Bagdad - Der Tigris fließt als braune Brühe unter den Brücken, die einst Bagdads Charme ausmachten. Die älteste Verbindung zwischen den Ufern brach nach einem Anschlag auseinander. Eine andere ist Zufahrt zur schwer bewachten grünen Zone und für Zivilisten, die keinen gelben, grünen oder blauen Ausweis haben, unpassierbar. Die restlichen Brücken sind pausenlos verstopft. Kontrollpunkte pressen Autoschlangen von vier auf eine Spur. Um von einer auf die andere Tigrisseite zu gelangen, braucht man zuweilen zwei Stunden. Die Abgase legen sich wie eine Glocke über den Fluss. Die Generatoren, die überall brummen, tun ein Übriges. „Wir haben auf das Paradies gehofft, als die Amerikaner vor fünf Jahren einmarschierten“, sagt Jasser. „Dann haben wir die Hölle bekommen.“

Einnahme am 9. April 2003

Wie keine andere Stadt im Irak hat Bagdad unter den Folgen des Einmarsches gelitten, wenngleich die Einnahme am 9. April 2003 ohne größere Schäden abging. US-Jets bombardierten Saddam Husseins Paläste, Quartiere von Baath-Partei und Geheimdienst. Alles andere blieb weitgehend unversehrt. Doch dann begannen Plünderungen und Brandstiftungen. Unter den Augen der GIs wurden Gebäude ausgeraubt, Ministerien angezündet. Als die Staatsbibliothek in Flammen aufging und das Bagdad-Museum 70 Prozent seiner Kunstschätze verlor, weinte Jasser. „Das war uns doch wichtig“, seufzt er noch heute, „das gehörte doch uns allen.“

Als junger Filmemacher hatte der 32-Jährige im Rasheed-Theater gearbeitet, dem Hollywood Bagdads. Der mächtige Bau am Westufer des Tigris beherbergte Filmstudios und Kinos. „Klar gingen mir die Propagandafilme auf die Nerven“, erzählt er von seiner Arbeit. „Deshalb war ich ja froh, als sie kamen. Endlich kann ich frei arbeiten, dachte ich mir.“ Doch als er die Plünderungen sah, kamen ihm erste Zweifel. Vom Rasheed-Theater ist heute nur noch die Betonhülle übrig geblieben. Erst in den vergangenen Monaten, mit zusätzlichen US-Soldaten und einer erhöhten Sicherheitsstufe, ging die Zahl der Anschläge und der Toten zurück. Die Menschen wagen sich wieder aus ihren Häusern.

Die fast fünf Jahre währende Ausgangssperre ist aufgehoben. Doch in den Köpfen lebt sie fort. So werden die meisten Läden in der Innenstadt nach wie vor um 14 Uhr geschlossen. Ab neun Uhr abends ist Bagdad immer noch wie ausgestorben. Auf den Brücken ist kein Auto mehr zu sehen.

"Ein Schlag gegen die Intellektuellen

Jawad sitzt am Rande der Mutanabi Straße am Ostufer des Tigris auf einem winzigen Klappstuhl und verkauft Karten von Bagdad, Briefmarken und alte Geldscheine mit Saddams Konterfei. Am 5. März 2007 wirbelte ihn hier die Detonation einer Autobombe durch die Luft. Nur 200 Meter von seinem Stand entfernt starben mehr als 100 Menschen. Bagdads berühmte Büchermeile brannte. Dass die Bombe ausgerechnet vor dem Café Al Shabander, traditioneller Treffpunkt der Kulturszene, und gegenüber den Büros des Verbands der unabhängigen Schriftsteller explodierte, hatte einen tieferen Sinn, meint Jawad. „Das war ein Schlag gegen die Intellektuellen.“

Mehr als die Hälfte der Buchläden wurde zerstört. Arabische Bücher werden in Kairo geschrieben, in Beirut gedruckt und in Bagdad gelesen, sagt ein altes Sprichwort. „Die Leute lesen jetzt nicht mehr“, weiß Jawad, „das Sprichwort können wir vergessen.“ Jeder sei mit dem nackten Überleben beschäftigt. Die Stadtverwaltung hat damit begonnen, die Mutanabi wieder aufzubauen. Es wird noch eine Weile dauern, bis das Café wieder hergestellt ist – „falls, ja falls der Terror nicht zurückkehrt“. Jawad ist skeptisch. Die Schriftstellerbüros sind teils verriegelt, teils verwaist. Niemand weiß, was aus den kleinen kreativen Künstlerinitiativen geworden ist, die nach dem Sturz Saddam Husseins die neue Freiheit ausnutzen wollten und wie Pilze aus dem Boden sprossen. „Viele sind ins Ausland geflohen, die anderen sind verstummt“, schätzt der Briefmarkenhändler, der lieber Bücher verkaufen würde. Ob jemals aus den Wunden Narben werden? Jawad zuckt die Schultern. (Birgit Svensson aus Bagdad/ DER STANDARD, Printausgabe 25.3.2008)