"Box Of Secrets" (V2/Universal) ist ab 18. 3. im Handel

Foto: Universal

Blood Red Shoes

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Märchen und Revolte haben schließlich immer Saison.


Die Geschichte vom Leiden für die Kunst ist so neu nicht. Dennoch erzählt man sich solche Schnurren natürlich immer wieder gern. Die uns heute beschäftigenden "blutroten Schuhe" datieren zum Beispiel auf das Jahr 1936. Laut einem Interview mit Ginger Rogers wurde sie bei Dreharbeiten von ihrem Tanzpartner, dem für seinen Perfektionswahn berüchtigten Fred Astaire, so lange gezwungen, immer wieder eine schlecht sitzende Choreografie zu verbessern, bis sie an den Füßen blutete und sich ihre weißen Tanzschuhe deswegen rot färbten. Auf den Rock 'n' Roll übertragen, mag diese Geschichte zwar etwas gar befremdlich wirken. Immerhin geht es in dieser Kunst schon auch trotz bekannter Kompositionsmethoden wie dem Malen nach Zahlen und der vollinhaltlichen Erfüllung eines nach der Wacht am Rhein klingenden Dienstplans darum, mit möglichst wenig Aufwand zu leicht und aus dem Ärmel geschüttelt wirkenden Ergebnissen zu gelangen. Stichwort: Das kann ich auch! Antwort: Nein, das kannst du nicht!

Allerdings haben sich die Blood Red Shoes aus dem britischen Seebad Brighton diesen Namen nicht ganz unbegründet als Kampfname gewählt. Das Duo Laura-Mary Carter an Gitarre und Gesang und der ebenfalls singende Schlagzeuger Steven Ansell, beide Anfang 20, knieten sich für britische Verhältnisse geradezu mit sittlichem Ernst in ihre Aufgabe. Allein das Gesamtbild des Klangs und die trotz aller bescheidenen technischen Fertigkeit auf den Punkt gespielte Präzision der Nummern machen Unterschiede im Vergleich zur oft schludrig arbeitenden Kollegenschaft mehr als deutlich.

Das dieser Tage erscheinende, Box Of Secrets betitelte Debüt der Jung-Twens klingt nicht nur produktionstechnisch so, als habe man hier in wochenlangen Sessions versucht, mit den knappen Mitteln einer elektrisch verstärkten, verzerrten und soundtechnisch komprimierten Klampfe sowie einem ordentlich nach vorn gemischten Dave-Grohl-of-Nirvana-Bekanntheitsgrad-Schlagwerk der alten und gegenwärtig von einer jungen Musikergeneration kräftig wiederbelebten Tante Grunge-Rock frisches Leben einzuhauchen. Sie kommen immer zurück! Die Blood Red Shoes schaffen es tatsächlich auch, in elf nun vorliegenden Liedern, kaum einmal vom sich selbst verordneten Mindesteinsatz von, sagen wir, 103 Prozentpunkten abzurücken. Kurz gesagt, die Blood Red Shoes bringen mit Titeln wie der hübschen Provinzbetrachtung It's Getting Boring By The Sea oder Say Something, Say Anything die totgeglaubte Kiste einfachster, mieselsüchtiger Rockisten-Seligkeit mit dem besonderen Augenmerk auf das Leid an sich selbst (und damit an der ganzen Welt) äußerst ansprechend auf den Punkt.

Dabei hilft der jungen Hörerschaft entscheidend eine historische Tatsache. Als Galionsfigur Kurt Cobain sich 1994 eine Kugel in den Kopf jagte, belegte die jetzt kräftig die Blood Red Shoes aus dem Internet saugende Zielgruppe einer Generation Pokémon gerade einmal einen Platz im Kindergarten. Das bedeutet: Mit Querverweisen und Referenzen ist hier kein Staat zu machen. Unerheblich. Bedeutungslos. Vati soll mit seiner Vinylkopie von Nevermind bitte in seinem Jagdstüberl im Keller bleiben.

Die durchgestrampften Akkorde auf der verzerrten, natürlich roten Fender-Telecaster-Gitarre (Kurt bevorzugte die unhandlicheren und schwereren Jaguar- und Jazzmaster-Modelle), das vor allem auch auf den nach Dschungelkrieg tönenden Tom-Toms prügelnde Schlagzeug, die zwischen Abzählreim und heftig fordernden Bridges zwischen Strophe und Refrain wütenden, auch vokal mit unerhörtem Nachdruck und hohem Brüllfaktor interpretierten Songs, sie funktionieren, bei entsprechend offenen Ohren und Herzen, auch für die Eltern ganz prächtig. Jeder Generation ihre Phase des Sturmes und Dranges, der Beklagung ungerechter Zustände bei erhöhter Schlagzahl! Warum sollte sich die zudem äußerst spaßige Form einer nach Tinnitus klingenden Revolte jemals überleben? Here we are now - entertain us! Aber wie. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.3.2008)