In diesem Sinn verstehe ich den Begriff "Botschafter der Tracht" und den Konrad Mautner Preis und danke dafür.

Foto: DER STANDARD/Gössl
Rede von Miguel Herz-Kestranek anlässlich der Verleihung des Konrad-Mautner-Preises am 11. März in Wien.

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Ich weiß nicht, wie bewusst oder wie unbewusst das heutige Datum gewählt wurde, aber ich glaube nicht an Zufälle, und deswegen fühle ich mich durch die denkwürdige Verbindung des heutigen Anlasses mit dem heutigen Datum aufgefordert und herausgefordert.

Mir verleiht man nicht sozusagen "ungestraft" ausgerechnet am 11. März 2008 einen Konrad Mautner Preis - also am 70. Jahrestag der tragischen Schuschnigg-Rede und der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich, am Jahrestag der militärischen Weisung Hitlers für den tags darauf erfolgten Einmarsch in Österreich, was die Auslöschung der Nation einerseits und das, was mit dem Synonym Heldenplatz, seinen Begleitumständen und Folgen umschrieben wird andererseits, zur Folge hatte; ein Preis, der nach dem aus dem assimilierten jüdischen Wiener Großbürgertum stammenden Großindustriellen, Volkskundler und Volksliedsammler Konrad Mautner benannt ist, dessen Familie von den Nazis teils ermordet wurde, teils ins Exil entkommen konnte.

Es mögen die in Österreich gar nicht so wenigen Betroffenheits- und Aufarbeitungsmonopolisten meinen, dass die Auseinandersetzung mit Volkskultur und Tracht nicht gerade ein Generalthema für den heutigen Tag darstellt, ja den heutigen Tag nachgerade zu verhöhnen scheint, und es mögen andererseits sich jene gar nicht so wenigen, die mit ewiggestrigem Gedankengut heute politische Kassa machen über einen Festakt wie diesen freuen.

Aber genau diese beiden Pole sind es, zwischen denen sich eine fast reflexartige Intoleranz breit gemacht hat, die eine objektive Auseinandersetzung mit und Bewältigung von Geschichte immer noch erschwert.

Weil Volkskultur, weil Tracht im letzten Jahrhundert für nationale und völkische Zwecke missdeutet und missbraucht wurde, was unter den zwölf Jahren Naziherrschaft seinen rassistisch mörderischen Höhepunkt fand, sind bis heute Brauchtum wie Dirndl und Lederhose, oder Volkslied, ja schon Tradition als Begriff, so wie viele andere Worte immer noch nicht ganz unverdächtig, weil immer noch beschmutzt und belastet.

Falsches Feindbild

Wenn der Schriftsteller Hans Weigel geschrieben hat: "Tracht ist nicht Ausdruck und Relikt der Ära voll Blut, Boden und Rasse, sondern des Protestes gegen sie. Sie ist durchaus keine Uniform, sondern deren Gegenteil, ist Ausdruck des extremen Individualismus und nicht nur von Tal zu Tal, sondern von Ort zu Ort, von Dorf zu Dorf verschieden ..." (Zitat Ende) - so ist doch der Schritt von volkstümlich zu volkstümelnd, von Heimat zu Blut und Boden ein kleiner, ist der Abstand zwischen Ehre und Treue und dem mit diesen Worten assoziierten SS-Wahlspruch nach wie vor hauchdünn.

Aber solange es auch nur einen belastenden Schatten gibt, liegt es an uns, diesen Schritt zu verweigern, den Abstand lauthals zu betonen, auf ihm zu bestehen und ihn, wo es geht, wieder zu vergrößern. Und dabei ist an einem Tag wie heute auch die politische Verantwortlichkeit von Medien einzufordern, allen voran des wichtigsten Massen-und Bild Mediums ORF, über Volkskultur zu informieren und sie zu pflegen, und nicht so oft Volkstum als Volksdumm und Folklore zu verraten.

Was mich mit Konrad Mautner verbindet, ist Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, nach dem Echten und Wahren, eine Sehnsucht die immer noch in der Natur, am Land gestillt, aber auch sensibilisiert werden kann. Ich sitze lieber mit meinen Volksmusikern bei einem Bier, als mit Seitenblickern im Haubenlokal. Meine daraus folgende lebenslange Zerrissenheit zwischen den angeblich wichtigen Dingen der Welt und dem, was für mich zählt, ist auch ein Erbe meiner jüdischen Herkunft.

