Ein Mächtiger mit Mut zur Wahrheit, dachte ich. Ein Entscheidungsträger, der die Kluft zwischen Worten und Taten aufzeigt. In Österreich, dem "Land der kollektiven Pensionsneurose", würden nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber möglichst früh in den Ruhestand drängen: "In Sonntagsreden betonen viele, wie wichtig es ist, länger zu arbeiten. Und am Montag lassen sie sich im Betrieb die Liste der 54-jährigen Frauen geben." Politik würde die Flucht in die Rente fördern, ihre "subtilen Eingriffe (...) ins Pensionssystem", sechs Verschlechterungen allein seit 1990, machten sie zum wichtigsten "Risikofaktor" neben der Demografie.

Ewald Wetscherek, Chef der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), kritisierte auch das um fünf Jahre niedrigere Frauenpensi-onsalter: das sei keine "Wohltat" für Frauen, sondern schade ihnen. Es hindere sie an "Karrieresprüngen" nach 50 ("bei Frauen heißt es nur noch, du gehst ohnehin bald in Pension") und stelle Österreich auf eine Stufe mit Ländern wie Türkei oder Tunesien. Wer könnte dem nicht zustimmen?

Zwei Wochen nach dem großen "Presse"-Interview beschloss die PVA die Zwangspensionierung der Chefärztin der Landesstelle Tirol. Gegen den ausdrücklichen Wunsch und Protest der Betroffenen. Gegen die Intervention der Landeshauptmannstellvertreterin. Gegen den Willen der Ärztekammer. Der Ärzteschaft in der PVA. Gegen die Judikatur, wie sich zeigen wird, des OGH, des EuGH, der Rechtsauffassung der meisten Rechtsgelehrten. Nun sind Generaldirektor und Obmann der PVA beklagt wegen "Zwangspensionierung von Frauen mit 60" (vgl. STANDARD, 5.3.).

Nicht, dass die Rechtsvertreter des PVA neben unsinnigen keine guten Argumente hätten: Sie verweisen vor allem auf geltende Kollektivverträge (DO.B), das Paradies der gegenüber ASVG wesentlich höheren, zusätzlichen "Dienstordnungspensionen" (1 DO-Beitrags-Euro bringt 502 Prozent eines Beitrags-Euros zur Ärztekammer-Zusatzpension!) und ihrer teilweise perversen, unerwünschbaren Folgen, nämlich dass Männer bei gleichem Ruhestandsverhalten trotz deutlich geringerer Restlebenserwar-tung und damit Lebenspensionsansprüche zusätzlich weit schlechtergestellt würden als weiterarbeitende Frauen mit "Parallelbezügen".

All das ist tatsächlich dringend sanierungsbedürftig, aus Nachhaltigkeits- und Fairnessgründen. Aber es kann nicht bis 2033 auf dem Rücken von weiteren 25 Jahrgän-gen von Frauen ausgetragen werden. Viele von ihnen verzichten gerne auf das nun nachweisbar vergiftete "Mon Chérie" vorzeitigen Pensionsalters.

Aber sie dürfen nicht einmal nach dem Günstigkeitsprinzip wählen, ob sie die betulich-patriarchalische Bevormundung überhaupt wollen. Eine EU-Repräsentantin sprach von "Taliban-Argumenten". Tatsache ist, dass unmittelbare Diskriminierungen wie Zwangspensionierungen mit 60 nur für Frauen nach EU-Recht nicht rechtfertigungsfähig sind - und daher als Anlass einer umfassenden Reparatur ungleichen Pensionsalters dienen sollten.

Es ist das Wesen aller Neurosen, dass auch diejenigen, die sie durchschauen und benennen, sich nicht der Gewalt ihres Wiederholungszwangs entziehen können und in die immer und immer gleichen selbst-schädigenden Fallen tappen - solange der Ursprungskonflikt, die "Erbsünde" in W.s katholischer Terminologie, nicht geheilt wird. Machen wir also endlich ein gleiches, geschlechtsneutrales Pensionsalter wie alle modernen Wohlfahrtsstaaten, damit selbst gutgemeinte Alters- und Frauendiskriminierung schon vor 2034 unmöglich wird. (Bernd Marin/DER STANDARD, Printausgabe, 12.3.2008)