Wien - Die Mehrheit der Österreicher würde lieber einen "Schlussstrich" unter die nationalsozialistische Vergangenheit des Landes ziehen. In einer Umfrage der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft (SWS) anlässlich des 70. Jahrestages des sogenannten Anschlusses sprachen sich 60 Prozent der Befragten gegen eine weitere Vergangenheitsbewältigung aus. Lediglich 36 Prozent sind für eine Aufarbeitung der Geschichte.

Die Zahl der Gegner einer Aufarbeitung der Nazizeit hat sich seit dem Jahr 2000 überhaupt nicht verändert. Leicht angestiegen ist allerdings die Zahl der Befürworter einer Vergangenheitsbewältigung: Vor acht Jahren waren es noch 32 Prozent. Bei der telefonischen Umfrage unter 509 Österreichern stellte sich heraus, dass Personen mit einer niedrigeren Schulbildung häufiger für den vieldiskutierten "Schlussstrich" sind, als Personen mit höherer Bildung.

In den politischen Lagern sprechen sich ÖVP- und BZÖ-Anhänger mit je 75 Prozent am deutlichsten für ein Ende der Vergangenheitsbewältigung aus, es folgen FPÖ-Sympathisanten mit 71 Prozent. Bei der SPÖ liegt dieser Wert bei etwa 60 Prozent, bei den Grünen nur bei 20 Prozent. Unterschiede gibt es auch in den Bundesländern: Vor allem Burgenländer sind mit 79 Prozent gegen eine weitere Geschichtsaufarbeitung, gefolgt von den Oberösterreichern (71 Prozent). In Vorarlberg (48 Prozent) und Wien (49 Prozent) sprachen sich hingegen am wenigsten der Befragten für einen "Schlussstrich" aus.

Dass fast alle Österreicher wie 1938 für einen "Anschluss" Österreichs an Deutschland stimmen würden, glaubt gar keiner der Befragten. 1976 lag bei der selben Frage der Wert noch bei fünf Prozent. Dass zumindest die Mehrheit dafür sein könnte, denken immerhin noch fünf Prozent. 53 Prozent glauben, dass sich "fast alle" Österreicher gegen einen "Anschluss" aussprechen würden. Unter den jüngeren Personen beträgt dieser Anteil sogar 65 Prozent.

Die SWS wollte weiters wissen, ob "ein großer Politiker" alleine im Land bestimme sollte. Dafür sprachen sich nur acht Prozent aus, 84 Prozent sind der Meinung, das weiterhin viele Kräfte politisch mitreden sollten. 1976 waren noch 21 Prozent für eine Art Diktatur eines Einzelnen gewesen. Auch die Ressentiments gegen die jüdische Bevölkerung scheinen gering zu sein. So gaben nur fünf Prozent der Befragten an, ein "unangenehmes Gefühl" dabei zu haben, wenn sie einem Juden die Hand geben.

Vorurteile gegenüber anderen Ländern existieren nach wie vor, allerdings sind auch diese im Abnehmen begriffen. So sagen 14 Prozent, dass manche europäischen Nationen "minderwertig" seien (1976: 16 Prozent). 53 Prozent sind allerdings der Meinung, dass alle europäischen Staaten gleichwertig seien. (APA)