag für Tag um ihn sammelten und vor Stapeln von Untertellern, die die konsumierten Gläser Alkohol markierten. Worte, Flüssigkeiten, Meinungen, Geldscheine, alles schien durch den österreichischen Autor, den galizischen Juden aus Brody, hindurchzufließen. Nichts hielt er fest. An nichts hielt er sich fest. Nichts war für die anderen festzumachen. Noch bei seinem Begräbnis auf dem Pariser Cimetière Thiais: Gesegnet wurde Joseph Roth von John Österreicher, einem zum Katholizismus übergetretenen Juden, nach katholischem Ritus, umgeben von jüdischen Freunden. Ob Roth sich jemals hatte taufen lassen, weiß indes niemand, bis heute, gewiss.

Als eine der ersten Forscherinnen hat in den Fünfzigerjahren die damalige Germanistik-Studentin Senta Zeidler begonnen, Leben und Werk Joseph Roths zu erforschen. Mehrere Jahre hindurch schrieb sie Briefe an Freunde und Zeitgenossen des Autors. Die wissenschaftliche Arbeit wurde nie publiziert. Bis vor kurzem ruhten die wertvollen Zeugnisse unbemerkt in ihren Schubladen. Dass sie nun in der beachtenswerten Ausstellung des Literaturhauses Joseph Roth im Exil in Paris 1933 bis 1939 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden, ist eine späte Folge der jahrzehntelangen Forschungsleidenschaft Heinz Lunzers und seiner Frau Victoria Lunzer-Talos. 1994, zu Roths 100. Geburtstag, hatten beide eine Fahrt nach Brody, seinem Geburtsort, organisiert. Senta Zeidler hatte die Reise gebucht, man lernte sich ken-nen ...

Die Briefe sind jedoch nur ein Teil des bisher unbekannten Materials, das die Roth-Forscher aufspürten. Auch die Interview-Typoskripte, die David Bronson, Verfasser einer bis heute gültigen Roth-Biographie, in den Sechzigerjahren anfertigte, sind zu sehen. Ein Muss für jeden Roth-Leser ist daher der voluminöse Ausstellungskatalog. Das auf 224 großformatige Seiten angewachsene Konvolut versammelt alle der Schau zugrunde liegenden Unterlagen und Fotografien. (Cornelia Niedermeier, DER STANDARD/Printausgabe, 29./30.03.2008)