Richard Soyer: "Der Rechtsstaat wurde noch nie so hoch gehalten wie von diesem Gericht und diesem Staatsanwalt."

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Die vielen Fragen an den Gutachter wertet er als Nebelwerferei, die Sache sei längst urteilsreif, sagte er zu Renate Graber.

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STANDARD: Im Bawag-Prozess herrscht dicke Luft; ein Ende der Befragungsprozedur mit Gutachter Fritz Kleiner ist kaum abzusehen. Sie als Verteidiger Günter Weningers stehen insoweit auf einer Linie mit dem Staatsanwalt, als Sie gegen die Fragetaktik des Verteidigers von Helmut Elsner sind. Ufert das Verfahren aus?

Soyer: Beim WEB-Strafverfahren in Salzburg umfasste allein die Zusammenfassung des Sachverständigengutachtens drei A4-Ordner, das Gutachten selbst mehr als 30 Ordner. Damals waren die Fragen an den Sachverständigen von zentraler Bedeutung, der Sachverständige war extrem umkämpft. Demgegenüber hält sich im Bawag-Verfahren die Komplexität der anklagerelevanten Sachverhalte in überschaubaren Grenzen.

STANDARD: Sie treten sehr prononciert für die Verteidigungsrechte von Beschuldigten ein – wo ist das Problem, wenn Elsners Anwalt, Wolfgang Schubert, viel fragt?

Soyer: Das Problem ist, dass der Hauptschauplatz verlassen wurde und es um Nebenschauplätze geht, die immer weniger bis teilweise gar nichts mehr mit den zentralen Fragen dieses Verfahrens zu tun haben. Man sollte nicht vergessen, worum es geht: nämlich um den Vorwurf der Untreue und Bilanzfälschung. Ich halte den Verfahrensgrundsatz der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit des Hauptverfahrens sehr hoch, aber eine Vielzahl der jetzigen Fragen betreffen eben nicht mehr den Anklagevorwurf. Und ich erachte auch den Gedanken der allgemeinen Verständlichkeit von öffentlichen Hauptverhandlungen für sehr wesentlich, die ist aber längst verlorengegangen. Da werden stundenlang Fragen vorgelesen, ich steige da manchmal selbst aus.

STANDARD: Das Fragerecht wird missbraucht?

Soyer: Man kann nach jeder Antwort weiterfragen, jede nicht zugelassene Frage anders noch einmal stellen. Ich meine aber, dass es gesetzlich geboten ist, massive Versuche der Nebelwerferei zu unterbinden. Natürlich tendiert jedes Gericht dazu, Fragen möglichst zuzulassen, um ja nicht auch nur den Anschein des Vorliegens eines Nichtigkeitsgrundes zu schaffen. Aber es gibt auch zulässige Einschränkungen des Fragerechts. Und das sage ich, der seit 15 Jahren für die Stärkung der Verteidigungsrechte kämpft wie kaum ein anderer. Aber das hier geht mir zu weit. Die Konsequenz dieser exzessiven Nutzung des Fragerechts könnte sein, dass der Gesetzgeber die Fragerechte einschränkt, um das Ausufern von Strafverfahren, wie es jetzt gerade passiert, zu verhindern. Das wäre ein Schuss ins eigene Knie.

STANDARD: Ist die Reaktion der Richterin, die bei ihrem Procedere mit schriftlichen Fragen bleibt, richtig?

Soyer: Das Gericht lässt sehr viel Kommunikation zu, das ist ein bisher nicht dagewesener Verhandlungsstil. Der Rechtsstaat wurde noch nie so hoch gehalten wie von diesem Gericht und diesem Staatsanwalt. Einen Bruchteil dieser Fairness würde ich mir für andere Strafverfahren auch wünschen.

STANDARD: Die Anwälte der meisten Ex-Banker kritisieren, dass der Gutachter nicht herausfand, wo "Flöttls" Geld blieb. Wie gut oder schlecht ist das Gutachten?

Soyer: Das Gutachten hat zwei Hauptpunkte. Beim Handelsverhalten Flöttls geht es darum, ob die These, dass Flöttl das Geld abgezweigt hat, objektivierbar ist. Das Gutachten hat das eben nicht objektiviert, mit dem Hinweis, dass Unterlagen fehlen bzw. von Flöttl nicht vorgelegt werden konnten. Der erhoffte Beweis, Flöttl habe das Geld abgezweigt, ist nicht gelungen. Das muss man würdigen, vor allem in den Schlussplädoyers, aber nicht stundenlang diskutieren. Eine Hauptverhandlung ist keine Diskussionsrunde. Punkt zwei des Gutachtenauftrags ist auch erfüllt: Die wirtschaftliche Struktur der Bawag-Geschäfte mit Flöttl wurde dargestellt, die jetzt monierten zahllosen Details waren gar nicht gefragt. Aber man muss schon sehen: Das Gutachten belastet den Vorstand teilweise sehr – und es ist leichter, den Gutachter anzugreifen als Staatsanwalt oder Gericht.

STANDARD: Könnte man schon jetzt ein Urteil fällen?

Soyer: Seit Jänner ist die Sache klar. Die Verluste hat es gegeben, man weiß auch, wie damit umgegangen wurde, wer wann welche Informationen hatte. Das alles war bis zu dieser destruktiven Fragen-Endlosschleife gut greifbar. Der Überblick über bzw. der Einblick in die relevanten Details, den man damals bereits hatte, droht jetzt aber zu zerrinnen. Ich finde, dass es jetzt reicht. (DER STANDARD, 29./30.3.2008)