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Die ÖBB sind kein Einzelbeispiel. In den vergangenen Jahren haben auch andere öffentliche Unternehmen mit einer an Unverfrorenheit grenzenden Selbstverständlichkeit das Vergabegesetz immer wieder umgangen.

Foto: EPA/Robichon
Eine Analyse zur Vergabekultur Von Ute Woltron.

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In der heimischen Architektur- und Bauszene rumpelt es derzeit mächtig, es scheinen neue Zeiten anzubrechen. Kurz zum Anlassfall:

Vergangene Woche hebelte das Bundesvergabeamt auf Antrag von insgesamt 49 nationalen und internationalen Architektinnen und Architekten den von der ÖBB veranstalteten, lediglich auf acht Teilnehmer reduzierten Architekturwettbewerb BahnhofCity auf dem Areal des ehemaligen Südbahnhofs in Wien mit eindeutigem Entscheid aus.

Die Begründung lautete: Auch die ÖBB-Immobilienmanagement GmbH, eine Tochtergesellschaft des Konzerns, die sich selbst gern als privatwirtschaftlich agierendes "Enkerl" der Republik bezeichnet, ist als öffentliche Auftraggeberin an das Bundesvergabegesetz gebunden und muss daher, wie gesetzlich vorgesehen, einen europaweit öffentlichen Architekturwettbewerb veranstalten.

Das Einzige, was an diesem seit Wochen mit enormer Spannung erwarteten Entscheid erstaunt, ist das zum Teil ungläubige Erstaunen, das er nun auslöst.

Diese Verwunderung darüber, dass eine Gesellschaft, die eindeutig zu hundert Prozent im Eigentum des Bundes steht, sich halt auch eindeutig an das Bundesvergabegesetz zu halten hat, was nun richterlich beschieden wurde, lässt zwei Schlüsse zu.

Erstens: Gegebenenfalls hat man seitens der Wettbewerbsauslober, um es vorsichtig auszudrücken, die sachliche Unabhängigkeit und politische Neutralität der Instanz Bundesvergabeamt doch ein wenig unterschätzt und bis zuletzt an eine schwammigere Bereinigung der leidigen Angelegenheit quasi unter Freunden geglaubt.

Zweitens: Das Bundesvergabegesetz wird anscheinend von breiten Teilen öffentlicher Auftraggeber ohnehin lediglich als sportliche Hürde betrachtet, die nur dazu da ist, mehr oder weniger elegant übersprungen zu werden.

Denn die ÖBB ist mit ihrem Versuch, die BahnhofCity unter von ihr ausgewählten Architektennamen zu vergeben, beileibe kein Einzelbeispiel. In den vergangenen Jahren haben ähnlich konstruierte Tochtergesellschaften öffentlicher Unternehmen in Ländern und Gemeinden, zwischen Vorarlberg und dem Burgenland, mit einer an Unverfrorenheit grenzenden Selbstverständlichkeit das Vergabegesetz immer wieder umgangen - und außer höchstens hinter vorgehaltener Hand vorgebrachtem Murren innerhalb der Architektenschaft hat sowieso keiner etwas dazu gesagt.

Wo kein Kläger, da kein Richter

Denn: Wo kein Kläger, da kein Richter. Und wenn keiner mit Kapperl, Blaulicht und Strafbefugnis am Straßenrand steht und die Raser einbremst, sind alle bald fröhlich mit 180 unterwegs, und diejenigen, die sich an die einer logischen Sinnhaftigkeit ja verpflichtete Verkehrsordnung halten, stehen irgendwie blöd da.

Im Falle des ungleich komplizierteren Spiels Wettbewerbswesen ist jedoch bis auf die Bundesvergaberichter keine Sheriffflotte weit und breit unterwegs, die für eine allseitige Einhaltung der geltenden Rechtsordnung sorgen könnte. Auch scheint es zynisch, dass die Vergaberichter überhaupt erst nach Aufforderung prüfend aktiv werden dürfen.

Die Architekten- und Ingenieurkammer als jene Instanz, die den besten Überblick haben müsste, ist selbst nicht einmal dazu befugt, das Bundesvergabeamt mit der Überprüfung fragwürdiger Verfahren zu bemühen. Und von den Planern und Planerinnen, die dazu sehr wohl berechtigt sind, schlägt niemand den Weg in die Vergabebehörde gern und leichtherzig ein.

Erstens ist eine Eingabe schon zu Beginn mit erheblichen Kosten verbunden, zweitens handelt man sich als potenzieller Geschäftspartner logischerweise nur ungern den Ruf eines aufsässigen Querulanten bei den Baugelderverwaltern ein.

Doch das könnte sich nun, da der Präzedenzfall endlich ausjudiziert und das Ergebnis schwarz auf weiß für jedermann nachzulesen ist, ändern.

Das Betätigungsfeld ist groß: Von den Landesimmobiliengesellschaften über die entsprechenden immobilienverwaltenden Gemeindegesellschaften, von Krankenhausbauern, Sozialversicherungsträgern, Asfinag bis hin zur Wienholding - all diese Unternehmen agieren mit öffentlichen Geldern und dürften künftig, so sie nicht ohnehin vorbildlich handeln, was ja auch vorkommt, verstärkt damit befasst sein, das Bundesvergabegesetz doch etwas genauer zu studieren.

Die Bundesimmobiliengesellschaft hat als eines der größten dieser Unternehmen jedenfalls zuletzt im Standard bereits klar deklariert, wie gehabt das Instrument des öffentlichen Wettbewerbes selbstverständlich weiterhin zum Einsatz bringen zu wollen.

