In diesem an ernsten Gedenkdaten reichen Jahr könnte man sich auch an eine Tragikomödie erinnern, die sich vor 25 Jahren abgespielt hat: die "Hitler-Tagebücher". Damals ist der Stern auf seinen manisch vom Dritten Reich faszinierten "Star-Reporter" Gerd Heidemann hereingefallen, der wieder in Zusammenarbeit mit dem primitiven Fälscher Konrad Kujau angeblich von Hitler verfertigte Tagebücher produzierte, nach denen - laut Stern - "die Geschichte neu geschrieben" werden musste. Das Ganze ist ein Lehrstück über das Aussetzen aller journalistischen Kontrollinstanzen, über "Quotengier", Bedenken-und Ahnungslosigkeit (und nebenbei über die Kunst von Top-Managern im Verlagswesen, auch die größte Blamage zu überleben).

"Hitler geht immer", hieß es damals (und heute). Es ist aber ein Unterschied zwischen ernsthafter Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Nationalsozialismus und einer faszinierten Verliebtheit in die Trivia des Dritten Reiches.

Um ein Haar hätte es damals auch in Österreichs Medienwelt eine kleine Blamagen-Kopie gegeben. Der Kurier, für den ich damals arbeitete, plante unter seinem damaligen (inzwischen tödlich verunglückten Chefredakteur Gerd Leitgeb), auf die noch für echt gehaltenen Hitler-Tagebücher aufzuspringen. Und zwar in der Form von "Memoiren" eines Kärntners, der Hitler bei einem Besuch am Wörthersee auf der Terrasse eines Hotels den Kaffee serviert haben wollte. Als Beweis lag beigelegt ein angegilbtes Foto mit dem typischen gezackten Rand, das einen freundlich lächelnden Herrn mit dem typischen Zahnbürsten-Schnurrbart und der Haarsträhne, allerdings in dunkelblond, zeigte. Text und Foto waren von einem damaligen "Teufelsreporter" der Zeitung aufgetrieben worden.

Ich lachte beim Anblick dieser Entdeckungen laut heraus und sagte, dass Hitler mit größter Wahrscheinlichkeit nie in seinem Leben am Wörthersee gewesen war und dass es sich bei dem Foto um eine Jux-Aufnahme handle, für jeden halbwegs Informierten auf den ersten Blick erkennbar. Was die Hitler-Tagebücher des Stern betraf, die Chefredakteur Leitgeb für echt hielt, machte ich geltend: Hitler habe fast nie etwas selbst geschrieben, er sei ein manischer Redner, aber kein Schreiber gewesen, auch "Mein Kampf" habe er diktiert. Die angeblichen Tagebuch-Eintragungen im Stern seien im Übrigen lächerlich und banal und verdächtigerweise immer an offiziellen Terminen des Führers und Reichskanzlers "aufgehängt". Es seien mit Sicherheit Fälschungen.

Obwohl sich auch andere Redakteure meinen Bedenken anschlossen, liefen die Vorbereitungen für eine große Serie mit Volldampf weiter - bis zum Glück noch rechtzeitig, das deutsche Bundeskriminalamt die Tagebücher als Fälschung entlarvte (unter anderem hatte der Fälscher statt des gotischen Initials für A. in A.H. auf dem Deckblatt ein ganz ähnliches F genommen ("Fritz Hitler"). Die Serie im Kurier wurde mit knapper Not abgeblasen.

Dabei war Chefredakteur Leitgeb kein Naivling und hatte ein paar Jahre vorher, im profil, eine Fälschung aus dem Dunstkreis der Wiener SPÖ, mit der die junge Gründung Oscar Bronners wegen ihrer kritischen Haltung gekillt werden sollte, binnen kürzester Zeit recherchiert und aufgeklärt. Aber Leitgeb war aus Gründen seiner Sozialisation von NS-Trivia mehr als fasziniert. Er hatte den Kurier in Richtung Boulevardisierung geführt, was der Auflage kurzfristig auch gut tat. Und: Hitler geht immer. (Hans Rauscher/DER STANDARD, Printausgabe, 8.3.2008)