Der Oberschenkelknochen von O. tuginensis (Bildmitte) beweist: Der Bauplan für unseren aufrechten Gang ist ziemlich alt.

Illustration: DER STANDARD/Gurche and Richmond
Washington - Es ist eine Art wissenschaftliches Fegefeuer, durch das die Knochen von Orrorin tugenensis seit ihrer Entdeckung im Jahr 2000 gehen. Aufgrund ihres Funddatums machten das Fossil unter dem Namen "Millennium Man" Karriere und war praktisch vom ersten Tag an Gegenstand heftiger Debatten.

So brach gleich nach Bekanntwerden des Funds ein Streit darüber los, ob die Entdecker Martin Pickford und Brigitte Senut eine rechtmäßige Genehmigung für Grabungen in den Tugen Hills in Kenia besessen hatten, wo sie die Knochen fanden.

Nachdem das französische Forscherpaar 2004 dann im Wissenschaftsmagazin Science die erste Analyse vorgelegt hatte, gingen die Diskussionen munter weiter. Pickford und Senut behaupteten nämlich, dass der sechs Millionen Jahre alte Orrorin aufrecht ging und dass er ein direkter Vorfahr unserer Gattung Homo gewesen ist. Vor allem an der zweiten Behauptung wurde Kritik geäußert, weil dadurch der Australopithecus, der vor zwei bis vier Millionen Jahren lebte, in unserem Stammbaum obsolet würde.

In Bankschließfach gelagert

Nun legt der Paläoanthropologe Brian Richmond eine neue Analyse der Knochen vor, die selbst wieder auf recht abenteuerliche Weise zustande kam. Er hatte im Jahr 2003 die Erlaubnis erhalten, den Oberschenkelknochen zu vermessen, die in einem Bankschließfach in Nairobi gelagert werden. Als Richmond mit Zirkel und Schublehre bewaffnet zur Tat schritt, wurde er dabei von einem Bodyguard beaufsichtigt.

Die so erhaltenen Daten des Knochens verglich der US-Paläoanthropologe dann mit den Maßen von insgesamt 300 anderen Oberschenkelknochen von Affen, anderen Vormenschen und zeitgenössischen Vertretern von Homo sapiens.

Dabei zeigte sich, dass der "Millennium Man" mit ziemlicher Sicherheit auf zwei Beinen durch die afrikanische Steppe gewandert ist. Der Bauplan für den aufrechten Gang dürfte also früh in der Entwicklungslinie des Menschen entstanden sein, ehe er vor zwei Millionen Jahren noch einmal verbessert wurde. Im Gegensatz zu Pickford und Senut kommt Richmond nun in Science (Bd. 319, S. 1662) jedoch zum Schluss, dass der Knochen die stärkste Ähnlichkeit mit jenen von Australopithecinen haben, die vor etwa vier Millionen Jahren lebten.

Das französische Forscherpaar hat freilich bereits gekontert: Einerseits freue man sich über die Bestätigung in Sachen aufrechter Gang. Bestimmte Knochencharakteristika jedoch, die nicht in Richmonds Analysen eingingen, würden den "Millennium Man" eher als frühen Vertreter der Gattung Homo und nicht als Australopithecinen ausweisen. Der Streit geht also munter weiter. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 22.3.2008)