"Wer alt wird, will keine speziellen Produkte, die ihn erst recht an seine Altersbeschwerden erinnern".

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Das Earpiece mit gekringeltem Silikonkabel ist in Hollywood-Filmen das Zeichen der Agenten, Bodyguards und Sondereinsatzkommandos, ein Hinweis auf die gesteigerten Sinneskräfte der Super-Männer, die mehr hören, als in ihrem unmittelbaren Raumkontext zu hören ist, die Befehle von höheren Mächten empfangen, die angeschlossen sind an übergeordnete Systeme. Doch auch die Hörkapsel unterliegt den Demokratisierungsprozessen, welche die digitale Revolution mit sich bringt. Heute tragen jede Menge Menschen einen Miniaturlautsprecher im Gehörgang, nehmen live an einer Telefonkonferenz in Übersee teil, hören Musik mit dem iPod - oder verfolgen dann doch wieder Terroristen und Staatsfeinde. Hunderte von Ohrstöpsel-Agenten bevölkern in diesen Tagen die Fußgängerzonen.

Dieses Coolness-Reservoir des Ear- piece will der Hörgerätehersteller Phonak mit seinem neuen Modell Audéo anzapfen, dem "persönlichen Kommunikationsassistenten", wie die Firma das Modell diskret getauft hat. Das Gerät hat die elegante Form einer exotischen Südseemuschel und leuchtet in verschiedenen Farbkombinationen wie "Grün vor Neid", "Wilde Orchidee" oder "Eisprinzessin". Ein "hochwertiges Accessoire" mit "integriertem Hochleistungsmikroprozessor" soll den aktiven Alten helfen, auf Konferenzen, Meetings und am Feierabend auch weiterhin höchste Leistung zu bringen. Das Audéo-Werbeplakat zeigt einen smarten Endvierziger mit einem blauen Auge. Darüber steht "Hedge-Fond-Manager, Amateurboxer, Siennas Exfreund, Audéo User". Das Lifestyle-Gadget verbindet die Behebung der Fehlleistung mit dem Verweis auf ökonomische Erfolge, Hollywood-Connections und Kampfgeist. Der Hörgerätnutzer - ein Agent.

Hörgerät im Designshop

Opas Hörgerät, dieser klobige, fleischfarbene Bolzen, hat ausgedient. Hörgeräte kauft man nicht mehr im Krankenpflegefachhandel, sondern im Designshop. Schließlich hat auch die Verortung der Akustik-Prothese im Bedeutungsfeld Behinderung dazu geführt, dass nur siebzehn Prozent der Menschen, die ein Hörgerät benötigen würden, auch ein solches Gerät tragen.

Das Audéo ist nur eines von vielen Produkten, die in diesen Tagen um den älteren Konsumenten werben, der auch Wert auf hochwertiges Design und eine lebensbejahende Produktbotschaft legt. Die Schweizer Firma Biketec AG hat das Fahrrad "Flyer" erfunden, die S-Serie verbindet zum Beispiel das sportliche Design eines Mountainbikes mit einem gut getarnten Hilfsmotor (Top-Speed: 25 km/h). Und Bombardier hat das klassischen Golfcart für US-Senioren in das schnittige Neighbourhood Vehicle umgebaut, ein Strandbuggy zum Cruisen in der Gated Community - es entsteht ein neues Marktsegment: Geriatronics.

Die 14- bis 49-Jährigen waren lange Zeit genug die Primärzielgruppe der Markenfirmen. Nun merkt man: Die 50- bis 65-Jährigen, die sogenannte Babyboom-Generation, sind die reichste Alterskohorte in der Menschheitsgeschichte. "Silver Ager", "Best Ager", "Generation 50+" oder, besonders gelungen in diesem marktwirtschaftlichen Zusammenhang, "Generation Gold" heißen die Babyboomer bei Firmen wie Phonak oder Biketec. "Unternehmen stellen sich zunehmend auf den demografischen Wandel ein", meinte die deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen, rügte aber dann: "Der Markt steckt noch in den Kinderschuhen."

Die deutsche Bundesregierung hat deshalb das Förderprogramm "Wirtschaftsfaktor Alter" ins Leben gerufen, die Europäische Union verfolgt das ganz ähnliche Projekt "Neue Märkte 45+". Wirtschaftswachstum soll nicht mehr nur in Asien oder Osteuropa, sondern auch in den oberen Regionen der Alterspyramide entstehen. So lässt sich der demografische Wandel abfedern - Rentner schaffen neue Jobs.

