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Sich nicht in Gewohntem verrennen, sondern aus den Tücken der Routine ausbrechen, um Alt-bekanntes in neuem Licht zu sehen.

Foto: APA/dpa/Armin Weigel
Geht es um die Zukunftsbewältigung, wird so manchem rasch etwas bänglich. Verständlich, war doch keine Generation zuvor mit einer solchen Veränderungsgeschwindigkeit konfrontiert. Hinzu kommt ein Overkill an Begriffen, Konzepten und Rezepten, die alle für sich reklamieren, für die Zukunft fit zu machen. Was glauben? Wem trauen? Was tun? "Alles schön und gut und vieles auch richtig und wichtig" sagt Dr. Karl-Heinz Brodbeck, nur verrückt machen lassen solle man sich dadurch nicht! So kompliziert und aufwändig, wie sie nicht selten aus recht durchsichtigen eigennützigen Gründen dargestellt werde, sei die Sache mit der Zukunft nun auch wieder nicht.

Worauf es im eigentlichen ankomme, könne man schon bei Nietzsche nachlesen, erklärt der Kreativitätsexperte, der als Professor Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule für Politik in München und an der Fachhochschule Würzburg lehrt: "Nicht dass man etwas Neues zuerst sieht, sondern dass man das Alte, Altbekannte, von jedermann Gesehene und Übersehene neu wahrnimmt, zeichnet die eigentlich originalen Köpfe aus."

Das, sagt Brodbeck, dieser wache, kreative, unvoreingenommene Blick auf das Alltagsgeschehen, das sei nach wie vor der eigentliche und beste Schlüssel zur Zukunft. Denn das Neue komme inkognito daher, versteckt im alltäglichen Kleid der Routine.

Kostet kein Geld

Und Aufmerksamkeit kostet bekanntlich kein Geld, bringt dafür aber, wie wohl jeder aus dem Alltag weiß, sehr viel ein. Dieser das Gewohnte hinterfragende Blick auf das Alltägliche trage aller Erfahrung nach mehr dazu bei, fit für die Zukunft zu werden und Zukunftsängste in Schach zu halten als all das unablässige Herumexperimentieren mit dem Überangebot an hochgestochenen Seminaren, Workshops oder sonstigen einschlägigen Veranstaltungen, die in raschem Modenwechsel einander jagten. Und die vielfach die persönliche Verunsicherung noch steigern anstatt sie zu mildern. Weil sie Erwartungen und Hoffnung wecken, die weder realistisch noch erfüllbar sind.

Gewohntes infrage stellen

In diesem Sinne kreativ in Bezug auf die persönliche Zukunftsausrichtung ist für Brodbeck jede Handlung, die die Selbstverständlichkeit der gewohnten und eingefahrenen Sicht-, Handlungs- und Verhaltensweisen infrage stellt. Allein dadurch werde "aus dem laufenden Geschehen heraus ein enormer Belebungsprozess angestoßen", ohne dass es dazu teurer Maßnahmen bedürfe. Wer die innovative Kraft laufender, rechtzeitiger kleiner -"evolutionärer" - Veränderungsschritte einmal in der Praxis erlebt habe, sehe die vielfach propagierten revolutionierenden Veränderungsprogramme doch mit etwas kritischeren Augen.

So entlastend und hilfreich, Stabilität und Vertrautheit schaffend Gewohnheiten und Routinen einerseits auch sind, in einer Welt, in der sich Denk- und Handlungsweisen mit nie dagewesener Geschwindigkeit überholen, stellen quasi automatisierte Denk-, Verhaltens- und Verfahrensweisen andererseits aber auch ein beträchtliches Gefahrenpotential dar.

"Gepflogenheiten, in denen man sich eben noch zuhause fühlte, die den Alltag entlasteten und für Handlungssicherheit sorgten, bewirken immer häufiger über Nacht das Gegenteil. Sie tragen nicht mehr dazu bei, sich die Zukunft aus der Gegenwart heraus zu erschließen, vielmehr behindern sie die Schritte in das neue Morgen und Übermorgen", sagt Brodbeck.

