Georg Breinschmid: "Wien bedeutet für mich auch das Zusammentreffen von vielen, unglaublich interessanten Kulturen – die Stadt ist ein Schmelztiegel, wie es New York einmal war."

Foto: Newald
Wien – "Grenzschleim" ist bereits Geschichte. Inzwischen ist "A klanes Brabitschek" angesagt, das seinerseits auf "Flutzn-Schna" und "Utzn-Schle" baut. Rätselhafte Verbalismen lassen jene Zuhörenden grübeln, die ihre Ohren in das Album Wien bleibt Krk vertiefen. Nein, in Peter Wehles "Sprechen Sie Wienerisch?" findet sich keinerlei Eintrag unter jenen Wortkreaturen, und auch Bassist Georg Breinschmid, ihr Urheber, kann das Geheimnis ihrer Bedeutung nicht lüften.

"Ich habe als Kind diese Dialektgedichte von H.C. Artmann und Gerhard Rühm gelesen, da kommen Gedichte im Wiener Laut-Idiom vor. ‚Utzn-Schle‘ ist sogar direkt entnommen", so erklärt er stattdessen. "Davon inspiriert, habe ich über die Jahre immer wieder fantasiesprachliche Texte geschrieben. Und habe mich schließlich gefragt, warum ich nicht ein Lied damit schreibe. Im Wienerischen fühle ich mich sprachlich heimisch."

Amüsante Facetten

Ja, Wien und das Wienerische bilden in pseudohaft-amüsanten wie erschreckend realen Facetten das Thema von Georg Breinschmids neuer Einspielung. Es ist die erste, die der ehemalige Wiener-Philharmoniker- und "Vienna Art Orchestra"-Bassist – von Letzterem schied er im Herbst 2006 – gänzlich allein verantwortete, trotz aufsehenerregender Duo-Kollaborationen wie jener mit Sängerin Agnes Heginger, in der auch das oben erwähnte "Grenzschleim" zum Hit mutierte.

"Ich habe vor fünf, sechs Jahren zu komponieren begonnen, was mir mittlerweile mindestens ebenso wichtig wie das Bass-Spielen ist", resümiert Breinschmid die eher indirekte Herangehensweise ans Metier. "Und ich habe gesehen, dass da sehr viel Musik rauskommt, die in irgendeiner Form mit Wien zu tun hat. Woher das kommt, ist schwer zu sagen, aber es hat mich mir selbst nähergebracht. Wien ist ein Themenkomplex, in den vieles hineinpasst, das mich interessiert."

Komische Taktformen

Drin in diesem Komplex ist etwa die metrisch vertrackte bulgarische Volksmusik, der Breinschmid in der Band des Wahl-Wieners und virtuosen Akkordeonisten Martin Lubenov frönt; auf der Einspielung sind der norwegische Bulgarien-Experte Stian Carstensen und der mittlerweile auch als Jazzgeiger nicht unbekannte Beni Schmid die Kollaborateure im Unternehmen, "Wien bleibt Wien" in Richtung 5/4-Takt zu verschieben und also die im Titel versteckte provinziell-chauvinistische Behauptung musikalisch zu hintertreiben.

Drin in jenem Komplex sind auch die Wienerlieder, auf deren Geschmack Breinschmid vor einigen Jahren in der Begleitband von Schauspieler und Chanson-Sänger Michael Heltau kam. "Da habe ich viele Lieder, etwa In einem kleinen Café in Hernals von Hermann Leopoldi, zu ersten Mal gehört. Im Übrigen habe ich auch mit einem alten Herrn in Tel Aviv über die jüdischen Wiener Komponisten gesprochen. Er sprach mir aus der Seele, als er sagte, die Juden waren oder sind oft wienerischer als die Wiener selbst."

Drin im Themenfeld "Wien" sind für Georg Breinschmid auch dunkle historische Geschichtskapitel. Mirjam Ungers Film Vienna’s Lost Daughters von 2007 habe ihn sehr berührt, so der 35-Jährige, der auf seinen Konzerttourneen seither aktiv den Kontakt zu von den Nationalsozialisten vertriebenen ehemaligen Wienern und Wienerinnen sucht, sei es in Bogota, sei es in Israel.

"Es ist bedrückend zu sehen, wie sehr die verlorene Heimat bei diesen Menschen präsent ist. Obwohl das eigentlich so an die 60 bis 70 Jahre her ist", so Georg Breinschmid, der auf Wien bleibt Krk Willi Resetarits, Tini Kainrath und Roland Guggenbichler für seine Hommage an die Lost Daughters and Sons of Vienna gewinnen konnte.

Die Offenheit der Stadt

Was Wien für ihn selbst bedeute? "Zu einer Stadt, die so viele Bürger ermordet und so viel Potenzial vernichtet hat, sind automatisch ambivalente Gefühle da", so Breinschmid. "Wien bedeutet für mich aber auch das Zusammentreffen von vielen, unglaublich interessanten Kulturen. Als Schmelztiegel, wie es New York immer schon war und wie es Wien durch die Öffnung nach Osten hin in den letzten Jahren wieder mehr wird." (Andreas Felber, STANDARD/Printausgabe, 19.03.2008)