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Der Dalai Lama am Sonntag in Dharamsala: Gewaltlosigkeit immer weniger gefragt.

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Nach dem harten Vorgehen der chinesischen Behörden in Lhasa kam es weltweit zu Protesten von Exil-Tibetern wie hier am Sonntag in Brüssel.

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Tibetische Mönche im indischen Dharamsala, dem Aufenthaltsort des Dalai Lama, zertreten eine chinesische Flagge.

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Nach den schweren Ausschreitungen patrouillierten am Sonntag paramilitärische Truppen in gepanzerten Fahrzeugen durch Lhasa. Dort hatten Demonstranten mehr als 40 Großfeuer gelegt. Begonnen hatte es mit friedlichen Kundgebungen zum 49. Jahrestag des Tibet-Aufstandes von 1959 in Klöstern rund um Lhasa.

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Mönche des Klosters Labrang in Xiahe in der Provinz Gansu.

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Chinas oberster Vertreter in Tibet, der Parteichef der Region, Zhang Qingli, durfte nicht mehr gemütlich mit den anderen Delegierten beim Pekinger Volkskongress seinen Tee trinken und abstimmen. Hals über Kopf musste der Provinzchef am Freitag die Große Halle des Volkes verlassen, um nach Lhasa zurückzufliegen. Dort brannte zu der Zeit an vielen Stellen schon die Altstadt, zogen Horden wütender Tibeter von einem chinesischen Geschäft zum anderen, warfen Scheiben ein.

Die Eskalation, die am Ende dieses Tages nach chinesischer Zählung zehn Tote zurückließ und nach exiltibetischer Schätzung ein Vielfaches mehr, war in vollem Gang. Zu der Zeit aber saßen entscheidende chinesische Politiker und tibetische Führer in Pekings Diensten tausende Kilometer entfernt beim Volkskongress, vom tibetischen Bürgermeister Lhasas, Doje Cezhug, bis zum 70-jährigen tibetischen Seniorpolitiker Raidi.

Lhasa war aus chinesischer Sicht am Freitag nicht nur außer Rand und Band, sondern auch völlig kopf- und führungslos. Am Samstag früh hatte sich das geändert. Bewundernd schrieb Tibets Parteizeitung Xizang Ribao, wie der gerade aus Peking auf das Dach der Welt eingeflogene, „noch vom Reisestaub bedeckte und der Höhenkrankheit trotzende“ Parteichef zum Gegenschlag ausholte.

"Schlacht gegen die feindlichen Kräfte“

Frühmorgens inspizierte er die in Lhasa stationierten paramilitärischen Truppen und Sicherheitspolizei. Zhang forderte sie zur „entscheidenden Schlacht gegen die feindlichen Kräfte“ auf. „Ihr dürft jetzt keine weiche Hand zeigen, damit wir die Lage endgültig stabilisieren zu können“, forderte der als Hardliner bekannte 57-jährige Kommunistenführer die Sicherheitskräfte auf. Erst vor zwei Jahren war er von der unruhigen Uigurenprovinz Xinjiang nach Tibet versetzt worden. Zu den schwersten antichinesischen Unruhen in Tibet seit 20 Jahren kam es nach anfangs friedlichen Kundgebungen hunderter Mönche aus den Klöstern rund um Lhasa zum 49. Jahrestag des Tibet-Aufstandes von 1959. Unruhen und Proteste unter Mönchen wurden am Wochenende auch aus den Klöstern im tibetischen Hochland der Provinz Gansu, aus Sichuan und aus tibetischen Städten wie Xigatse gemeldet.

160 Brandstiftungen

Insgesamt kam es am Freitag in Lhasa zu 160 Brandstiftungen, darunter 40 Großfeuer in der Altstadt. Nach offiziellen Angaben wurden 100 Geschäfte überfallen, geplündert und teilweise zerstört. Zumeist gehörten sie Chinesen, von der Bankfiliale über den Handyshop und den Kleiderladen bis zum Supermarkt. Ampelanlagen und Geldautomaten wurden in der Touristenstadt gleich mit verwüstet. Auch sie gelten als Symbole chinesischer Präsenz.

Peking wurde so überrascht, dass es nicht nur Parteichef Zhang den sofortigen Marschbefehl gab, sondern – auch das verriet Tibets Tageszeitung – mit ihm eine Reihe mächtiger Vizeminister losschickte, die Zuständigen für die öffentliche Sicherheit, für paramilitärische Truppen und für die Einheitsfront.

Die schlagkräftige Truppe hat nur eine Aufgabe: Sie soll Tibets Parteichef unterstützen, die außer Kontrolle geratene Lage zu befrieden und die zum internationalen Gesichtsverlust Pekings gewordenen Unruhen einzudämmen. Zhang, der mit der Ministerriege am Samstag die Truppen inspizierte, berief kurz danach eine Krisenkonferenz ein. Die Teilnehmer forderten zum „Volkskrieg gegen Separatisten“ auf und zur konzertierten Propagandakampagne, bei der die „Untaten der feindlichen Kräfte kritisiert und die scheußliche Fratze der Dalai-Clique entlarvt“werden soll.

Auch Lhasas Justiz- und Polizeibehörden starteten mit ihrer Abrechnung. Tibets Oberstes Gericht und die Staatsanwaltschaft fordern in einem „Kommuniqué Nummer eins“ alle „aktiv an den Unruhen Beteiligten“ auf, sich am 17. März bis 24 Uhr freiwillig zu stellen. Nur dann könnten sie mit Milde rechnen. Im indischen Exil widersprach der Dalai Lama am Sonntag den Vorwürfen Pekings, dass er hinter den Demonstrationen stecke.

Er fürchte, sagte der Friedensnobelpreisträger in einem Interview mit der BBC, dass bei den Unruhen schon bis zu hundert Personen starben und noch mehr Menschen sterben würden, wenn sich Chinas Politik der harten Unterdrückung nicht ändere. Er warf China „kulturellen Völkermord“ vor.

Der Dalai Lama forderte eine internationale Untersuchung der Vorfälle. Er warnte aber auch, dass ihm wie Peking die Zeit davonlaufe. Es gebe eine neue Generation von Tibetern und eine Volksbewegung, bei der er mit seinen Prinzipien der Gewaltlosigkeit immer weniger ankomme.

China sind wegen der Olympischen Spiele im August in Peking die Hände zum ganz harten Schlag gegen die rebellischen Tibeter gebunden. Selbst der Dalai Lama sagte am Sonntag: „Ich will die Spiele.“ Allerdings müsse China daran erinnert werden, „ein guter Gastgeber zu sein“.

In Lhasa begannen am Sonntag _die Aufräumarbeiten. Bürgermeister Doje Cezhug, der in Peking noch immer am Volkskongress teilnimmt, trat Gerüchten entgegen, dass Lhasa unter Ausnahmerecht stehe. „In meiner Stadt herrscht Ruhe.“ (Johnny Erling aus Peking/DER STANDARD, Printausgabe, 17.3.2008)