Film im Film: "Johan" begibt sich auf die Suche nach einem Hauptdarsteller und spielt bei der Gelegenheit auch Posen und Bildentwürfe durch.

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Wien – Wer könnte Johan spielen? Der eine kann nicht tanzen, der andere wirkt zu affektiert, der Nächste ziert sich. Vor allem aber hat der Regisseur ein Bild von seiner Hauptfigur im Kopf, dem eigentlich sowieso kein Zweiter entsprechen kann: Johan ist sein Geliebter. Und der sitzt gerade eine Haftstrafe ab. Deshalb kann er für den Film, zu dem er den Regisseur inspiriert hat, auch nicht vor der Kamera stehen.

Dafür liefert die Suche nach seinem Double nun Vorwand und Grundstruktur für die Erzählung: Johan – Eine Liebe in Paris im Sommer 1975 zieht seine Kreise um einen Abwesenden. Und er changiert dabei zwischen der Fiktion, die er auslegt – der Film im Film und dessen Vorbereitung –, und gewissermaßen dokumentarischen Exkursen: in die innerstädtischen Cruising Areas, in verschiedene schwule Subkulturen (von Künstlerbohème bis SM-Community), in Form von Beobachtungen oder in Form von Gesprächen.

Johan praktiziert fortwährend ein produktives Abschweifen. Nach und nach formiert sich ein Figureninventar – inmitten der Männer Marie-Christine, die lacht, dass die Wände wackeln; und wenn es die Geschichte verlangt, dann kann aus den belebten sommerlichen Straßen von Paris vorübergehend auch einmal New York werden.

Ganz nebenbei skizziert Johan so ein facettenreiches Bild bald darauf bereits historischer Verhältnisse: jenes Zeitraums, in dem man sich sichtbar auf dem Weg einer "sexuellen Befreiung" und Befreitheit wähnte, bevor nur wenige Jahre später mit dem Auftauchen von Aids ein Gutteil des eben erst Erkämpften wieder infrage stand (wovon zuletzt etwa André Techinés Spielfilm Les temoins, bald zu sehen beim Festival du film francophone, erzählte). Johan, der aus heutiger Sicht wie ein später Nachhall der Nouvelle Vague beziehungsweise wie ein Wahlverwandter von Paul Morrisseys frühen Kollaborationen mit Andy Warhol oder von Derek Jarman wirkt, erzählt noch auf einer anderen Ebene eine Geschichte des Auftauchens und Wiederverschwindens: Philippe Vallois, Autor, Regisseur und Darsteller, hatte zuvor bereits Kurzfilme gedreht (unter anderem kleine Künstlerporträts) sowie einen ersten Langfilm. Johan, journal intime homosexuel d’un été 75 wurde in einer zensierten Fassung in einer Handvoll französischer Kinos ausgewertet. 1976 war er außerdem in einer Nebensektion des Festivals von Cannes zu sehen.

Danach geriet er praktisch in Vergessenheit. In den 90er-Jahren konnte das Französische Filmarchiv immerhin eine Kopie sichern. Über den Umweg einer DVD-Veröffentlichung dreißig Jahre nach seiner Erstaufführung gelangt Johan erst jetzt im deutschsprachigen Raum ins Kino.

Dass man ihn auch hierzulande entdecken kann, ist keineswegs nur aus filmhistorischer Sicht von Interesse: Johan ist vielmehr einer jener frechen, quicklebendigen und lustigen klugen Filme, die diesen Geist wahrscheinlich jener Mischung aus Freundschaft, Freiheitsgefühl und Freimütigkeit verdanken, aus der sie entstanden sind und die sich unauflöslich in sie eingeschrieben hat. (Isabella Reicher, STANDARD/Printausgabe, 19.03.2008)