Von der Industrie umworben

Die Babyboomer sind Kinder des Massenkonsums. Ihr ganzes Leben lang wurden die heute 60-Jährigen von der Industrie umworben, sind aufgewachsen in dem Glauben, dass Produkte, ein Auto, ein Kaschmirpullover, ein neuer Prozessor ihr Leben und ihren Status definieren - und verbessern können. Gleichzeitig zeigen sie auch einen fundamentalen Unwillen, durch ihren Habitus und Look zu markieren, dass sie im dritten Lebensalter angekommen sind. Der fleischfarbene Chic des Krankenpflegehandels, so hört man in den Wellness-Kliniken und auf den Parkbänken der Republik, "ist megaout, Alter".

Diese Menschen greifen im Kaufhaus sicher nicht zu Heizdecken und Wasserkochern, die mit bunten Prüfsiegeln wie "50+" oder "70+" ausgezeichnet sind. Denn Spezialgeräte für eine spezifische Population heißt auch Aufteilung der Konsumenten in einen "normalen" und einen "anderen" Teil - der altersgerechte Apparat wird zum Senioren-Stigma. Produkte wie die Mobiltelefone mit großen Tasten, die mit der Frage im Kopf entworfen wurden "Wie können wir das Leben von älteren Erwachsenen verbessern?", haben es schwer auf dem Markt und besitzen die fragile Aura von Rollstuhl und Schnabeltasse.

"Wer alt wird, will keine speziellen Produkte, die ihn erst recht an seine Altersbeschwerden erinnern", meint Achim Heine, Professor für Produktdesign an der Universität der Künste in Berlin und Leiter des Forschungsprojekts "Seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag" (Sentha). Auch bei den Unternehmensberatern der Hamburger Agentur Grauwert, die zwischen Firmen und älteren Kunden vermitteln will, heißt es: "Wir verstehen uns als Dienstleister bei der Verbreitung demografiefester, das heißt altersunabhängiger Designkonzepte."

Auch "Universal Design" heißt dieses Gestaltungsprinzip, das die beste Zielgruppe überhaupt ansprechen soll: die Gesamtbevölkerung. Damit sind Produkte mit hoher Funktionalität und einfacher Bedienbarkeit gemeint. Der iPod zum Beispiel ist, auch wenn es den Leuten bei Apple wohl nicht so sehr ins Marketing-Konzept passt, ein ideales Geschenk für Senioren. Denn mit dem großen Display, nur einem Knopf und dem intuitiven Dreh-Interface ist er auch ohne Vorkenntnisse in der digitalen Welt bedienbar.

Jugend als Konsumprodukt

"Universal Design" kann bessere Produkte für die Allgemeinheit hervorbringen, sicher. Ein weiterer Vorteil ist jedoch auch, dass die Produkte den Babyboomern das Gefühl nehmen, für die hochkomplexe Technologieavantgarde der Gegenwart zu langsam und träge geworden zu sein. "Es wäre ein Fehler, den Kunden ein Produkt mit dem Slogan verkaufen zu wollen, dass man so Altersschwächen überwinden kann", sagt der amerikanische Kommunikationsberater Jay Walker Smith, "man muss sagen, dass es für ein Abenteuer entwickelt wurde." Audéo, Flyer und das Neighourhood Vehicle betonen PS, Hertz und andere Performance-Parameter.

Hochtechnologie macht es älteren Menschen, die schwächer werden und mit körperlichen Fehlleistungen zu kämpfen haben, möglich, wieder eine hohe Leistungsfähigkeit zu erlangen. Jugend ist nicht mehr länger eine Lebens- und Entwicklungsphase, sondern ein spezifisches Leistungsniveau, und wird so zum Konsumprodukt. Wir werden nicht länger alt. Die Produkte werden besser - in der Ära der "Generation Gold" werden die Produkte Erfolg haben, die den alternden Konsumenten mit einer stilvollen Form ansprechen, während ihre Funktion gleichzeitig den Schauer der Sterblichkeit und des körperlichen Verfalls aus dem Bewusstsein verbannt.

Der Designprozess der Geriatronics verrät viel über das Bewusstsein, das hinter dem Konsumtrend steckt. Firmen wie General Motors etwa arbeiten mit dem Simulationsanzug Age Explorer, einer steifen Kunststoffkonstruktion: ein Helm dämpft die akustischen Sinne herab, das Visier blendet die Peripherie des Gesichtsfeldes aus, Gewichte simulieren fehlende Kraft und Beweglichkeit. Die meist jungen Designer sollen so erkennen können, ob sie in diesem beeinträchtigten Zustand noch das Produkt bedienen können.

Der Designer im Age Explorer ist eine wunderbare Metapher für den Best Ager an sich: im steifen, "alten" Äußeren steckt ein jugendlich-kreativer Kern. Während die jungen Designer den Altersanzug nach der inspirierenden Erfahrung des Behindertseins wieder ablegen und an den Apple-Computer zurückkehren, gilt für den Menschen an sich: Der Körper ist ein Outfit, das uns bis zum Ende umschließt. (Tobias Moorstedt/Der Standard/rondo/28/03/2008)