Erstmals seit dem deutlichen Erfolg des Referendums gegen die Gesundheits- und Studiengebühren zeigt sich Ungarns rechtsnationale Opposition an diesem Samstag auf den Straßen von Budapest. Äußerer Anlass ist der Nationalfeiertag, den die Ungarn am 15. März im Gedenken an den Ausbruch der Anti-Habsburg-Revolution von 1848/49 begehen. Viktor Orbán, der Chef des Bundes Junger Demokraten (Fidesz) und Initiator der Volksabstimmung, wird zu seinen Anhängern sprechen. Diese erwarten von ihm wieder einmal die Vorgabe einer Marschrichtung, um die ihnen so verhasste linksliberale Regierung aus dem Amt zu jagen. „Viele Hunderttausende“ würden kommen, prophezeite Orbáns Kabinettschef Tamás Deutsch-Für.

Dabei war Orbán am vergangenen Sonntag selbst überrascht, wie viele Bürger beim Referendum ihr Ja für die Abschaffung jener Gebühren ankreuzten, die 2007 von der Regierung unter Premier Ferenc Gyurcsány eingeführt worden waren. Meinungsforscher hatten mit bis zu 2,5 Millionen Ja-Stimmen gerechnet, was in etwa der Fidesz-Anhängerschaft entsprochen hätte. Am Ende waren es 3,3 Millionen. Wahlforscher gehen davon aus, dass sich der „Überschuss“ je zur Hälfte aus bisher passiven Wählern und aus der sozialistischen Stammwählerschaft rekrutierte.

Vorsichtige Gangart

Unmittelbar nach dem Referendum legte Orbán eine für ihn ungewohnt vorsichtige Gangart ein. Zwar kündigte er umgehend eine weitere Volksabstimmung an – diesmal gegen die weit gewichtigere Teilprivatisierung der Krankenkassen –, enthielt sich aber jeglicher Rücktrittsforderungen an die Regierung. Wahrscheinlich wird er auch bei der Großkundgebung zum März-Gedenken bei dieser Linie bleiben. „Wir müssen die Situation verstehen und dann vernünftige Entscheidungen treffen“, sagte er in einem Interview mit dem Fidesz-nahen „Echo TV“.

Tatsächlich dürften ihm einige seiner Berater den Gedanken nahegebracht haben, dass die Zeit derzeit für ihn arbeite. Das Referendumsergebnis hat die regierenden Sozialisten tief geschockt und das Verhältnis zum liberalen Koalitionspartner neu belastet. Gyurcsány, dessen Popularitätswerte schon vor dem Urnengang im Keller waren, scheint stärker denn je unter Druck. Dem Fidesz könnte das Land wie eine überreife Frucht in den Schoß fallen.

Wären da nicht die Unwägbarkeiten: Bis zu den nächsten regulären Wahlen sind es noch zwei Jahre. Der radikale Flügel in Orbáns Anhang könnte angesichts der waidwunden Regierung die Geduld verlieren. Verlagert sich der politische Kampf aber erneut auf die Straße, könnten sich – wie in der Vergangenheit immer wieder geschehen – viele Wähler der Mitte wieder von Orbán abwenden. (Gregor Mayer aus Budapest/DER STANDARD, Printausgabe, 15./16.3.2008)