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Erwin Buchinger, Sozialminister

Foto: Reuters/Neubauer
SPÖ-Parteichef und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer sitzt für Buchinger fest im Sattel.

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STANDARD: Was ist das Ergebnis des Regierungsgipfels am Mittwoch? Wählen wir jetzt nicht vor dem Sommer, sondern im Herbst?

Buchinger: Neuwahlen vor dem Sommer halte ich für ausgeschlossen, Neuwahlen im Herbst sind wenig wahrscheinlich geworden. Nur wenn die Gespräche nicht in einen Kompromiss münden, würden im Herbst zwangsläufig Neuwahlen drohen. Nach den Gesprächen vom Mittwoch besteht zumindest eine gute Chance, dass in es in den inhaltlichen Fragen – Steuerentlastung und Inflationsabgeltung – zu einem vernünftigen Kompromiss kommt.

STANDARD: Die ÖVP lehnt eine Einmalzahlung ab, weil sie nicht nachhaltig sei. Könnte man stattdessen eine Entlastung setzen, die jedes Jahr greift?

Buchinger: Ja, eine nachhaltige Entlastung 2008 wäre eine Verbesserung zur Einmalzahlung. Unser Gedanke war: Wegen der Inflation eine Soforthilfe und 2009 die Steuerreform. Wenn es gelingt, eine Lösung zu finden, die auch die vorgezogene Entlastung 2008 als nachhaltig konstruiert, dann wäre das noch besser. Dem würden wir natürlich zustimmen. Das werden wir auch versuchen, gemeinsam mit der ÖVP zu erarbeiten.

STANDARD: Wie könnte das gehen?

Buchinger: Das ginge auf mehrere Arten. Die Sozialversicherung wäre eine Möglichkeit, die zweite wäre im Bereich der Steuergutschrift. Die Negativsteuer kann auch zwischenjährig gemacht werden. Und es gibt noch weitere Möglichkeiten.

STANDARD: Das wäre eine Kompromissvariante, der die SPÖ ohne Gesichtsverlust zustimmen könnte?

Buchinger: Genau. Man muss nüchtern sagen: Es spielen inhaltliche Fragen eine Rolle, aber auch die Frage, wer sich wie durchsetzt. Einen Gesichtsverlust wird niemand – weder SPÖ noch ÖVP – dulden.

STANDARD: Können Sie verstehen, dass die ÖVP verschnupft reagiert hat, weil der Kanzler seine Forderungen via „Pressestunde“ vorgebracht hat?

Buchinger: Was glauben Sie, wie oft wir verschnupft reagiert haben. Ich habe via „ZiB“ erfahren, dass Minister Bartenstein die Pflegelösung kippen will. Wenn es um den Stil geht, ist unsere Liste an Vorwürfen an den Koalitionspartner länger.

STANDARD: Ein Wunsch der ÖVP war auch, ein Doppelbudget im Herbst zu machen. Ist das ein Problem für Sie?

Buchinger: Uns sind Einzelbudgets lieber. Aber das ist keine Fahnenfrage. In einem ausgewogenen Papier von Geben und Nehmen kann das möglich sein.

STANDARD: Die letzte ÖVP-Forderung war eine gemeinsame Plattform zur Erarbeitung der Gesundheitsreform.

Buchinger: Das ist ungenügend. Für die SPÖ ist unverzichtbar, dass rasch gehandelt wird. Es kann nicht sein, dass die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit bei den Krankenkassen besteht. Da kann man nicht sagen, die Gesundheitsreform kommt Ende 2009, Anfang 2010. Es müssen heuer die Entscheidungen fallen. Da muss ich schon deutlich sagen: Gesundheitsministerin Kdolsky hat 14 Monate lang zu wenig getan.

STANDARD: Muss ein neues Finanzierungssystem für das Gesundheitssystem schon 2009 in Kraft treten?

Buchinger: Man braucht sich nicht auf einen Termin festlegen. Es genügt, wenn man die Eckpunkte heuer fixiert und Krankenkassen sowie Versicherten vermittelt: Die Finanzierung steht, ihr braucht euch nicht vor einem vertragslosen Zustand oder Selbstbehalten fürchten.

STANDARD: Sie haben kürzlich Präferenzen für Rot-Grün geäußert. Haben Sie sich innerlich von der großen Koalition schon verabschiedet?

Buchinger: Nein. Ich bemühe mich, auf Fragen ehrlich zu antworten oder nichts zu sagen, jedenfalls nicht zu lügen. Meine Wunschkoalition ist – unabhängig von den konkreten Möglichkeiten – Rot-Grün. Dafür stehe ich seit Jahren. In der jetzigen Koalition spielt das aber keine Rolle.

STANDARD: Was geht in den Köpfen von den Landesparteichefs vor, dass sie hinter vorgehaltener Hand eine Führungsdebatte führen?

Buchinger: Ich sehe keine Führungsdebatte der Spitzenpolitiker auf Landesebene. Ich kenne keinen Parteivorsitzenden, der diese Diskussion führt. Dass es in der Parteibasis und bei mittleren Funktionären diese Diskussion gibt, gestehe ich zu.

STANDARD: Sie gehen also davon aus, dass der Bundeskanzler auch weiterhin fest im Sattel sitzt?

Buchinger: Ohne Zittern und Klagen. Wir haben am Dienstag Parteipräsidium und Parteivorstand, da wird diese Frage nicht einmal ansatzweise eine Rolle spielen. Es wird darum gehen, die Gespräche mit dem Regierungspartner zu bewerten und Eckpunkte für die weiteren Gespräche zu finden.

STANDARD: Wenn die Mindestsicherung mit Jahresbeginn 2009 in Kraft treten soll, muss es bis Ende März einen Kompromiss geben. Niederösterreich und Vorarlberg sind gegen die Abwicklung über das AMS. Was ist Ihr Kompromissvorschlag?

Buchinger: Ich habe vorgeschlagen, nur die arbeitsfähigen Sozialhilfebezieher am AMS zu betreuen. Ich habe von Vorarlberg vorsichtig positive Signale, aus Niederösterreich hatte ich den Eindruck, die sind immer noch im Wahlkampf. Da wurde ich bei der Antwort auf diesen Kompromissvorschlag auch persönlich attackiert – es ist schwer. Ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit und Respekt wäre zu erwarten, da habe ich mit Niederösterreich meine Probleme. Ich hoffe, das löst sich. (von Andrea Heigl und Günther Oswald/DER STANDARD, Printausgabe, 21.3.2008)