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Tragendes Gewölbe

Foto: AP/Thomas Kienzle
Ein schönes Beispiel für eine medizinische Kausalkette ist Folgendes: Ein Mensch hat eine leicht verformte Wirbelsäule. Diese bewirkt nun eine Blockade des Illiosakralgelenks, der Verbindung zwischen Darmbeinschaufel und Kreuzbein im Beckenbereich, auf der rechten Seite. Die Blockade wiederum verursacht eine Innenrotation des rechten Femurs, des Oberschenkelknochens, der seinerseits eine Innenrotation des rechten Unterschenkels bewirkt.

Nachdem der Talus, das Sprungbein am oberen Sprunggelenk des Fußes, über Bänder sehr eng mit der Tibia, dem Schienbein, verbunden ist, wird der Talus und mit ihm das gesamte obere Sprunggelenk mit der Innenrotation des Unterschenkels dann ebenfalls nach innen gedreht. Die Folge ist schließlich ein Absinken des Fußlängsgewölbes: Senkfuß.

Keine Einbahn

Diese Kausalkette funktioniert freilich auch in die andere Richtung. So kann ein Senkfuß zu einer Wirbelsäulenfehlstellung führen, die - wenn schon, denn schon - in weiterer Folge zu einer chronischen Muskelverspannung im Nackenbereich und damit zu anhaltenden Kopfschmerzen führen kann. Und ein vielleicht schon von Geburt an verkürzter Halsmuskel kann über Wirbelsäule und Beine zu Fußfehlstellungen führen. Aus diesem Grund warnen Orthopäden davor, eine Fußfehlstellung isoliert zu betrachten.

Mit geschätzten 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung von industrialisierten Staaten, die betroffen sind, müsse man Fußfehlstellungen heute "als Zivilisationskrankheit" betrachten, erklärt der Wiener Orthopäde Herbert Feldner-Busztin. Die zunehmenden Fallzahlen begründet der Facharzt mit der "zunehmenden Verwendung von Schuhwerk". Schon die Füße von Kleinkindern würden selbst beim sommerlichen Spielen im Park immer öfter in Schuhe gezwängt, anstatt dass die Kleinen barfuß gingen. Die Schuhe übernähmen Stütz- und Formfunktionen, für die eigentlich Muskulatur und Skelett des Fußes verantwortlich seien - logisch, dass sich die Anatomie des Fußes unter solch beengten Bedingungen nicht mehr die Mühe mache, sich für ihre Aufgaben entsprechend zu entwickeln.

Knick-Senkfuß bei Kindern

"Bei Kindern ist der Knick-Senkfuß die häufigste Fußfehlstellung", sagt Feldner-Busztin. Wie viele insgesamt von orthopädischen Leiden betroffen sind, hat der schulärztliche Dienst anhand einer Untersuchung von 11.430 Grazer Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen sieben und vierzehn Jahren herausgefunden: Demnach zeigen 26,26 Prozent eine allgemeine Haltungsschwäche, 7,32 Prozent Fehlhaltungen der Wirbelsäule und 22,22 Prozent Fußfehlstellungen. Letztere - und mit ihnen oft auch begleitende orthopädische Probleme - können mit entsprechend angepassten Einlagen für die Schuhe leicht behoben werden.

Dank der Fortschritte in Medizin- und Orthopädietechnik sowie in der Fußchirurgie, hier insbesondere im Bereich der Implantologie, lassen sich die meisten Fußfehlstellungen auch noch später im Erwachsenenalter mit relativ geringem Aufwand korrigieren. Neben dem Senk-Spreizfuß ist bei Erwachsenen der Hallux valgus - Hammerzehen genannt - als Fehlstellung sehr weit verbreitet. Er gilt als häufigste Zehendeformität, Frauen sind dabei mit einem Verhältnis von 9:1 deutlich häufiger betroffen als Männer.

Primär weiblich

Studien zufolge sind Fußleiden generell geschlechtsspezifisch: 85 Prozent aller Frauen über 40 Jahren litten daran, bei Männern seien es nur 15 Prozent. "Als Ursache für den Hallux valgus wird eine vererbte Bänder- und Bindegewebsschwäche diskutiert", sagt Roman Radl von der Grazer Uni-Klinik für Orthopädie in der Österreichischen Ärztezeitung. Diese Schwäche werde vom Hormonhaushalt verstärkt, auch steige das Risiko mit zunehmendem Alter - und da Frauen älter werden als Männer, schlägt sich dies in den Statistiken nieder.

Risiko: Mode

Neben Genetik, Übergewicht und Bewegungsmangel gebe es noch ein Risiko: die Mode. Sowohl Schuhe mit einem zu engem Vorfußbereich als auch Schuhe mit zu stark angehobener Ferse, die wiederum den Druck auf den Vorfuß um ein Vielfaches erhöhen, können zur Entwicklung eines Hallux valgus führen. Auch Senk-, Spreiz- und Plattfuß sind Hallux-Risiken. (Andreas Feiertag, DER STANDARD, Printausgabe, 17.3.2008)