Möge diesem Beispiel auch von anderer Seite Folge geleistet werden.

Die Geldsummen, die bei genauer Einhaltung der Gesetzeslage via ordentlich administrierte Verfahren vergeben werden müssten, lassen sich nur schwer beziffern, es handelt sich jedoch in jedem Fall um sehr viel. Im Kapitel "Volkswirtschaftliche Bedeutung der baukulturellen Qualifizierung - Zahlen/Daten/Fakten" des im Vorjahr präsentierten Baukulturreports steht jedenfalls als Messlatte nachzulesen:

"Derzeit wird nur mehr rund die Hälfte der Infrastrukturinvestitionen innerhalb des Sektors Staat durchgeführt, die andere Hälfte bereits außerhalb der öffentlichen Budgets durch Sondergesellschaften, PPP-Modelle oder andere neue Finanzierungsformen." Und: "Die Investitionen der ausgegliederten Gesellschaften sind von 1843 Millionen Euro im Jahre 2000 auf 2725 Millionen 2005, oder um die Hälfte innerhalb von fünf Jahren gestiegen."

Die Bruttoinvestitionen des Staates inklusive Ausgliederungen betrugen im Jahr 2005 laut Finanzministerium 5509 Milliarden Euro. Für dasselbe Jahr listet die Architektenkammer insgesamt 134 Wettbewerbe auf, von denen gerade einmal 75 "betreut" waren, also gegebenenfalls (!) nach Bundesvergabegesetz veranstaltet wurden.

Das deutet doch auf eine massive Schieflage hin. Warum sie besteht, lässt sich relativ leicht erklären, und es gibt gleich mehrere Gründe dafür:

Abgesehen von jenen Entscheidungsträgern, die ganz bewusst offene Wettbewerbe umgehen, gibt es jede Menge andere öffentliche Bauherren, die schlichtweg keine Ahnung von der Materie haben. Wer nicht ständig mit Architektur, Vergabe und Bauen zu tun hat, ist naturgemäß völlig überfordert, wenn ein größeres Gebäude zur Errichtung ansteht. Dieses Los trifft etwa Bürgermeister, die Schulen, Gemeindezentren et cetera als oberste Bauinstanz zu verantworten haben.

Wenn eine Gemeinde nicht durch glückliche Fügung einen baukulturaffinen Häuptling hat, wird die Angelegenheit bereits ein wenig kritisch.

Und: Das Vergabewesen ist eine komplizierte Materie, in der sich nur wenige Experten wirklich gut auskennen. Um einen Wettbewerb gut und wasserdicht auszuschreiben und zu administrieren, bedarf es exzellenter Fachleute. Ein guter Verfahrensbetreuer muss sowohl exakt über die unterschiedlichen Paragrafendschungel der Vergabegesetze und der Wettbewerbsordnung Bescheid wissen als auch über die räumlichen und funktionalen Bedürfnisse der späteren Gebäudebenutzer sowie deren Übersetzung in dreidimensionale Formen, sprich in Architektur.

Von solchen Experten, die letztlich zu den wichtigsten Bauherrenberatern gezählt werden können, gibt es hierzulande nur eine Handvoll.

Bleibt noch die Frage offen, warum sich diejenigen, die es eigentlich besser wissen müssten, vor öffentli- chen Ausschreibungen zieren. Ihre Argumente sind immer dieselben: EU-weite Wettbewerbsverfahren seien teuer, sie würden zu lang dau- ern und die großen "Namen" der Architektur würden sich an solchen Verfahren sowieso nicht mehr beteiligen.

Jeder einzelne Punkt ist widerlegbar. Die Wettbewerbsvorbereitung ist für geladene und öffentliche Verfahren gleich aufwändig, wenn man sie ernstnimmt, was man tunlichst sollte, denn mit der Ausschreibung bestimmt der Auftraggeber den genetischen Code und damit auch die Qualität des architektonischen Entwurfs, den er bekommen wird.

Bei professioneller, straffer Organisation sind öffentliche Verfahren auch bei Einhaltung aller Fristen rasch abhandelbar. Und auch namhafte Büros scheuen sich keineswegs, an seriösen Wettbewerben teilzunehmen.

Des Weiteren lässt das Bundesvergabegesetz die Möglichkeit des Bewerbungsverfahrens offen, mit dem die Bauherrschaft den Kreis der wirklich zu jurierenden Projekte ohnehin eingrenzen kann.

Intelligenz, Know-how, Sorgfalt

Würden tatsächlich alle infrage kommenden Gebäude öffentlich ausgeschrieben, so würde sich auch die derzeit mitunter absurd hohe Teilnehmerzahl pro Wettbewerb reduzieren, weil sich nicht alle Architekturbüros kollektiv auf wenige Verfahren stürzen müssten, wie das derzeit der Fall ist.

Zuletzt aber noch eine Klarstellung: Wettbewerbeveranstalten allein ist noch kein Garant für gute, nachhaltige, menschenwürdige Architektur. Man kann auch die schleißigsten Verfahren gesetzestreu ausloben, aber warum sollte man? Bauen kostet viel Geld. Je intelligenter, sorgfältiger und weitsichtiger es in Architektur angelegt wird, desto besser. Warum sich der Möglichkeit begeben, das Know-how der gesamten europäischen Architekturlandschaft anzuzapfen? (Ute Woltron, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15./16.3.2008)