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In Beddington im Süden von London leben nicht die Teletubbies, sondern ökologiebewusste und sparsame Menschen. Die Wohnhausanlage Bed Zed, ein Projekt von Zed Factory Architects, ist ressourcenschonend und emissionsfrei bis unter die Zipfelmütze.

Fotos: Ashley Cooper/Corbis
Viele Architekten befürchten damit eine Vernachlässigung der Baukultur. Ein Umdenken ist unausweichlich.
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Noch vor zehn Jahren war ökologisches Bauen das Sahnehäubchen der Architektur. Und alle waren sich darin einig, dass man auch ohne Schlagobers gut und fröhlich leben kann. Doch die Zeiten haben sich geändert. "Ökologie ist eine Frage des Überlebens geworden", sagt der amerikanische Architekt Moshe Safdie, "dass manche Architekten angesichts der Dringlichkeit immer noch nicht zur Vernunft gekommen sind, hängt wohl damit zusammen, dass Architektur einen viel zu hohen Kunststatus genießt. Sie ist Selbstausdruck, Selbstbesessenheit und Selbstzweck." Ewig könne man sich vor den neuen Pflichten nicht drücken.

Noch härter formuliert es der Tokioter Architekt Makoto Sei Watanabe: "Es ist nicht zu verantworten, dass sich Architekten vor ihren ökologischen Aufgaben verstecken. Einfach nur grüne Architektur zu propagieren wird aber nicht genügen. Wichtig ist es, in den Köpfen der Menschen ökologisches Bauen als wichtige Gestaltungskomponente ihres Lebens zu verankern."

Mit etwa 2800 Passivhäusern, die quer über das Land verstreut sind, zählt Österreich zu den saubersten Architekturnationen überhaupt. Einer Studie der IG Passivhaus Österreich zufolge sollen in den kommenden zwei bis drei Jahren weitere 10.000 Wohnungen und Häuser errichtet werden, die den Kriterien eines Passivhauses entsprechen.

Ein Blick nach Wien. Der Passivhausanteil im Wohnungsneubau pendelte bis vor kurzem gerade einmal zwischen ein und drei Prozent. Das ist nicht mehr als ein politisches Lippenbekenntnis. Mittels großvolumiger Bauvorhaben – allen voran auf dem innerstädtischen Areal Eurogate, wo in den kommenden Jahren rund 1700 Passivwohnungen entstehen sollen – will man den Passivhaus-Anteil in Wien mittelfristig auf über 20 Prozent anheben. Jede fünfte Neubauwohnung wird demnach weniger als 15 Kilowattstunden Jahresheizenergie pro Quadratmeter benötigen. Die meisten Bewohner werden sich also mit ein paar Euro durch den Winter heizen können. Im Vergleich: Ein Wohnhaus aus den Sechziger-, Siebziger- oder Achtzigerjahren verbraucht das Zehn- bis Zwanzigfache.

Angesichts der bevorstehenden und längst überfälligen Passiv-Ära fragt sich nur: Wo bleibt die Architektur? Zwar sind die Zeiten der Birkenstock-Hütten und der amorphen Schlumpfhäuser, die mit winzigen Fenstern in die Erde eingegraben waren und so mehr einer steinzeitlichen Wohnhöhle denn einem zeitgenössischen Gebäude glichen, längst vorüber. Doch auch mit dem passiven Additionsprinzip von Würfel unten und Pultdach oben wird man wohl kaum den Weg in die grüne Architekturzukunft beschreiten können. Schon gar nicht, wenn das Europäische Parlament fordert, dass ab 2011 generell nur noch Passivhäuser gebaut werden sollen. So geschehen am 31. Jänner 2008. Es bedarf neuer Konzepte. Und zwar dringend.

"Mit dem Vorschlag des Europäischen Parlaments legt man die Latte sehr hoch", sagt der Pariser Architekt Dietmar Feichtinger. Er ist einer von insgesamt sieben Architekten, die aus dem Bauträgerwettbewerb Eurogate als Sieger hervorgegangen sind. "Unter den heutigen Gesichtspunkten kann ich mir kaum vorstellen, dass das klappen wird." Zu oft sehe man die Passivhaustechnologie als isolierte Sache an, vergesse dabei ganz auf die räumliche und architektonische Qualität. "Wenn man die ökologischen Ziele allzu sehr überstürzt, dann schüttet man womöglich das Kind mit dem Bad aus. Was die Architektur betrifft, ist das eine grauenvolle Vorstellung."