Psychologisch betrachtet, ergebe sich dadurch folgender Effekt: "Wenn die Umwelt gewohnte Bahnen des Denkens, Fühlens und Verhaltens zurückweist, fühlt man sich selbst zurückgewiesen; man fühlt sich durch Neuerungen bedroht. Mit der Folge, dass Veränderung zunehmend Unsicherheit und Angst hervorruft!"

Kreative Einstellung

Deshalb sei es für die persönliche Zukunftsfähigkeit so wichtig, mit der eigenen Kreativität vertraut und da-durch wieder offen für situatives Erleben zu werden. Und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Menschen, die zu einer solchen grundlegend kreativen Einstellung gelangten, würden die allgegenwärtigen Veränderungen nicht mehr nur als Bedrohung empfinden, sondern als selbstverständliche Anstöße zur Weiterentwicklung und nicht selten auch zur Ausweitung ihrer Möglichkeiten.

Weshalb sind Routinen ein Hemmnis? "Weil in ihnen unsere Aufmerksamkeit einschläft", sagt Brodbeck. Gewohnheiten und Routinen werden im Laufe der Zeit in ihrer Aus- und Durchführung unbewusst. Darin vor allem ist ihre Doppelnatur von Nutzen und Schaden begründet. Die bekannte, viel beklagte Starrheit von Routinen ist in erster Linie eine Folge dieses Versin-kens ins Unbewusste. Die darin liegende Gefahr für die kreative Veränderung und Zukunftsoffenheit kann für Brodbeck deshalb am zuverlässigsten gebannt werden, indem diese Gewohnheitsmuster wieder bewusst gemacht würden. Und der Schlüssel dazu sei vor allem die Achtsamkeit!

"Werden Routinen achtsam ausge-führt, 'verflüssigen' sie sich", macht Brodbeck diesen Prozess verständlich. Das sei das Herzstück der Methode, "Kreativität in allen Lebenssituationen zu entdecken, Gewohnheiten und Routinen von potentiellen Gefahrenelementen zu Bausteinen kreativen Tuns und Lernens werden zu lassen und damit der um sich greifenden Zukunftsangst den Stachel ihrer blockierenden Schwere zu nehmen."

Mehr Achtsamkeit

"Vor allem die routinierten, unbewussten Denkmuster steuern unsere Wahrnehmung und verstellen dadurch den Blick auf neue, bessere oder auch nur einfachere Vorgehens-, unkomplizierte Verhaltens- und vor allem auch aufgeschlossenere Sicht- und Reaktionsweisen", erklärt Brodbeck. Durch mehr Achtsamkeit würden diese Denkmuster und -modelle selbst zum Gegenstand der Aufmerksamkeit und könnten sich schöpferisch verwandeln.

An die Stelle eingefahrenen, unbewussten Lebens im allgemeinen und Arbeitens im besonderen trete dann eine Vielzahl neuer denk- und handlungsleitender Ideen. Und diese erlauben es, "entweder die Situation oder ihre Wahrnehmung zu verändern." Und das sei eine wesentliche Voraussetzung, "sich die Zukunft geneigt zu machen und sich im galoppierenden Wandel zu orientieren und zu behaupten, die Brücke vom gegenwärtigen zum Zukünftigen aus dem Alltäglichen heraus immer wieder neu zu schlagen."

Fazit von Brodbeck: "Zukunft, das ist nicht das, was erst für morgen zu erwarten ist. Die Zukunft existiert bereits heute und muss deshalb auch heute als Möglichkeit erkannt und kreativ gestaltet werden, evolutionär, aus dem Alltag heraus." (Hartmut Volk, DER STANDARD, Printausgabe, 15./16.3.2008)