Bereichernd für alle: Ein Wiener w@lz-Schüler bringt mithilfe von Atlas und Globusball den zukünftigen College-Kids in der südafrikanischen Provinz Gauteng Geografie bei - Lehrer und Verwaltung werden dadurch entlastet.

Foto: Michael Freund
Wir stehen auf einer Baustelle, umgeben von Fundamenten, Holzfertigteilen, roter Erde, ein paar Bäumen. Vor uns ein moderner Kindergarten, daneben ein Flachbau, der ein Stall war und zur öffentlichen Volksschule umfunktioniert wurde, weitere Häuschen, die als Bibliothek, als Küche, als Schuppen dienen. In einiger Entfernung ist die Zentrale eines großen Milchunternehmens auszumachen. Rundherum bis zum Horizont nichts als Hochebene. Über uns wölbt sich ein tiefblauer Himmel, in dem Schönwetterwolken fast geometrisch angeordnet hängen.

"Im Winter", erklärt Karl Kebert, der Besitzer der Milchfirma, den Gästen, "müssen Sie sich die Gegend nur um zehn oder zwanzig Grad kälter vorstellen, und den Himmel vollkommen wolkenlos blau." Jetzt, im Februar, ist es hier Herbst, und schon am Morgen ist es zu warm für eine Jacke. Wir befinden uns unweit von Heidelberg, bei Zonkizizwe, in der südafrikanischen Provinz Gauteng.

Während eine unüberschaubare Schar Volksschüler zum Morgenappell antritt, machen sich nebenan Studentinnen und Studenten von der TU Graz und der Wiener Universität für Bodenkultur an die Arbeit. Sie sägen, hämmern, bohren, vermessen, schaufeln und mauern: Es gibt noch viel zu tun bis zur Eröffnung des hier geplanten priva- ten, weiterbildenden College. In seiner Art ist es eine Premiere in Südafrika.

Vieles ist passiert, damit das College-Projekt möglich wurde. Da sind Fäden, die Jahre, sogar Jahrzehnte zurückreichen, aus denen Netzwerke entstanden zwischen privaten Absichten und offiziellen Förderungen, strategischen Planungen und Improvisationen, ohne die so ein Vorhaben nicht zustande kommen könnte. Es sind die Menschen, die diese Fäden gesponnen haben, aus denen etwas Tragfähiges entstanden ist. Und es kommen glückliche Zufälle dazu.

Glückliche Zufälle

Karl Kebert war schon gelernter Schlosser in Wien; er hätte zur Bahn gehen und Lokführer werden können, da wurde ihm Österreich zu eng. Vor 40 Jahren ging er nach Südafrika, Ende der Achtzigerjahre begann er mit einer Molkerei. Heute gehören ihm 500 Hektar Land, und 100 Leute arbeiten für Montic Dairy. Vor einigen Jahren half er bei der Errichtung einer Schule für Fünf- bis Zwölfjährige auf seinem Grund. Mittlerweile gehen mehr als 500 Kinder in die öffentliche Montic Primary School. Allerdings gab es bis jetzt weit und breit keine weiteren Ausbildungsmöglichkeiten für die Absolventen.

"Schau dir das Masibambane College in Orange Farm an", wurde Kebert von jemandem empfohlen. Die Township Orange Farm liegt südlich von Soweto, ebenfalls in Gauteng. Unweit von Johannesburg, das buchstäblich auf Goldgruben und deren Aushub gebaut ist, herrschen hier besonders elende Zustände, Schulen hat es bis Mitte der Neunzigerjahre praktisch keine gegeben.

Der Zufall, wenn es einer war, wollte es, dass Christoph Chorherr 1994 die ersten freien Wahlen in Südafrika im Fernsehen verfolgte. Was der Wiener Stadtrat sah, regte ihn dazu an, mit seinem Bürgermeister über Hilfsmöglichkeiten zur Unterstützung zu reden. "Ich hab ihm vorgeschlagen, dass wir einen Schulbau unterstützen könnten, und der Zilk hat gesagt, du bist jetzt die Delegation, flieg runter!" Zwei Jahre später stand das "Vienna Center" als Kernstück einer neuen Schule im Township. "Und jedes Jahr kam ein Gebäude dazu, bis mit Hilfe der Stadt Wien das Masibambane College fertig war."

So was mach' ma auch! Dem Pragmatiker Chorherr war klar, dass man nicht ewig auf die Hilfe aus der fernen Kommune rechnen konnte. Da lernte er - wieder (k)ein Zufall - in einer Ausstellung des Architekturzentrums Wien das Rural Studio kennen, das in Alabama mit Studenten einen innovativen Hausbau organisiert hatte, "und ich hab mir gedacht, so was mach' ma auch." 2004 war es so weit. Unter der Leitung von Peter Fattinger bauten Studenten der TU Wien einen ersten Kindergarten in Orange Farm.

Weitere Projekte sollten folgen. Chorherr gründete einen Verein namens "Sarch", der soziale und nachhaltige Architektur zum Ziel hat. Er organisierte Projektwochen für die Schüler des Wiener Lernzentrums w@lz (das er praktischerweise kurz zuvor mitbegründet hatte) - die Kids helfen seither mehrere Wochen im Jahr beim Unterricht und in der Freizeit und wohnen bei Familien imTownship: für sie eine bereichernde Erfahrung, für die südafrikanischen Schüler ebenso, für Lehrer und Verwaltung eine Entlastung.

