Der Iseosee, ein Feuchtbiotop und Lebensraum für dreißig Vogelarten, die hier nisten.

Foto: www.bresciainvetrina.it
"Mindestens einmal am Tag sehe ich hier nach dem Rechten", meint Angelo Danesi und lässt den Blick über sein Reich, die Torbiere del Sebino, schweifen. Der 62-Jährige ist zünftig in Dunkelgrün gekleidet, von weitem könnte man ihn glatt für einen Jäger halten. Das Missverständnis ist schnell aufgeklärt. Seit er Pensionist ist, arbeitet Herr Danesi als Führer im Torbiere-Naturreservat. Das unauffällige Outfit dient seiner größten Leidenschaft: der Vogelbeobachtung. "Dieses Feuchtgebiet weist eine hohe Biodiversität auf und ist eine wahre Oase für Zug- und Standvögel", erklärt der passionierte Hobbyornithologe. Etwa dreißig Wasser- und Sumpfvogelarten nisten hier. Unter idealen Bedingungen können von einem der fünf festen Beobachtungspunkte über achtzig verschiedene Arten erspäht werden.

Die Torbiere del Sebino sind ein 360 Hektar großes, ehemaliges Torfabbaugebiet zwischen den Gemeinden Iseo, Provaglio d'Iseo und Corte Franca. Mit der Ramsar-Konvention aus dem Jahr 1971 wurde das Biotop in die Liste der international bedeutenden Feuchtgebiete aufgenommen. 1983 zog auch die Region Lombardei nach und erklärte es offiziell zum Naturreservat. Es ist außerdem als Natura-2000-Schutzgebiet der Europäischen Union und als IBA (Important Bird Area) ausgewiesen. "Nur wenige wissen, welches Juwel für Vogelbeobachter sich hier versteckt", schmunzelt Danesi.

Auch der angrenzende 25 Kilometer lange Iseosee ist zumindest außerhalb Italiens noch relativ unbekannt. Jährlich zählt er etwa 400.000 Urlauber, Besucherzahlen, die die Einheimischen an dem nur etwa 1,5 Stunden entfernten Gardasee eher belächeln. Aber diese Erfahrungen des Massentourismus will am Iseo sowieso keiner machen.

Keine Seestörungen

Tatsächlich ist eine solche Vogeloase am Gardasee undenkbar. Hier ist es allerdings wesentlich ruhiger, und die Landschaft bleibt dennoch erstaunlich abwechslungsreich. Wohin man auch blickt, es wird nie langweilig: Die einstigen Torfgruben sind mit Wasser gefüllt und bilden so ein dichtes Geflecht aus kleinen Seen, von denen jeder auf seine Weise einzigartig ist. Durchzogen werden sie von dichtem Schilf und schmalen Dämmen, die ihnen bisweilen bizarre geometrische Formen verleihen. Im Sommer bilden Seerosen ein blühendes Meer.

Man unterscheidet drei verschiedene Areale: im Süden die charakteristischen Tongruben, deren Wasser im Licht der Sonne karibisch-türkis schimmert, in der Mitte die "Lama" - das Moor - mit den Torfabbaugruben, die den Reiz vieler kleiner Seen ausstrahlen, und im Norden, angrenzend an den Iseosee, die "Lamette", eine Art torfhaltige Lagune mit Röhricht.

Als Kulisse dienen kleine Wäldchen, saftige Wiesen, die Brescianer Voralpen und sanfte Hügel, teilweise überzogen mit Weingärten, hier und da stehen Zypressen und alte Gutshöfe. "Fast wie in der Toskana", ist man versucht zu sagen, aber die Region hat ihre eigenen prickelnden Meriten: Die Torbiere liegen auch unmittelbar an der bekannten Sektregion Franciacorta.

"Lama"-Trekking

Den besten Panoramablick hat man von dem hübschen Kloster San Pietro in Lamosa, das in Provaglio d'Iseo auf einer Anhöhe über dem Naturreservat thront. Die Anlage ist auch der Ausgangspunkt für den rund dreieinhalb Kilometer langen, gelb gekennzeichneten Rundweg "Percorso Pedonale Sud", der durch die "Lama", ein Wäldchen und auf einem Fitnesspfad, vorbei an den Tongruben, wieder zurück zum Kloster führt. Am Eingang befinden sich Hinweisschilder (teilweise auch auf Englisch) und ein Ticketautomat, an dem man sich für gerade einmal einen Euro die Eintrittskarte zieht.

Die Bodenbeschaffenheit im Reservat verlangt natürlich nach Wanderschuhen oder Gummistiefeln. Hunden ist der Zutritt nicht erlaubt. Schmale Pfade und gut gesicherte Holzbrücken führen durch diese faszinierende Wasserlandschaft. Sie wurde durch den Torfabbau vom Menschen geschaffen und wusste ihn doch so erfolgreich wieder zu verdrängen.

Heute dominiert die üppige Vegetation das Bild: Pappeln, Erlen, falsche Akazien, Weiden, gelber Hornstrauch und Riedgras, das einst der Herstellung von Gebrauchsgegenständen diente. Schachtelhalme und natürlich das Schilf-dickicht - an den Gewässerrändern teilweise bis zu zwei Meter hoch - beruhigen das Auge, damit es sich dann anstrengen kann, um wenigstens einen von ihnen zu erblicken: Purpurreiher, Drosselrohrsänger, Nachtreiher, Haubentaucher, Eisvögel, Fischadler, Kormorane, Schwarze Milane, Weidenrohrsänger, Beutelmeise, (Zwerg-)Rohrdommel, Pfeifente, Trauerseeschwalbe und Rohrweihe. Laut Herrn Danesi: "Alle da!"

"Kaum fassbar, dass diese Naturoase so nahe an einem frequentierten Gebiet wie dem Iseosee liegt und doch so unversehrt geblieben ist", kommentiert eine italienische Spaziergängerin. Es koste schließlich viel Mühe, sie zu erhalten. Damit trifft sie prompt Herrn Danesis wunden Punkt: Er selbst ist Mitbegründer des Umweltvereins "La Schiribilla", der sich seit 1994 rigoros für Schutz und Erhaltung des Naturreservats einsetzt.

Die Bewusstseinsbildung sei kein leichtes Unterfangen, lässt der rüstige Pensionist durchblicken. Viele in- und ausländische Besucher würden ihnen das Leben schwermachen. Sie verstünden nicht, dass der Ort für die Tiere und nicht für jene Menschen geschaffen worden sei, die picknicken oder Fußball spielen wollen. "Ja, ich hänge an diesem Fleckchen Erde. Deshalb komme ich hierher, sooft ich kann und meine Frau mich lässt". (Beate Herberich/DER STANDARD/Printausgabe/8./9.3.2008)