Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Es war soeben. Bei der Präsentation von irgendwas, was sich ans derzeit grassierende Euro-Marketingfieber dranhängen wollte. Und neben dem Ex-Fußballer und dem Ex-Kaffeetestimonial war da auch das namhafte Ensemblemitglied des noch namhafteren Theaters angekündigt. Der Mann war – man wartete noch auf die erstgenannten Prominenten - empört.

Schließlich hatte der Mann von Rang und Namen da neulich doch tatsächlich eine Benachrichtigung hinter dem Scheibenwischer seines italienischen Altherrencabrios gefunden – mit der Bitte, sich doch umgehend im nächsten Kommissariat zu melden. Wegen der Anzeige. Vielleicht, mutmaßte ein Kollege, hatte der Mime das ja gerade auch ein bisserl umformuliert: Vermutlich war da die Benachrichtigung über eine Anzeige hintersteckt gewesen – und das Ensemblemitglied hatte sich daraufhin aus eigenem Antrieb zur Wachstube bequemt. Aber im Grunde ist das auch egal.

Frechheit

Denn, empörte sich der Schauspieler, allein die Tatsache, dass da ein freches Organ der Exekutive es gewagt hatte, seine Parkgewohnheiten vor seinem Wohnhaus für einen Regelverstoß zu halten, sei skandalös. Schließlich, so das Ensemblemitglied, parke er seit über als 28 Jahren – oder waren es bloß 18? - hier. Genau hier. Immer. Das hier sei schließlich sein Parkplatz. Und das wisse jeder: Jeder Polizist im Rayon. Und auch jeder Busfahrer. Und wenn ein junger Busfahrer – oder ein Aushilfsfahrer auf dieser Linie – das nicht wisse und sich beim Beschweren an einen Polizisten wende, der das auch nicht wisse, dann sei das doch wirkliche eine Frechheit. Beziehungsweise: Wie käme er dazu, dass man da die Kommunikationsprobleme innerhalb der Wiener Linien und der Polizei auf seinem Rücken austragen wolle?

Mein Gesicht dürfte zwar Mitleid aber doch eine gewisse Form des Nichtverstehens vermittelt haben. Darum erklärte mir der Mann den Sachverhalt genauer. Der, lernte ich, sähe nämlich so aus: Vor dem Haus des Schauspielers ist eine Bushaltestelle. Und die erfüllt noch eine zweite Funktion: Sie ist eine Spur größer als zwingend notwendig – und des Mimen privater Parkplatz. Immer schon. Schließlich, erklärte das Ensemblemitglied des gutbürgerlichen Hauses, habe er als Anrainer dereinst seine Zustimmung zur Haltestelle vor der eigenen Tür deswegen nicht verweigert, weil man ihm genau das versprochen habe. Und „man“ wären in dem Fall Bürgmeister, Bezirksvorsteher und Polizeichef gewesen. Und zwar persönlich.

Rechte wahren

18 oder 28 Jahre lang habe das nun anstandslos funktioniert: Sein Parkplatz in seiner Bushaltestelle sei immer frei gewesen. Falschparker wären binnen kürzester Zeit verschwunden gewesen. Kein Wunder also, dass der gute Mann sein gutes Recht umgehend am Wachzimmer mit guten und gewichtigen Argumenten („wenn Sie mir nicht glauben, fragen sie im Büro des Bürgermeisters. Oder in der Polizeidirektion. Oder beim Bezirksvorsteher. Aber das kann ich auch gern und gleich selbst machen!“) verteidigen ging.

Und zwar mit Erfolg: Man entschuldigte sich. Und versprach, dass derlei nicht mehr vorkommen werde. Und dem jungen Kollegen der da wohl ein bisserl übereifrig gewesen sein dürfte, werde man schon erklären, was Sache und wer wichtig ist. Er, der namhafte Schauspieler, dürfe – ja solle – den Fetzen Papier doch bitte umgehend zerknüllen, fallen lassen und vergessen. Ob man ihm einen Kaffee anbieten dürfe?

Das Ensemblemitglied des gutbürgerlichen Wiener Kulturbetriebes tat wie ihm geheißen – nur mit dem Vergessen, gestand er, tue er sich ein bisserl schwer. Obwohl ich mir das nicht vorstellen kann. Denn dass er sich an die Begebenheit (inklusive ihrer 18 oder 28 jährigen Vorgeschichte) noch erinnern würde, wenn hier sein Name aufscheinen würde, ist ja wohl undenkbar. Stattdessen würde der Mann wohl – und das natürlich mit Fug und Recht – von einem ganz ganz bösen Verleumdungsversuch reden. Und seinen (mit Sicherheit namhaften) Anwalt einschalten: Denn ein verdientes und mit allerlei Ehrenzeichen behängtes Mitglied des Kulturestablishments muss sich schließlich wirklich nicht alles gefallen lassen. (Thomas Rottenberg/derStandard.at, 27.3.2008)