So wie die Mautners und viele andere großteils jüdische Familien, haben auch viele Teile meiner Familie in mehreren Besitzungen in St. Gilgen am Wolfgangsee, meinem heutigen zu Hause, Jahrzehnte hindurch bis zur großen Zäsur 1938 die das ganze Jahr heißersehnte Sommerfrische verbracht, sich heimisch gefühlt und selbstverständlich Tracht getragen.

Natürlich war dies auch Spiel mit Mode und Verkleidung, Lokalkolorit und Nostalgie, also Zeichen jener bürgerlichen Romantisierung des Landlebens, die auch den Adel bis hinauf zum Kaiser in Lederhose und Dirndl gehen ließ, was wiederum Anlass zu Imitation bot. Und wenn auch Mautners Motive zum steirischen Trachtenbuch, oder zum steirischen Raspelwerk, eine der außergewöhnlichsten Volksliedsammlungen in deutscher Sprache, durchaus auch romantischen Heimat- und Denkmalschutzcharakter hatte, es war immer auch mehr.

Und so ereiferte man sich in Zeiten wachsenden österreichischen Antisemitismus schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts darüber, dass zum Beispiel das Dirndl mittlerweile geradezu als jüdisches Nationalkostüm angesehen werden müsse, was schließlich 1938 zum allgemeinen Gesetz wurde, welches Juden das Tragen von Tracht verboten hat.

Neben so vielem anderen auch etwas, das vielen unbekannt ist und woran an einem Tag wie heute durchaus erinnert werden kann. - Dazu noch eine Episode, die ich auch in einem meiner Bücher beschreibe:

Zurückgekehrt nach sieben Emigrationsjahren in Frankreich und dann Südamerika, begegnete mein Vater auf dem St. Gilgner Kirchplatz einem Spielkameraden und Segelfreund aus dörflichen Ferientagen vor dem Krieg, der, in einen gutsitzenden Steirerrock sonntäglich gekleidet, den Zurückgekehrten stürmisch willkommen hieß. Als mein Vater ihm auf den Kopf zusagte, dass dieser Trachtenrock eigentlich seiner sei und er das an den besonders gearbeiteten Hirschhornknöpfen erkennen könne, zog der Überführte das gestohlene Kleidungsstück nach anfänglichem Leugnen aus und übergab es dem früheren Besitzer auf offener Straße treuherzig mit den Worten: "Na Stefan, kriagst halt den aa wieder z'ruck!"

Wertebewusstsein

Ich trage Tracht, weil ich damit aufgewachsen bin, weil sie kleidet, und weil ich heute wieder darf. Und nicht zuletzt deswegen, weil ich damit dokumentiere, dass Eigenverantwortlichkeit eine Lebensauffassung sein kann.

Wenn wir uns - sei es aus falsch verstandener politischer Korrektheit, oder aus Unwissen, sei es aus Unwillen oder Bequemlichkeit, sich auseinanderzusetzen, sei es aus Gleichgültigkeit unserer Geschichte, unserer Vergangenheit, unseren Wurzeln gegenüber - wenn wir uns also nicht zu Werten bekennen, wie sie Tradition oder Volkskultur darstellen, Werten, die schon lange vor ihrem Missbrauch bestanden haben, wenn wir Begriffen wie etwa Heimat, Ehre, Treue ihrer Besudelung nicht entreißen, dann geben wir nachträglich denen Recht, die missbraucht haben und denen, die es heute unter ähnlichen Vorzeichen wieder oder noch immer tun.

In einer so fragilen Umbruchzeit auf dem mühevollen, aber so richtigen und wichtigen Weg in ein neues Europa, verstehe ich das als einen Beitrag zur Demokratiequalität unseres Landes und zu Weltoffenheit und Toleranz. Wer sich seiner Wurzeln bewusst ist und den bewussten, weil aufgeklärten und somit von Belastungen befreiten Umgang mit ihnen pflegt, der kann diese Werte als Bereicherung in ein vereintes neues Europa der Vielfalt einbringen. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.3.2008)