Das hatte Kebert gesehen. Er fragte Chorherr, ob er auch für "seine" Volksschule Erweiterungsbauten organisieren könnte. Chorherr konnte. In Zusammenarbeit mit dem Verein Sarch errichteten Studenten der TH Aachen den Kindergarten, eine Truppe von der FH Salzburg-Kuchl stellte das Skills Center hin und eine weitere von der Dessauer FH Anhalt die Bibliothek.

Doch der politisch versierte Stadtrat dachte weiter und schlug seinerseits dem Unternehmer vor, das Problem der Weiterbildung in Angriff zu nehmen. "Die neue Herausforderung war", sagt er, "ein privates College zu gründen. Skills, praktische Fähigkeiten, sind genau das, was die jungen Absolventen weiterbringt, ihnen neue Möglichkeiten eröffnet." Möglichkeit, Chance, heißt auf Zulu Ithuba. Ithuba Skills College ist der offizielle Name der Schule und des gemeinnützigen Vereins, den Chorherr als Rahmen für das in Südafrika einmalige Projekt angemeldet hat.

Der Aufstieg in das Ithuba College wird nicht leicht sein. Die Kinder werden aus der öffentlichen Montic Primary School kommen, dessen Alltag die Gäste beobachten können. Die Klassenzimmer sind überfüllt, mehr als 60 Kinder sitzen manchmal beieinander, und die Lehrer haben es schwer, sie bei der Stange zu halten. Dabei sind viele lernwillig, wie man spürt, wenn man nur kurz in den Unterricht kommt und etwa von den Kindern etwas vorgelesen bekommen will. Im Chor wetteifern sie um Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Um den Druck der Massen zu mildern und um die Motiviertesten auf das Ithuba College vorzubereiten, geben auch hier w@lz-Schüler zusätzlichen Unterricht in Kleingruppen. Sie sitzen im Freien, im Schatten der pergolaartigen Gänge und Nischen, die von den Architekturstudenten aus Europa zwischen Schuppen, Küche und Skills Center angelegt worden sind. Laurenz Matusek nutzt einen Weltkugelballon für Geografie, Kathi Biowski gibt Nachhilfe in Englisch (das für viele Zulu-Kinder eine Fremdsprache ist), ein Dritter beschäftigt seine Gruppe mit Nacherzählungen. "Das Problem ist", sagt er, "dass etliche Kinder nach mehreren Jahren Schule noch immer nicht lesen und schreiben können."

Myheart Muusha, ein Lehrer aus dem Bezirk, wird im Ithuba College unterrichten, sobald es fertig ist. Vorläufig fragt er noch im Freien seine vier Schüler nach dem Ursprung der Industriellen Revolution "in a far-away country, an island, not in Africa". "Madagascar!" - "I said not in Africa." - "Germany?" - "Germany is not an island." - "I know: British!" "Yes, well, the people are called British. But you almost had it: It's Britain."

Flugtickets selbst bezahlt

Mal hat ein kaputter Bagger, mal eine nicht eingetroffene Lieferung die Arbeiten an den Gebäuden verzögert. Umso intensiver versuchen die Studenten aus Graz und Wien, die verlorene Zeit wettzumachen. Offiziell gibt es natürlich Verantwortliche, doch man hat den Eindruck, dass alles in Eigenregie und gut miteinander verzahnt abläuft.

Sie arbeiten, "als würden sie dafür bezahlt", wie man so schön sagt. Dabei tun alle freiwillig mit. Die Techniker und Boku-Leute haben daheim die Projekte entwickelt und sich mit den Gegebenheiten in Südafrika intensiv auseinandergesetzt. Sie haben ihre Flugtickets selbst bezahlt. Jetzt arbeiten sie, weil sie einen Sinn darin sehen, etwas in die Welt zu setzen, das sich weiterentwickelt und das mit geringstmöglichem Ressourceneinsatz möglichst vielen Menschen etwas bringt - ein Gefühl, das sich beim Entwurf einer Luxusvilla nicht so leicht einstellt.

Es sind auch nicht nur Studenten, die beim Bau des Ithuba College mitmachen. "Ich möchte diese Erfahrung nicht missen", sagt Barbara Herz, Dekanatsdirektorin an der TU Graz, die zum wiederholten Mal nach Südafrika gekommen ist. Ingomar Merkus ist Bauingenieur und war schon in Ruanda und im Kosovo an Aufbauarbeiten beteiligt. Architektur studiert er jetzt zusätzlich, die Herausforderung, etwas Nützliches beizutragen, kommt ihm gerade recht.

Zwischen den Bautrupps und dem Geräteschuppen, vom Supermarkt zur Großküche, nach einer Besprechung und vor der nächsten ist Chorherr ständig unterwegs. Weitere Kooperationen sind fix. Ein Salzburger Student baut ein Verwaltungshaus, die Aachener werden eine Multifunktionshalle errichten. "Das College soll eine kleine Stadt werden", sagt er, "und den Anstoß für ähnliche Entwicklungen anderswo geben."

Zunächst aber werden ein erstes Klassenzimmer, der Werkraum und die Freiraumgestaltung fertig sein. An diesem Sonntag wird das Ithuba Skills College eröffnet. (Michael Freund/DER STANDARD, ALBUM, 8./9.3.2008)