Einen Umschwung im Denken erwartet auch der Wiener Architekt Adolf Krischanitz, der ebenfalls auf dem Eurogate-Gelände bauen wird. "Im Bereich der Passivhaus-Technologie kommt man nicht umhin, einen gewissen gestalterischen Paradigmenwechsel zu vollziehen. Ökologisches Bauen ist mehr als überfällig, doch ich sehe nicht ein, warum das immer mit kleinen Fenstern und scheußlicher Architektur einhergehen muss." Die Beschränkung auf bestimmte bauphysikalische Spielregeln müsse kein Nachteil sein – ein guter Architekt könne auch daraus etwas Gutes machen.

Null Kohlendioxid in England

Wohin uns der Weg führen könnte, zeigt sich am Beispiel Großbritannien. Nachdem die Regierung ausgerechnet hatte, dass die 21 Millionen Haushalte für mehr als 27 Prozent aller CO2-Emissionen auf der Insel verantwortlich sind, wurde im Jahre 2006 das Bauprogramm "Zero Carbon Home" beschlossen. Demnach sollen ab 2016 sämtliche Neubauten so ausgeführt sein, dass sie über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg exakt null Gramm Kohlendioxid produzieren. Ein hehres Ziel.

Die strenge Regelung bezieht sich nicht nur auf die Beheizung und Warmwasserversorgung des Hauses, sondern auf den Gesamtenergieverbrauch. Selbst Herdplatte, Kühlschrank und Fernseher müsse ab dann mit Öko-Strom gespeist werden. Dem nicht genug! Sogar die Produktion der Baustoffe und die Errichtung des Gebäudes selbst sollen in Zukunft kohlendioxidneutral über die Bühne gehen.

Da vor allem letzterer Punkt unmöglich zu erfüllen ist, läuft de facto alles darauf hinaus, dass die Häuser selbst Plusenergie-Status aufweisen müssen, um die CO2-Sünden ihrer Entstehung langfristig wieder auszubügeln. Will heißen: Die Häuser müssen in fein säuberlicher Manier mehr Energie produzieren als sie verbrauchen. "Der Klimawandel ist eine sehr reelle und sehr drohende Gefahr", sagt die Transport- und Verkehrsministerin Ruth Kelly, "und da die Häuser zu einem großen Teil zu den CO2-Emissionen und somit zur Klimaveränderung beitragen, ist es naheliegend, in diesem Bereich drastische Einsparungen vorzunehmen."

Ein erstes Vorzeigeprojekt ist bereits aus der Taufe gehoben. In Beddington, am südlichen Stadtrand von London, hat das Architekturbüro Zed Factory eine Passivhausanlage mit insgesamt 80 Wohnungen gebaut – sie hört auf den kecken Namen Bed Zed. Auf Materialaskese wurde kein Wert gelegt. Je nach Bedarf wurden Ziegel, Stahl, Glas und Holz verbaut. Unverwechselbares Markenzeichen der Anlage sind die sensorgesteuerten Zulufthauben oben am Dach. Mit buntem Irokesenschnitt geschmückt drehen sich die Zipfelmützen dem Wind entgegen. So sieht modernes Bauen im Teletubby-Land aus.

Zur Warmwasseraufbereitung dienen Solarzellen, die auf dem Dach sowie direkt auf den Fenstergläsern angebracht sind. Die Heizung übernimmt eine zentrale Pelletsanlage, die mit Holzabfällen aus einem nahegelegenen Holzverarbeitungsbetrieb gespeist wird. "Bis jetzt hat es noch kein großes Öko-Bauvorhaben geschafft, eine langfristige wirtschaftliche Überlebensfähigkeit zu erzielen", sagt Architekt Bill Dunster, "uns ist es jedoch gelungen. Bed Zed soll Investoren, Architekten und Bauherren sowie der öffentlichen Hand als Beispiel dienen."

Acht Jahre haben sie nun Zeit zu lernen. Und dann wird es ernst. Weitere Projekte der Zed Factory sind bereits entwickelt und warten nur noch auf den Baubeginn. Eines der begehrlichsten Projekte dürfte das Einfamilienhaus Rural Zed sein, das vor einer Woche auf der Fachmesse Eco Build 2008 in London der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Der Andrang war enorm. Laut der Tageszeitung The Guardian musste man eine halbe Stunde Wartezeit in Anspruch nehmen, um überhaupt erst ins Haus zu kommen.

Nun liegt es an den Architekten, aus den bestehenden Ressourcen zu profitieren und den Spagat zu schaffen. Oder – wie es Dietmar Feichtinger ausdrückt: "Nur Öko und nur Geldsparen wird auf Dauer zu wenig sein. Was nützt mir ein Wohnzimmer, in dem ich keine Heizkosten zu zahlen brauche, wenn ich mich darin nie aufhalte, weil es so hässlich und so dunkel ist?" England hat vorgezeigt, wie’s geht. (Wojciech Czaja, ALBUM/DER STANDARD, 08/09.03.2008)